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Aussendungszeitpunkt: 20.6.2000; 23:30
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Widerstand:

> Tschuschen-Power!

Von jeglicher politischer Partizipation ausgeschlossen, begannen
die MigrantInnen sich in den letzten Jahren immer mehr Bereiche
des oeffentlichen Diskurses zu erobern. Mit dem Antritt der neuen
rechtsrechten Regierung scheinen sie wieder in einen Dornroeschen-
schlaf versunken zu sein.

Die Gruende, warum mensch diese neue rechtsrechte Regierung nicht
mag/will, sind vielfaeltig. Die Formen, dieses Nicht-Moegen/Wollen
zu artikulieren, sind ebenfalls sehr vielfaeltig und bunt.
Allerdings beschraenkt sich die Vielfalt auf die Ausdrucksformen,
die sich in einem Kraftakt der Mobilisierung des kreativen
Potentials der OesterreicherInnen zeigt; zumindest in Wien,
zumindest auf den Donnerstagsdemonstrationen: Eine fuer
Oesterreich neue, von Witz und Geist gepraegte sogenannte
Widerstandskultur ergieszt sich auf die Strassen. Sogar Torten
werden geworfen und verursachen eine grosse Aufregung!

Unabhaengig davon, wie mensch zu all den Widerstandsbekundungen
gegen diese rechtsrechte OeVP/FPOe-Regierung steht, ist eins
auffaellig: Mitglieder der ethnischen Communitys fehlen! Auf den
(wiener) Donnerstagsdemonstrationen sind sie vereinzelte
Erscheinungen. In all den maling-listen, e-mail-Zeitungen oder
web-sites sind sie singulaere Erscheinungen. Sag mir wo die
Tschuschen sind...

Um keine Missverstaendnisse aufkommen zu lassen:
Selbstverstaendlich sind Mitglieder von ethnischen Communitys mehr
oder weniger im sogenannten Widerstand gegen die Regierung aktiv.
Aber sie bleiben singulaere Erscheinungen. Konnte die Ermordung
von M. Omofuma noch ganze Tausendschaften von Menschen mit
schwarzer Hautfarbe zum Protest mobilisieren, ist die Community im
Augenblick recht unsichtbar. Aber auch die anderen ethnischen
Communitys machen sich rar; sogar um die sonst sehr
demonstrierfreudigen kurdischen Organisationen ist es recht still
geworden. Als Bevoelkerungsgruppe scheinen wir TschuschInnen
wieder einmal unsichtbar geworden zu sein!

Kann es sein, dass die augenblickliche politische Situation in
Oesterreich die ethnischen Communitys nicht betrifft? Dass sie die
Entwicklungen nicht als etwas wahrnehmen, das auch sie angeht?
Oder ist es halt ein Oesterreichisches Problem, dass die
OesterreicherInnen bittedanke auch ohne die MigrantInnen loesen
sollen? Die Schlange, die mich nicht beisst, soll tausend Jahre
leben!

Wir brauchen nicht zu romantisieren: auch vor dieser rechtsrechten
Regierung hatten MigrantInnen in diesem Land nichts zu lachen. Im
europaeischen Vergleich restriktivste MigrantInnen-Politik wurde
unter sozialdemokratischen Regierungen und Ministern in Gesetze
gegossen und umgesetzt. Fatalismus erscheint angebracht: Schlimmer
kann es ja nicht kommen!

Aber vielleicht ist es ja auch nur Furcht: Jetzt geht es uns an
den Kragen, am besten halten wir still! Herr, lass diesen Kelch an
mir voruebergehen! Wenn wir diese Regierung nicht reizen, wird sie
uns auch in Ruhe lassen!

Ist wirklich die Zeit der grossen Stille angebrochen? Nun, warum
sollte auch ploetzlich jetzt, unter dieser rechtsrechten
Regierung, die grosse Partizipation ausbrechen? Langsam begannen
die ethnischen Communitys sich in den letzten Jahren politisch zu
Wort zu melden und ihre Rechte einzufordern. Die politischen
Konzepte der "Gast-Arbeiter", die begriffen zu haben schienen,
dass sie und ihre Kinder in Oesterreich bleiben werden, also ihr
Lebensmittelpunkt und ihre Zukunft hier und nicht in den
Ursprungskulturen zu finden ist, orientierten sich immer mehr an
der oesterreichischen Innenpolitik. Sie wurden immer sichbarer,
sie begannen sich einzumischen.

