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Aussendungszeitpunkt: 6.6.2000; 15:30
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Prinzipielles:

> Was heiszt hier "Zivilgesellschaft"?

Ein Graswurzel-Begriff macht Karriere

Der mit dem politischen Widerstand gegen die Regierungsbeteiligung
der FPOe verknuepfte Begriff der "Zivilgesellschaft" hat Karriere
gemacht. Im mainstream der Berichterstattung behuetet er die
politische Unruhe: er gilt als friedlich, vernuenftig, risikolos
und moralisch integer. Kaum jemand, der gegen diesen Begriff etwas
einzuwenden haette. Die massenmediale Repraesentanz der
"Zivilgesellschaft" und die moralischen credits, die diesem
Schluesselbegriff des Widerstands gegen die schwarzblaue Regierung
entgegengebracht wurden, konnte jedoch nur gelingen, weil die
basisdemokratischen Motive, die mit diesem "Graswurzel"-Begriff
einst verknuepft waren, ihren marginalen und gleichsam subversiven
Status verloren haben und (laengst schon) Teil des offiziellen
Sprachgebrauchs geworden sind.

Als politischer Begriff entspringt "Zivilgesellschaft" keineswegs
exklusiv "dem" Protestvokabular. Er reicht vom "zivilgesell-
schaftlichen Engagement" des amerikanischen Kommunitarismus zur
Optimierung nationalen Leistungspotentials bis zur
osteuropaeischen Dissidentenbewegung und den friedlichen
"Kerzenrevolutionen", bis zu sozialtechnokratischen outsourcing-
Ansaetzen, die in zivilen Problemloesungskompetenzen neue
Produktivfaktoren (Stichwort "Ehrenamt") wittern. Die Karriere des
Begriffs der "Zivilgesellschaft" verdankt sich jedoch den rigiden
Liberalisierungsprogrammen der letzten Jahre.

Um die symbolische Definitionsmacht der Begriffe wie "Demokratie",
"Buergergesellschaft" oder "Zivilgesellschaft" wird derzeit ein
erbitterter Kampf gefuehrt. Wie Alex Demirovic in "Demokratie und
Herrschaft" bemerkt, sind politische Konflikte in hohem Masze zu
Deutungskonflikten um die Demokratie geworden. Die Apologie der
gesellschaftlichen Verhaeltnisse wie ihre Kritik bewegen sich im
Rahmen demokratietheoretischer Bemuehungen.

Bekanntnlich begreift Antonio Gramsci "Zivilgesellschaft" nicht
als Gegensatz zur Regierung, sondern definiert im Gegenteil
"Zivilgesellschaft" als hegemoniale Konsensgemeinschaft. Diese ist
jener Teil der Gesellschaft, in dem der sogenannte integrale Staat
den "Konsens der Unterdrueckten" mit den buergerlichen Werten
organisiert und so die Hegemonie der herrschenden Klasse sichert.
Das "Zivile" ist in normativer Hinsicht leicht besetzbar als
Angelpunkt fuer alle moeglichen Szenarios sozialer Ordnungen.
Diffuse Vorstellungen von Basisdemokratie, Buerger- oder
Zivilgesellschaften zirkulieren im gesamten politischen Spektrum.
Es ist nicht zwingend, aus der Kritik an der schwarzblauen
Regierung in direktem Reflex die moralische Gesinnungsethik im
Namen der "Zivilgesellschaft" auszurufen. Es gilt vielmehr
kritisch zu hinterfragen, warum der Begriff der "zivilen
Gesellschaft" diese Prominenz in den aktuellen Debatten gewinnen
konnte.

