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Aussendungszeitpunkt: 26.9.2000; 21:00
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Demokratie/Debatte:

> Besser, sie werden nicht ernstgenommen!

Zur Demokratie-Debatte in akin 25 / akin-pd 19.6.2000

Liebe Ilse & lieber Bernhard! Manches in Eurer Spontan-Replik auf
meine Forderung nach politisch verwertbarer elitaerer Einmischung
erfordert verstaerkte Erklaerungsbemuehungen meinerseits. Was
diese Versuche inhaltlich in Euren Augen etwas einschraenken
duerfte, ist die ziemlich ausgepraegte Verschiedenheit unserer
Ausgangspositionen und daher auch der Perspektiven, was sich in
etwa so zusammenfassen laeszt: Ihr beschreibt und fordert, was
sein sollte: Reif fuer die Demokratie sind muendige und
selbstbewuszte Menschen, die lustvoll selbstbestimmt durch das
Dasein schreiten. Hamma nicht (Zitat von Euch geklaut) oder
zumindest nicht in erforderlichem Ausmasz. Weshalb ich beschreibe,
was aus meiner Sicht derzeit ist und welche unmittelbaren Schritte
aufgrund dieser unerquicklichen Zustaende jetzt unternommen werden
koennten, ohne unbedingt auf den St.Nimmerleinstag warten zu
muessen, an dem Eure Ansammlung von demokratischen Superlativen an
das Licht der erfreuten Oeffentlichkeit dringt.

Mit einer gehoerigen Prise von allgemeiner Institutionenskepsis
schreibt und vermittelt Ihr das Bild, wie die 'grosze Politik` mit
dem 'kleinen Mann von der Strasze` umgeht. Man brauche sich daher
nicht zu wundern, dasz das liebe Wahlvolk nicht besonders
selbstbewuszt und handlungsfaehig agiert, wenn es von der
politischen Klasse derart als eine Ansammlung von Vollidioten
behandelt werde. Eure Diagnose, wie man nicht unbedingt ein
Vollidiot werden musz, fuehrt in die Kindheit. Die Fehler seien
zweifellos in dieser Zeit angesiedelt, da die handelsuebliche Form
vornehmlich dazu diene, es zu lernen, nie ernstgenommen zu werden.
Diesen unerfreulichen Zustand der staendigen Ignoranz der
Staerkeren und all der umherschwirrenden Autoritaeten gegenueber
den eigenen prae- und gleich danach postpubertaeren Problemen und
Ansichten praegt sich der hoffnungslose Nachwuchs derart ein, dasz
er auch in aller Zukunft damit rechnet. Etwas ueberspitzt
ausgedrueckt, bleibt ihm unter diesen Umstaenden gar nichts
anderes ueber, als sich  ehestmoeglich der Krone-Lesergemeinschaft
einzuverleiben und darueberhinaus obligatorisch die FP zu waehlen.
Diesem einerseits autoritaets- und obrigkeitsfixierten,
andererseits bereits mehrheitsfaehigen Publikum koenne unsereiner
die Obrigkeitshoerigkeit nicht damit austreiben, indem zur
moralischen und politischen Erbauung neue Obrigkeiten und
Autoritaeten serviert werden.

Ein kleines Beispiel dazu: Ein armer Teufel sitzt mit
unertraeglichen Zahnschmerzen bereits auf dem Behandlungsstuhl und
harrt in Erwartung der baldigen Beendigung seines Martyriums dem
Handeln seines Zahnarztes entgegen. Dieser blickt in den weit
geoeffneten Mund des Patienten, runzelt die Stirne, schlaegt die
Haende zusammen und gibt dann als Diagnose bekannt, es sei zu
spaet - fuer alles. Die Behandlung und vor allem das unermuedliche
Zaehneputzen haetten schon in der Kindheit beginnen muessen. Damit
entlaeszt der Arzt den armen Teufel samt Zahnschmerzen und
wehmuetigen Erinnerungen an die Versaeumnisse der Kindheit. Ein
guter Arzt? Obwohl er mit der Kindheit sicher recht hat, haette er
ja ohne weiteres dem Erwachsenen den Zahn reiszen oder eine anderezweckdienliche Behandlung
angedeihen lassen koennen.