Diese doch relativ neue Entwicklung scheint nun abrupt beendet zu
sein. Die ethnischen Communitys scheinen sich wieder in ihre
Schneckenhaeuschen zurueckgezogen zu haben, um... abzuwarten?
Erstmal schaun, was sich da tut, dann werden wir weitersehen?

Warten auf Godot?

Wenn es tatsaechlich eine Strategie des passiven Beobachtens und
Abwartens ist: Worauf wird gewartet? Auf die Normalisierung der
Zustaende? Na danke, das kanns ja nicht sein! So toll war unsere
Situation unter SPOe-MinisterInnen auch nicht! Und Allah bewahre
uns vor einer "Normalisierung"!

Warten auf die EU? Die werden es schon richten und aufpassen auf
uns? Dreimal Allah bewahre: ja, die werden es sich schon richten
und einen Weg finden, um sich mit dieser von ihnen derzeit noch
abgelehnten Regierungsbeteiligung der FPOe zu arrangieren!

In Wirklichkeit gibt es fuer uns MigrantInnen rein gar nichts,
auf das wir hoffend warten koennten. Zum einen werden MigrantInnen
unter dem generellen Sozialabbau um eine Spur massiver erdrueckt
werden als OesterreicherInnen, denn auch vorher hiesz es: Gleiche
Pflichten, ungleiche Rechte. Zum anderen werden explizit
MigrantInnen wahrscheinlich unter der Verschaerfung der Politik
gegen sie zu leiden haben.

Was sich aber bereits jetzt abzeichnet: Noch nie wurde
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus so offen und selbsbewusst zur
Schau getragen wie in diesen Tagen! MigrantInnen bekommen nicht
nur die Systemgewalt staerker als je zuvor (siehe die Toten der
letzten Wochen im Gewahrsam der Republik!), sondern ganz einfache
BuergerInnen trauen sich offen (nicht nur verbal!) ihren Hass zu
zeigen. Wie kann ein Leben in einem solchen Klima aussehen? Gar
nicht: Es verkommt zu einem Ueber-Leben. Wenn es tatsaechlich ums
nackte Ueberleben, um die Existenz geht, bleiben auch die hohen
politischen Ideale auf der Strecke. Aber wie kann mensch es
jemandem verdenken: Wir haben nun mal nur ein Leben, dass wir
verlieren koennen!

Tu Felix Austria

Nein, wir MigrantInnen haben nicht viel zu lachen im Augenblick.
Auch ich denke mir immer oefter: Jede/r bekommt die Regierung, die
sie/er verdient. Vielleicht hat es Oesterreich wirklich verdient,
dass Burschenschaftler in der Regierung sitzen; dass Maenner, die
eindeutig zur rechtsradikalen Szene zu rechnen waren und sind als
parlamentarische Mitarbeiter in den Gaengen des Hohen Hauses herum
kriechen; dass ein Andreas Moelzer (siehe Handbuch des oester-
reichischen Rechtsextremismus) schamlos im staatlichen Fernsehen
auftreten kann und Kulturreferent eines suedlichen
Landeshauptmanns sein darf. Vielleicht haben sie auch tatsaechlich
einen Bundes-kanzler verdient, der sich selbst vergessen hat und
ganz ungeniert die Koenigs-Cobra abbusselt. Armes Oesterreich,
dass sich von PolitikerInnen regieren laesst, die um ihre
Machtgelueste zu stillen, scheinbar zu allem bereit sind.

Die Gutmenschen

Es ist also absolut nicht verwunderlich, dass MigrantInnen sich
zurueckziehen und in die "innenpolitschischen"
Auseinandersetzungen nicht einmischen. Auf der anderen Seite gibt
es natuerlich auch noch die Gutmenschen. Ljubomir Bratic nennt sie
treffend "Die HelferInnen" (nachzulesen bei MUND): nicht einmal
bei Organisationen wie SOS-Mitmensch (die ja aufgebrochen sind, um
uns MigrantInnen zu befreien und uns zu unseren Rechten zu
verhelfen) partizipieren keine MigrantInnen; zumindest nicht auf
einfluss-reicher, politisch sichtbarer Position. Stattdessen
belehrt uns Georg Danzer, dass wir nicht mehr "Tschusch" und
"Neger" sagen duerfen. Danke, genau das haben wir jetzt gebraucht!