Der Begriff der "Zivilgesellschaft" ist das Gute-an-sich,
niemand hat Probleme mit diesem Begriff, jeder vermag sich
zur "Zivilgesellschaft" zu bekennen. "Zivilitaet" entspricht
einem Minimalkonsens. Durch diesen Gemeinplatz koennen nicht
nur soziale, oekonomische, rechtliche Ungleichheiten nivelliert
werden, den Begriff der "Zivilgesellschaft" durchzieht vor allem
eine antioekonomische Tendenz. Das Grundproblem der
"Zivilgesellschaft" ist die allzu enge Rueckkoppelung an
vorgegebene politische Institutionen. Indes geraet die Analyse der
Produktionsverhaeltnisse ins Hintertreffen, welche in den heutigen
Debatten der Opinionleader des zivilgesellschaftlichen Widerstands
ohnehin kaum eine Rolle spielt. Ihr Begriff des Politischen und
die Fragen der demokratischen Gesellschaftsorganisation beruehren
blosz am Rande kapitalwirtschaftliche Wirtschaftsstrukturen oder
die laufenden Anpassungsprogramme an EU-Konvergenzkriterien.

Zivilgesellschaftlicher Ueberschwang vermag wohl unterstellen,
dasz alle BuergerInnen und NichtbuergerInnen, die am Diskurs
teilnehmen auf allen Ebenen gleich sind. Doch die
sozialempirischen Daten Oesterreichs und der EU-Staaten zeigen
zementierte Ungleichheiten des citizenship: diese reichen vom
Problem der Informationseliten bis zu dem Problem, dasz
AuslaenderInnen in rechtlicher Hinsicht gar keine MitbuergerInnen,
sondern weitgehend rechtlose, im Subproletariat festgehaltene
Subjekte darstellen. Daher verbleibt ein zivilgesellschaftliches
Denken, welches nicht in der Lage ist, die kapitalwirtschaftlichen
Vorgaben der herrschenden politischen Oekonomie mitzudenken,
weitgehend strukturkonservativ.

*Feindselige Mehrheit*

Die Version der "Buergergesellschaft", wie sie die Regierung
versteht, geht von der einheitlichen "Zivilgesellschaft" aus, die
sich dem demokratischen Diktat der Mehrheit zu fuegen hat. Den
dazugehoerigen Legitimationsglauben hat Carl Schmitt in seiner
"Verfassungslehre" auf die einpraegsame Formel gebracht: "Was das
Volk will, ist eben deswegen gut, weil es (das) will".

Sobald man von der einstimmigen zur Mehrheitsentscheidung
uebergeht, fehlt es an der individuellen Zustimmung der
Dissidenten. Doch die Herrschaft einer feindseligen Mehrheit kann
fuer die Minderheit toedlich sein.

Die Kriegsrhetorik der Regierung appelliert an den wehrhaften
Buerger. Partizipation heiszt hier: "nationaler Schulterschlusz".
In einer schoenen Redewendung nannte Hegel diese nationale
Mobilmachung der politischen Sprache "Enthusiasmierung des
Inneren". Die schwarzblaue Regierung verfolgt zur Zeit ein rigides
Konzept der Repatriotisierung des "Volkskoerpers". "Identitaet"
und "Zugehoerigkeit" wird dialektisch negativ vermittelt ueber
das, was nicht dazu gehoert. Grundlage des "nationalen
Schulterschlusses" ist nach Hegel das "negative Wesen", das sich
als "die eigentliche Macht des Gemeinwesens und die Kraft seiner
Selbsterhaltung zeigt". Diese autoritaere Instanz, die die
vereinzelten politischen Willen zu einem einheitlichen nationalen
"Volkskoerper" zusammenschweiszen soll, wird in einem obskuranten
Essentialismus des "Aeuszeren" ("Die" EU, "der" Osten etc.) und
seinem Substrat, des "Fremdlaendischen" festgemacht.

