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Aussendungszeitpunkt: 20.6.2000; 21:30
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Widerstand:

> Die Chance zum Ungehorsam

Ueber die erlaeszlichen Schwierigkeiten der Begriffsfindung von
Protestbewegungen

Ramon Reicherts Auseinandersetzung mit den normativen
Eingrenzungsversuchen und den Charakteren der "Zivilgesellschaft"
(akin 19/2000, akin-pd 6.6.2000) ist zweifellos eindrucksvoll und
klar. Zuviel scheint mir allerdings in seiner Arbeit der
Beleuchtung dessen gewidmet zu sein, was Zivilgesellschaft alles
nicht ist. Was mir fehlt, ist der utilitaristische Zugang - also
der Augenmerk auf die aktuelle Nuetzlichkeit und die politischen
Chancen, die die bunten Facetten des Widerstandsmosaiks bilden.
Gerade in einem traditionell autoritaeren und demokratiepolitisch
rueckstaendigen Land ist das kollektive Erlernen von Ungehorsam
hoechste Zeit, auch wenn es sich in diesem Fall aeuszerst griffig
und zwangslaeufig blosz durch die Gegnerschaft gegen eine
miszliebige Regierung auszudruecken scheint.

In Anbetracht der demokratiepolitischen Ressourcen und des hohen
Standes verbuergerlichter sozialer Kontrolle ist es mir vom
ideologischen Blickwinkel aus ziemlich egal, ob Praxis und Denken
des gegen die schwarzblaue Regierung artikulierten Widerstands von
einem grundlegenden Paradox durchzogen sind. Die Beschwoerung
strikter Rechtskonformitaet konservativer Interpreten einer "civil
society" nach khol'schen oder kommunitaristischen Vorbildern kann
nicht unser Thema sein - ebensowenig der ausschlieszlich
rechtspositivistische Anspruch jedes Widerstands. Na und - wieso
sollen wir uns auch nur theoretisch aufzwingen lassen, welche
Formen der Zivilgesellschaft den jeweiligen Regierungen
konvenieren? Wenn sie andere haben wollen, sollen sie sich welche
schnitzen.

Die ausschlieszliche Theoretisierung eines politischen Begriffs
scheint diesen diesen in nicht wiedererkennbare Fragmente zu
zerlegen. In den Diskursmodellen des von Reichert zitierten
Juergen Habermas ist vieles zu finden, was einer Begriffsklaerung
zivilgesellschaftlicher Phaenomene dient, aber nicht die Rede von
Aufwachen, von Hedonismus und dem Ausweiten eines kollektiven
anarchistischen Destruktivismus, der sich an starren
demokratiefeindlichen Strukturen zu vergreifen beginnt. Auch das
passiert momentan erfreulicherweise - zumindest teilweise. Die
Diskursmodelle werden zwar unter schwierigen Umstaenden, aber
selbst und neu bestimmt.

Noch mal, die fundierte Auseinandersetzung Reicherts mit dem
Vergleich zivilgesellschaftlicher Phaenomene ist auf jeden Fall
zu begrueszen, die Vermischung mit der hierzulande agierenden
Protestbewegung gegen die Koalition nicht so sehr. Dahingegehend
sind es formalistische Eingrenzungsversuche mit obsoleten - wenn
auch noch so serioesen - wissenschaftlich untermauerten Warnungen,
es koenne sich aus diesen und jenen Gruenden nun auf gar keinen
Fall um dies oder das handeln. Na und? Es geht in erster Linie um
Widerstand, um die Widerstandsziele und nicht um die
formalistische Benennung desselben, was diesen Widerstand wieder
einengen und permanent auf Legitimationsfaehigkeit untersuchen und
dadurch spalten wuerde. Einigung duerfte darueber bestehen, dasz
Ausbeutung nur durch das Schweigen der Laemmer ermoeglicht wird.
Diesen Zustand gilt's zu beenden. Im uebrigen moecht' ich Hannah
Arendts Arbeiten ueber Widerstand erwaehnen, die unter anderem in
einer "civil society" die Chance erblickte, Mauern
niederzureiszen, die die Menschen voneinander trennen, ohne
unbedingt die Macht uebernehmen zu muessen. *Fritz Pletzl*



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