Noch nie hatten wir MigrantInnen so viele AnwaeltInnen und
FuersprecherInnen wie zur Zeit. Brav. Buergerliche Toechter und
Soehne sind barfuessig und in zerrissen Jeans ausgezogen, um uns
zu unseren Rechten zu verhelfen. Toll. Das Engagement all dieser
Menschen in allen Ehren: Aber sie haben unterwegs ein wesentliches
Moment zurueckgelassen, naemlich den Dialog mit den Betroffenen.
Diese Haltung zeugt natuerlich auch von einem gewissen,
unbewussten Rassismus, naemlich das MigrantInnen nicht in der Lage
sind, ihre Anliegen auch selbst zu formulieren.

Jede/r bekommt die Gutmenschen, die sie/er verdient. Aber ich
mache niemandem einen Vorwurf, wir haben ja selber Schuld! Allah
gab uns eine Zunge, also benutzen wir sie auch. Wir MigrantInnen
muessen aufwachen und uns aus unseren ethnischen Nischen hinaus in
die breite Oeffentlichkeit begeben. Oder von unseren
Elfenbeintuermen hinabsteigen in die Realitaet und Partei
ergreifen: Fuer uns selbst. Unsere eigenen Positionen artikulieren
und sichtbar werden. Wenn wir keine AnwaeltInnen wollen, muessen
wir selbst aktiv werden. Das kreative und intellektuelle Potential
ist vorhanden; wir muessen vielleicht nur unsere Bequemlichkeit
oder Furcht (oder beides) ueber Bord werfen und aufstehen: Hier
sind wir!, und - hoert! Hoert! - wir koennen sogar Deutsch, wir
koennen sogar Forderungen aufstellen!

TschuschInnen: Hoert die Signale!

Auf den Wiener Donnerstagsdemonstrationen erscheinen seit kurzem
immer wieder Transparente, auf denen zu lesen ist: "Jetzt erst
recht! - TschuschenPower", oder "Schluss mit Kuscheln, wir wollen
Sex! - TschuschenPower". Herr Danzer wird ob solcher Engleisungen
sicher sehr boese: Tschuschen-Power, wie kann mensch nur!
Tatsaechlich hat sich eine Initiativgruppe gebildet, die sich doch
tatsaechlich provokant und selbstbewusst TschuschenPower
(tschuschenpower@hotmail.com) nennt. Da formieren sich still und
langsam MigrantInnen, die entdeckt haben, dass sie jenseits von
Folklorisierung und Gastarbeiter-Gejammer eine Stimme haben, frech
und unkonventionell auf eine Bevormundung durch die Gutmenschen
verzichten wollen und statt dessen versuchen ihre eigenen
Positionen zu erarbeiten und kommunizieren. Keine Revolution, nein
sondern ein klares: Hier sind wir, sichtbar, unuebersehbar.
Vielleicht nicht der Schluessel zur Loesung gegenwaertiger
Probleme, aber ein moeglicher Weg im Kampf gegen Rassismus,
Diskriminierung und Bevormundung.

Und genau darum geht es, bei OesterreicherInnen und MigrantInnen
gleichermassen: Aufzustehen und die Stimme zu erheben, den Stift
zu schwingen, die Fuesse marschieren zu lassen. Die Formen sind
mannigfaltig. Nur tun muessen wir etwas. Das staendige Jammern und
Lamentieren hat uns nichts gebracht, kompetente Aktion ist
gefragt, das Engagement von jedem von uns. Und gerade jetzt,
dringender und wichtiger als vielleicht je zuvor, muessen wir
MigrantInnen uns formieren und erheben. Usw.

Schwingt da ein aggressiver Ton mit? Ein Rundumschlag? Aufruf zum
Kampf? - Die Antwort ist um vieles einfacher: Es ist die
Muedigkeit. Einen Schritt vor, drei Schritte zurueck. Vielleicht
ist es an der Zeit, einfach mal zwei Schritte auf einmal nach
vorne zu machen. Oder aber der Gedanke, dieses Land zu verlassen,
der mir in letzter Zeit immer oefter durch den Kopf schwirrt. Aber
nein: TschuschenPower heisst die neue Losung. Hier sind wir, hier
bleiben wir!

In diesem Sinne: TschuschInnen: Hoert die Signale! - Auf in den
Kampf! Es gibt viel zu tun. Packen wir es selber an!

Hikmet Kayahan
(hikmet.kayahan@chello.at / via MUND / wenig gek.)



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