Indem im "nationalen Schulterschlusz" homogene
Praeferenzen der Staatsbuerger angenommen werden, wird die
Begruendung der Gehorsamspflicht gegenueber der
Mehrheitsentscheidung normativ zwingend unterstellt. Auf der
Tagesordnung steht dadurch die Durchsetzung der Tyrannei der
Mehrheit, der ein einheitlicher Wille oder jedenfalls ein
einheitliches Interesse zugeschrieben wird. In dieser Variante der
"Zivilgesellschaft" wird eine moralische Verpflichtung zum
Gehorsam gegenueber Mehrheitsentscheidungen abverlangt. Je
gravierender die Opfer sind, die durch Mehrheitsentscheidung
potentiell abverlangt werden koennten, desto hoeher die
Anforderungen an den "Gemeinsamkeitsglauben", der erst diese
Risiken als tragbar erscheinen laeszt. Damit einhergehend wird die
wirtschaftsliberale Version der Buergergesellschaft (Diskurs der
Selbstregierung, der Vollrechtsfaehigkeit etc.) hervorgehoben, mit
der noch ungenutzte Problemloesungspotentiale mobilisiert werden
koennen, welche in bestimmten Bereichen (exekutive
Kontrollaufgaben wie Buergerpolizei, Gratis und Zwangsarbeit etc.)
die abnehmende Handlungsfaehigkeit des Staates kompensieren
sollen. In diesem Zusammenhang wird rasch klar, dasz das Streben
nach Selbstregierung nicht unbedingt die Freiheitspotentiale einer
Gesellschaft erhoeht. Hier zeigt sich am deutlichsten der Kampf um
den Bedeutungsgehalt der "Zivilgesellschaft". Denn der zivile
Widerstand geht nicht von einer gehorsamen Zustimmung zum
Definitionsmonopol aus, wie er im Falle der oesterreichischen
Regierung obrigkeitsstaatlich sanktioniert wird, sondern von einem
"herrschaftsfreien Diskurs" aller Betroffenen. An die Stelle eines
festen Ortes der Souveraenitaet tritt der Meinungsstreit, in
Anlehnung an die Diskursethik Habermas' bleibt der symbolische Ort
der diskursiv verfluessigten Souveraenitaet leer. Die Regeln der
zivilgesellschaftlich hergestellten Oeffentlichkeit sind nach
Habermas also frei flottierende Diskurse, die sich abheben lassen
durch die im statistischen Sinne repraesentierte oeffentliche
Meinung. Die normativ-zivilgesellschaftliche Meinung wird nicht
durch den in Umfragen befragten Buerger repraesentiert, sondern
der in Medien sich aeuszernde Intellektuelle stellt das empirische
Substrat der zivilen Diskurse dar.

*Lebenswelt und Agendasetting*

Die Kritik am Sozialstaat in den 1980er Jahren bezog sich
paradoxerweise gerade auf diese "rationale Gemeinwohlkonzeption",
welche Hilfeleistungen nach universell-objektiven - und nicht mehr
wie vormals nach individuell-ideellen Kriterien vornahm. Wiederum
wurde die Entmuendigung der BuergerInnen beklagt, dieses Mal
jedoch verursacht durch ueberdimensionierte Verrechtlichung,
Oekonomisierung, Professionalisierung und Verbuerokratisierung des
auch auf immaterielle Hilfe ausgerichteten Wohlfahrtsstaates.
Dennoch wurde einzig von liberaler Seite ueber einen fundamentalen
Abbau des Sozialstaates diskutiert und eine Rueckkehr zur
Selbstverantwortung propagiert.

