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Aussendungszeitpunkt: 20.6.2000; 21:00
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Widerstand:

> Macht braucht Mittel

Vom Symbol zur Realitaet

Die Aktionen der Donnerstags-Demo letzte Woche, sowohl die
Erstuermung der "Schubhaft"-Container als auch des Grasser-
Vortrages im Marriot-Hotel haben eins gemeinsam: Sie stellen rein
symbolischen Widerstand dar. Die dramaturgisch innovative
Ergaenzung eines theatralisch bildhaft gemachten Miszstandes als
auch der in seiner schaumgebremsten Durchfuehrung ebenfalls nur
als gleichnishaft anzusehende "Sturm" auf das Marriot-Hotel
fuehrten ja nicht zu ernstzunehmenden Schaeden. Diese Aktionen -
die ich hier nicht abwerten moechte, sorgten sie doch dafuer, dasz
die alldonnerstaegliche Demo wieder medial praesenter wurde -
waren paradigmatisch fuer den ganzen Widerstand in seiner reinen
Symbolhaftigkeit; also dafuer, dasz es sich mehr um Protest
anstatt um Widerstand im Sinne von direkter Aktion handelt.

Die zivile Moral des Widerstandes von unten beschraenkt sich
nunmal auf agitatorische Masznahmen im weitesten Sinne. (Das gilt
im uebrigen auch fuer die "Sanktionen der 14", die obwohl von oben
kommend, auch nur aus Unfreundlichkeiten bestehen und nichts mit
dem zu tun haben, was man bspw. im Falle des Iraks oder
Jugoslawien unter dem Begriff "Sanktionen" versteht.)

Den inlaendischen Protesten sowie denen der EU-Regierungen ist
eins gemeinsam - sie koennen kaum direkt, sondern nur indirekt
ueber die Massenrezeption wirken. Da die oeffentliche Meinung vor
allem durch die veroeffentlichte Meinung gepraegt ist. Auch hier
sind wir auf den Goodwill derjenigen angewiesen, die das
Machtmittel der Massenbeeinflussung in Haenden haben. Natuerlich
kann Radio Orange theoretisch von einer Million Menschen empfangen
werden - aber praktisch? Aehnliches gilt fuer die doch recht
erschoepflichen Moeglichkeiten, die das hochgejubelte Internet
bietet. Fakt bleibt leider eben doch, dasz wir uns bei reiner
Symbolik im besten Fall dem ORF, im schlimmsten Fall der
Kronenzeitung oder taeglich Alles ausliefern.

Waehrend die EU-"Sanktionen" unter den Bedingungen einer zumindest
staatstragend, wenn nicht gar einfach nur reaktionaer gelenkten
Massenrezeption dazu fuehren, dasz sich diese Regierung mehr
dahinter verschanzen kann, als dasz tatsaechlicher Druck dadurch
ausgeuebt wird, werden hingegen die hiesigen Proteste einfach
laufengelassen - ohne sie ernsthaft zu behindern. In der WoZ las
ich einmal die schoene Bemerkung ueber die DDR: "Frueher wurden
Dissidenten kriminalisiert, heute ignoriert man sie. Auch das
beweist die Ueberlegenheit des Kapitalismus." So ungefaehr ist die
Taktik der Bundesregierung ebenfalls zu sehen: Seht her, wir sind
so demokratisch, dasz wir sie nicht jedesmal niederpruegeln, wenn
sie auftauchen, obwohl es ihnen eigentlich gebuehrt. - Und diese
Taktik geht auf.

Die Proteste bleiben also das, was unter den Bedingungen der real
existierenden Vertretungsdemokratie als legitim angesehen wird
(von autoritaeren Kriminalisierungsversuchen la Westenthaler
einmal abgesehen), um tatsaechliche Angriffe auf den Staat zu
vermeiden. Dabei ist es letztendlich egal, ob es sich jetzt um den
Widerstand gegen diese Regierung oder den buergerlich-
paternalistischen Staat als solchen handelt: Dem Widerstand fehlen
einfach die real anwendbaren Machtmittel.

Das heiszt, wir muessen uns fragen, ob wir nicht auch der direkten
Aktion, also der unmittelbaren Behinderung des Apparats beduerfen.
Ich will hier dezidiert nicht zu illegalen Aktionen aufrufen -
schon aus rechtlichen Gruenden, aber wohl auch deswegen, weil es
nicht sinnvoll ist, wenn sich Menschen bei solchen Aktionen
"verheizen". Aber vielleicht gibt es legale Moeglichkeiten, ueber
die agitatorische Ebenen hinauszugehen.

