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Aussendungszeitpunkt: 26.9.2000; 21:00
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Oekonomie/Debatte:

> Beelzebub Staat

Vorwaerts zurueck in die Zukunft. Zur Frage, was eigentlich das
Schlimme am Protektionismus war

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"Kapital ist heute so empfindlich. Das ist gleich weg". Das hat
der Herr von der Bundeswirtschaftskammer am Sonntag im Fernsehen
gesagt. Und der musz es ja wissen. Es ist schon auffaellig, noch
vor ein paar Monaten war das Kampfvokabel "Wirtschaftsstandort" in
aller Munde und staendig wurde von "Globalisierung" geredet.
Irgendwie scheint man das jetzt nicht mehr hoeren zu koennen und
es wird wohl schon so sein, dasz die meisten Menschen dieses
Verstaendnis der Mobilitaet von Kapital und Investitionen einfach
schon akzeptiert haben. Heute reicht schon eine Andeutung von der
"Fluechtigkeit des Kapitals" und das Vis- -vis in einer
Fernsehdiskussion versucht sofort, das Thema zu wechseln, weil es
scheinbar keine akzeptable Widerrede gegen das Hammer-Argument
"Kapitalflucht" gibt.

Nun ist es natuerlich nicht so, dasz Produktion, Handel und
Maerkte raeumlich vollkommen ungebunden sind. Dennoch muszten wir
schon ernsthaft gemeinte Aussagen von Unternehmervertretern ueber
uns ergehen lassen, die auch den Wirtschaftsstandort fuer
Supermarktketten gefaehrdet sehen wollten - weil sich immer mehr
Wiener Hausfrauen Milch und Semmeln in Bratislava kaufen, nehme
ich mal an...

Aber fuer viele andere Dinge, die produziert werden, ist die
Behauptung des Herrn von der Wirtschaftskammer schon richtig.
Waere nicht der Binnen-Anteil des Handelsvolumen von EU-Produkten
so hoch und die Sozialstandards innerhalb der EU durchaus
vergleichbar, haetten wir schon weitaus schlimmere Probleme mit
der Kapitalflucht zu gewaertigen.

Aber warum kann das Kapital so leicht weg? Weil der boese
Protektionismus zurueckgedraengt worden ist. Waren, Waehrungen und
Wertpapiere koennen fast ungehindert ueber den Globus verschoben
werden. Denn es gibt kaum mehr Handelshemmnisse. Und das heiszt
natuerlich, dasz ich irgendwo produzieren und irgendwoanders
verkaufen kann -- wo es halt gerade den groeszten Profit gibt. Und
wenn man diesen besteuert, dann schauen die Herren Unternehmer, wo
sie guenstiger produzieren koennen. Deswegen kann der Herr von der
Wirtschaftskammer auch sagen, dasz man mit dem Kapital vorsichtig
umgehen musz. (Waehrend man mit den vielen nicht reichen Menschen,
die sich nicht gegen Steuererhoehungen wehren koennen, ruhig ein
bisserl haerter umspringen kann - was der Herr von der
Wirtschaftskammer wohlweislich nicht so deutlich gesagt hat.)

Das heiszt, ein Staat darf sich das Geld nicht dort holen, wo es
liegt, da er mit einem Verlust an Produktionsstaetten zu rechnen
hat. Es waere sehr einfach, dem einen Riegel vorzuschieben, indem
man rigoros Kapitalbewegungen legislativ einschraenkt und sich
auch der Macht des eigenen Marktes bewuszt wird. Denn was
produziert wird, musz auch verkauft werden. Und wenn eine Ware von
anderswo kommt, hier aber abgesetzt werden soll, dann kann der
Finanzminister sagen: Schoen, fuehrt eure Waren ein, aber das
kostet was. Die Wettbewerbsfaehigkeit dieser Produkte erhielte
einen Daempfer.

Ich weisz schon: Protektionismus ist sicher kein Allheilmittel --
aber zumindest eine Notbremse. Protektionismus behindert auch
gesellschaftlich sinnvolle Ex- und Importe. Und Protektionismus
war immer ein Mittel der Staaten, die Prosperitaet im eigenen Land
-- oder zumindest der dort herrschenden Schicht -- zu schuetzen
und ueberhaupt nicht am globalen Interesse des Schutzes von
Wirtschaftskleinraeumen orientiert. Auch ist der Staat sicher eine
genauso eklige Machtanballung wie das Kapital und ihm daher nicht
zu vertrauen. Aber vielleicht kann man den Staat an seinen eigenen
Maszstaeben messen, seine Kapitalverbundenheit offensiv
kritisieren und dann versuchen diesen Beelzebub auf den Teufel
Kapital zu hetzen...

Denn der Protektionismus hat seine Meriten. Dazu zaehlt sicher
auch der Schutz der Kaufkraft. Denn er wirkt nicht nur als Schutz
fuer den eigenen Markt, sondern auch auf das Ausmasz an
Exportorientiertheit der Unternehmen in anderen Staaten. Mueszte
die Bundeswirtschaftskammer beispielsweise davon ausgehen, dasz
ihre Mitglieder ihre Produkte nur mehr eingeschraenkt im Ausland
verkaufen koennen, waere fuer sie ploetzlich die hiesige Kaufkraft
viel interessanter -- und sie koennten nicht mehr so wild ueber
Sozialausgaben herziehen. Ohne Markt kann man nunmal nichts
verkaufen.

Es ist schon signifikant: Fuer Menschen macht der Staat die
Grenzen dicht und unsere classe politique labert diesbezueglich
von "Sicherheit". Das freie Fluten von Kapital und Waren wird
hingegen nicht behindert. Die Realisierung der eigentlichen Idee
der Zollwache, also der Schutz der nationale Oekonomie durch die
Einhebung von Zoellen, wird voelkerrechtlich unterbunden.

Das heiszt: Die Gefaehrdung des Wirtschaftsstandorts ist kein
Vulkanausbruch und kein Erdbeben, also keine Gefaehrdung, die man
als gegeben annehmen musz, wie es so ziemlich alle derzeit
einigermaszen ueber Oeffentlichkeit verfuegenden pressure groups
sehr wohl tun.

Der Rollback passiert. Ein Teil davon ist das aktuelle
Belastungspaket. Denn der Staat holt sich dort das Geld, wo
weniger Widerstand als bei den Konzernen zu erwarten ist -- bei
denen, die eben von diesem Machtmittel nicht sehr viel mehr haben,
als noetig ist, um davon zu leben.

Eine Kritik an dieser Erdbeben-Theorie ueber die
Produktionsabsiedlung ist also dringend geboten. Denn wenn sie
nicht stattfindet, erscheint dieser Rollback unwidersprochen als
logisch. *Bernhard Redl*
 
 

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