Im Zentrum der Diskussion standen wirtschaftspolitische Argumente.
Beanstandet wurde insbesondere die Kostenexplosion, das
wettbewerbshemmende Moment infolge zu hoher individueller sozialer
Sicherheit, sowie der sogenannte "Miszbrauch" von sozialen
Leistungen. Beide Stroemungen zusammen haben eine Renaissance der
vorinstanzlichen, gemeinschaftlichen Hilfspotentiale - der
Selbsthilfegruppen, der ehrenamtlichen Taetigkeit, aber auch
alternativer Projekte, die mehr Autonomie, Selbstverwirklichung
und Selbstbestimmung verlangten, - nach sich gezogen.
Eine grundsaetzliche Systemkritik war auch von Theorien der
Zivilgesellschaft kaum noch zu erwarten. Der Minimalkonsens, der
in den 90er Jahren entstand, ging dahin, dasz sich unter der
Vielfalt der Termini nur geringfuegige Meinungsverschiedenheiten
versteckten, ob nun "Verhandlungsdemokratie", "Zivilgesellschaft",
"Netzwerk-Kooperation" oder "Subpolitisierung" zum zentralen
Begriff der theoretischen Bemuehungen wurde. Die Hoffnung auf eine
neuartige Bewegungsgesellschaft hat nicht einmal die Bannertraeger
der Zivilgesellschaft erreicht. In der Postmodernisierung der
Reflexion ueber Zivilgesellschaft wird das teleolgisch gedachte
Modell der besseren Gesellschaft der "utopischen Sozialisten", die
in den Revolten der klassischen Moderne letztlich die
"Ueberwindung der Systemwelt angepeilt hatten", durch die
Selbstbezueglichkeit diskursbereiter Individuen ersetzt. Es
entstand eine Art Komplementaerverhaeltnis zwischen
Zivilgesellschaft und kapitalwirtschaftlicher Ordnung. In der
Mobilisierung der neuen sozialen Bewegungen fuer die
Zivilgesellschaft kam es eher zu einem risikolosen instabilen
Gleichgewicht zwischen dem Status quo der Institutionen des
Systems und den kreativen gesellschaftlichen Partizipationsformen
der Zivilgesellschaft auf der Basis von Lebenswelt. Allenfalls als
Verstaerkung humanitaerer Anliegen von Statusgruppen,
Gewerkschaften und Kirchen waren bisher zivilgesellschaftliche
Bewegungen gelegentlich wertvolle Bundesgenossen, die vor allem im
Agendasetting via Medien wichtige Dienste leisten koennen.

*Governing by People*

Beinahe nahtlos fuegen sich die schon aelteren Debatten um die
Defizite des Repraesentationsprinzips in das Raesonieren ueber die
Buergergesellschaft ein. Volksbegehren und -entscheide, Referenden
oder auch mehr Mitbestimmung bei der Stimmabgabe gelten als
Instrumente, die BuergerInnen wieder mehr in ihrer politischen
Eigenverantwortung zu bestaerken. In der Diskussion um
Verwaltungsmodernisierung auf kommunaler Ebene ist neben die
Forderung nach einer Konzernstruktur auch die Idee der
"Buergerkommune" getreten. BuergerInnen werden im Zuge der
Verwaltungsmodernisierung zu "Kunden", denen man moeglichst
effizient die gewuenschten Leistungen anbieten muesse.
Entsprechend sollen die buergerschaftlichen Ressourcen bei der
Erstellung oeffentlicher Leistungen, bei Entscheidungen ueber
infrastrukturelle Prioritaeten u. a. viel staerker genutzt werden.
In verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen sind die
normativen und kulturellen Grundlagen politischer und
wirtschaftlicher Institutionen wieder zum Thema geworden: in der
Kommunitarismusdiskussion wie auch in den Debatten um den Neuen
Institutionalismus stehen Begriffe wie social capital (James
Coleman) oder civicness (Robert Putnam) paradigmatisch fuer diese
Entwicklung. Mit "Zivilgesellschaft" wird generell auf die
gewaltfreie, also zivile Konfliktaustragung innerhalb eines
gueltigen Verfassungsrahmens verwiesen, wozu auch die dauerhafte
Konstruktion einer uebergreifenden politischen Oeffentlichkeit
gehoert. Genau genommen handelt es sich hier also um einen
klassischen Topos liberalen Denkens. "Community development" ist
das Herzstueck des liberalen Antietatismus, dem keynesianische
Nachfragesteuerung, Regulierung des Kapitalmarktes,
Handelsprotektionismus, Patrimonialismus u.a. als ineffizient
erscheinen. Die weltweite Strukturpeitsche zur Einhaltung der
Konvergenzkriterien kapitalistischer Wirtschaftspolitik muendet in
die nationale Kuerzung von Transferleistungen. Wird der Markt als
ueberlegene Regulierungsform etabliert, tritt der Sachzwang als
unausweichlicher Status quo hervor, dem die nationalstaatlich
verfaszte Politik ohnmaechtig gegenuebersteht. Diese regulative
Leere soll nun im funktionalistischen Verstaendnis der Begriff der
"Zivilgesellschaft" auffuellen.