Um bei unserem demokratiepolitischen Beispiel zu bleiben: Was sind
Phaenomene wie Xenophobie, Rassismus, Intoleranz und Verachtung
gegenueber all denen, die als minderwertig begriffen werden,
anderes als soziale Faeulnisprozesse (siehe Zahn), die natuerlich
ihre Karrierestarts in der Kindheit haben. Natuerlich musz dort
angesetzt werden. Aber die Kindheit ist bei so manchen nunmal
vorbei, womit sich wiederum gegenueber manchen auch die Methoden
aendern muessen. So scheint mir friedliches Zuhoeren nicht immer
angebracht, wenn es z.B. heiszt: "Es Gfraster, gehts wos hackeln",
was ja noch harmlos und drollig klingt gegenueber manchen
Standards. Beliebt ist: "de Scheisz-Tschuschen da druebn" (mit
einer Handbewegung zum jeweils gegenueberliegenden Lokal).
Angesichts etwas anders gekleideter Gaeste
gibt's manchmal zur Auflockerung Kommentare wie: "Schaut's Euch de
schwule Sau da drueben an", oder im Falle politischer Diskussionen
und Auftritte hab' ich des oefteren schon nette
Absichtserklaerungen gehoert, wie z.B.: "Wann I was z'reden
haett`, haengats es scho am naechsten Bam!" Je nach Duldsamkeit
ist es allen  ueberlassen, die Zitatenspender in ihre Gebete
einzuschlieszen: "Die Armen muessen eine Kindheit gehabt haben..."
Ich denk' mir dies anlaeszlich derartiger Meldungen mit Sicherheit
nicht, sondern jedesmal aeuszerst inbruenstig: "Bin ich froh, DASS
sie nichts zu reden haben! Und dabei soll es auch gefaelligst
bleiben!" Und rein zufaelligerweise kann mit Sicherheit davon
ausgegangen werden, dasz es sich bei diesen lieben Mitmenschen
durchwegs um FPOe-Waehler und Haider-Sympathisanten handelt, die
mit der Bezeichnung "Dodel" versehen, noch aeuszerst vorzueglich,
aber falsch bezeichnet werden. Denn eine Verniedlichung dieser
Phaenomene zeichnet fixe Grenzen zwischen aggressiven Volltrotteln
und ausgewachsenen Faschisten, die moeglichst stramm und deutsch
argwoehnisch die Gehsteig putzenden Juden bewachen. Die Grenzen
sind jedoch beliebig flieszend und die Bereitschaft zur
Brutalitaet in jeder Gesellschaft stufenlos steigerbar, haengt
aber natuerlich vom politischen System und dem Grad der sozio-
oekonomischen Krisensituationen ab. Wo ist die Grenze des nicht-
mehr-Akzeptierbaren? Ab wann ist jemand persoenlich verantwortlich
fuer sein Tun und nicht seine schlimme Kindheit? Ab der
Beschimpfung, ab der koerperlichen Attacke oder erst, wenn er
bereits KZ-Aufseher ist? Oder gibt es die Verantwortung erst ab
dem Gauleiter und dann nur mehr vielleicht fuer Hitler oder
Goebbels persoenlich? Musz man sich aber nicht auch Gedanken um
deren Kindheit machen, und haette dieser Aspekt bei der
Verteidigung in den Nuernberger-Prozessen nicht von der
Verteidigung eingebracht werden koennen, nach dem Motto: "Na ja,
bei der Kindheit..." Alles schon gehabt in der Waldheim-Debatte.

Natuerlich sind meine Vergleiche - wie meist - etwas ueberspitzt.
Es ging mir darum, einige mir wesentlich erscheindende Phaenomene
herauszustreichen. Wenn ich jemand ernstnehme, dann ist dieser in
meinen Augen auch voll verantwortlich fuer sein Tun. Nehme ich die
Waehler der FPOe ernst und schiebe nicht irgendwelche
Nebelschleier darueber - wie z.B. "die Armen koennen gar nichts
anderes - zuerst musz der Kapitalismus weg" -, dann sind sie auch
- aus welchen Gruenden immer - fuer eine faschistoide
Regierungsbildung mitverantwortlich. Dann koennen es entweder
schlicht Faschisten sein, die ueberzeugt Faschisten waehlen, um
beinhart law and order im Land endlich durchzusetzen und
darueberhinaus die Auslaender, Parasiten und sonstiges Gesindel
moeglichst schnell aus dem Land zu kriegen. Bei dieser Gruppe, die
ich durchaus ernst nehme, fehlt mir jegliches Mitgefuehl. Glauben
sie andererseits, mit ihrer FP-Wahl eine soziale Besserstellung
erreichen zu koennen, die ihnen die SP zunehmend versagt habe,
dann sind es leider Dodeln. Die nicht unbedingt ernstgenommen
werden koennen, die aber dringend Unterstuetzung benoetigen -
sozial und aufklaererisch. Mit allem, was nur moeglich ist. Von
Promi-Aufmaerschen ueber Medienmobilisierungen. Und dahingehend
bin ich sicher Josefinist. *Fritz Pletzl*
 
 

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