Streik und Boykott fallen einem da zuerst ein. Streik? Streik in
Oesterreich? Schon, einige Gewerkschaftshaeuptlinge reden davon.
Aber wenn man hoert, dasz der OeGB seine Funktionaere erst
einschulen musz, wie ein Streik funktioniert oder der SPOe-Chef
der Meinung ist, dasz Streik keine gute Idee ist und nur das
allerletzte Mittel sein darf, sind Hoffnungen vielleicht kaum
angebracht. Vor allem auch deswegen, weil die Erkenntnis der
Arbeiterbewegung, dasz ein Streik nicht nur ein
gewerkschaftliches, sondern auch ein im engeren Sinne politisches
Mittel sein kann, in SPOe und OeGB laengst verschuett gegangen
ist. Vielleicht gibt es einmal einen Streik bei den Eisenbahnern
wegen ihrer Pensionen, also wegen Partialinteressen einer
einzelnen Gruppe - auf einen Streik aber gegen die allgemeine
Austeritaets- und Pauperisierungspolitik im Land werden wir in
Oesterreich wahrscheinlich so bald nicht erleben. Und auszer dem
OeGB gibt es derzeit in diesem Land keine Organisationen, die
Streiks initieren koennten.

Mit dem Boykott ist es aehnlich - wer soll dazu aufrufen? Wenns
gegen Ost-AKWs geht, kann man immer noch auf die Kronenzeitung
hoffen. Aber was macht man bei der Demontage der sozialen Rechte
durch die eigene Regierung. Und: Wen soll man boykottieren? "Kauft
keine oesterreichischen Waren!"?

Andere Moeglichkeiten? Steuerstreik? Ein praktisch kaum
durchfuehrbares Mittel: Lohnabhaengigen steht es gar nicht zur
Verfuegung, fuer Selbstaendige wird das im Gegensatz zur selten
aufgedeckten Steuerhinterziehung ziemlich bald ziemlich teuer. Ein
paralleles Wirtschaftssystem, dasz soziale Ungleichheiten des
kapitlistischen Staates abfedert? Der beste Ansatz dazu waeren ja
die Tauschkreise, aber deren politische Konzepte bauen eher auf
Spasz an der Freud auf und sehen ueberhaupt keine nennenswerten
Fuersorgemodelle vor.

In den 80er-Jahren, als die Umweltbewegung auf ihrem Hoehepunkt
war, gab es nicht nur symbolische Aktionen. Viele Blockaden waren
nicht nur inszeniert fuer die Fernsehkameras, sondern real,
Menschen setzten sich vor die Bagger und kamen wochen- und
monatelang immer wieder und wieder. Sie benutzten die Medien zwar
zum Transport ihrer Anliegen und bisweilen auch als Schutzschild
vor allzu ausufernden Polizeibrutalitaeten, aber der zentrale
Ansatz war der des Zivilen Ungehorsams: Wir sind hier, damit ihr
da keinen Scheisz bauts. Und wenn ihr uns nicht dahaben wollts,
dann mueszt ihr uns wegtragen, das ganze Gebiet einzaeunen und Tag
und Nacht bewachen. Wobei diese an sich illegalen Aktionen sich
nicht nur auf einen ueberrechtlichen Notstand beriefen, sondern
sich nachtraeglich nicht selten als ueberaus staatstragend
erwiesen, da manche Projekte erst als Folge der Proteste von den
Behoerden und politischen Gremien ordentlich geprueft wurden -
woraus sich da oft ergab, dasz diese Projekte nicht wirklich
tragbar gewesen waeren. Aber erstens ist die Rechtslage heute
leider eine verschaerfte - nach einem OGH-Urteil wurden Besetzer
neben der verwaltungsrechtlichen Anzeigen auch mit Zivilklagen
ueberzogen, die nicht mehr leistbar waren - und zweitens: Was will
man heutzutage besetzen? Schubhaefen? Das AMS? Weder bekommt man
so Haeftlinge frei noch verwehrte Arbeitslosenunterstuetzung
ausbezahlt.

Was tun? Ich weisz es nicht. Natuerlich: Es ist kein guter Schlusz
einer solchen Glosse, wenn man dann sagt: "Ich habe auch keine
Ahnung, was wir tun sollen!" Aber vielleicht kann man gemeinsam
etwas entwickeln - die vielbemuehte Phantasie ist hier vonnoeten.
Denn der buergerlich-formaldemokratische Staat ist in seinen
Formen der repressiven Toleranz schon soweit entwickelt, dasz er
sich nicht wirklich vor der freien Meinungsaeuszerung fuerchten
braucht, solange diese nicht in der Kronenzeitung steht. Es gilt
daher, einen qualitativen Sprung in den Widerstandsformen zu tun.
Symbolik und Metaphern koennen was Wunderbares sein. Aber es gibt
nunmal nichts Staerkeres als die normative Kraft des Faktischen.
*Bernhard Redl*



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