Die Karriere des Begriffs "Zivilgesellschaft" verdankt sich also
auch den rigiden Liberalisierungsprogrammen. Die Leitbilder der
"Zivilgesellschaft" sind dynamische Ueberlebenskuenstler,
antietatistische Kleinkapitalisten, ehrenamtliche Gratisarbeiter,
"Kunden" (AuslaenderInnen, Frauen, Arbeitslose) der
Verwaltungsmodernisierung zusammen. Der Begriff der
"Zivilgesellschaft" ist abstrakt und kann auf eine Vielfalt
konkreter Situationen angewandt werden. In normativer Hinsicht
besitzt er sympathische Tiefe und eignet sich fuer alle moeglichen
Romantizismen, denen der "boese" Staat gegenuebersteht.

*Das symbolische Zentrum*

Praxis und Denken des gegen die schwarzblaue Regierung
artikulierten Widerstands sind von einem grundlegenden Paradox
durchzogen.

Einerseits werden Gruppierungen wie etwa get to attack und
Demokratische Offensive nicht muede, zu betonen, dasz Widerstand
nicht von einem Zentrum ausgeht, nicht hierarchisch oder
stellvertretend repraesentativ organisiert ist, andererseits
etabliert sich zusehends das konsensfaehige, normative Konzept der
"Zivilgesellschaft" als offizielles label, das die vielfaeltigen
Ansaetze des Widerstands zu assoziieren vermoege. Das Zentrum des
Widerstands ist demnach nicht leer geblieben, sondern durch das
Definitionsmonopol der "Zivilgesellschaft" punziert. Kaum ein
Bericht, ein Statement, ein Aufruf, in welchem nicht die
Legitimitaetsfloskel "Wir sind die Zivilgesellschaft" angerufen
wird. Folgende Probleme ergeben sich meines Erachtens, wenn der
Begriff "Zivilgesellschaft" nicht im hegemonialen Kontext
beurteilt wird:

Mit dem Begriff der "civil society" sollte ein rechtskonformes
gesellschaftliches Subjekt innerhalb des Verfassungsbogens
installiert werden. Diesem Subjekt sollte Legitimitaet ergaenzend
zum Parteienprinzip und der repraesentativen Demokratie verliehen
werden. Doch der Preis dieses begrifflichen Konsensus ist die
medial weitgehende Neutralisierung des politischen Antagonismus,
darin "ziviles" Engagement als Bestandteil einer bereits
bestehenden und immer noch funktionierenden Demokratie zu Tode
toleriert werden kann. Dadurch konnte die schwarzblaue Regierung
beispielsweise die neoliberale Destruktionspolitik gegenueber den
vermittelnden Institutionen der Arbeitnehmerinteressen (AK, OeGB)
fortfuehren und gleichzeitig den Dissenz als integralen
Bestandteil einer liberalen Herrschaftstoleranz einrichten.

Sind "wir" im gleichen Augenblick, in dem "wir" es behaupten,
bereits die "civil society"? Es moegen zwar die Partizipations-
rechte von AuslaenderInnen dort, wo zivil kommuniziert wird,
gelten, doch auszerhalb dieser Gemeinschaft befinden sie sich
wieder im rechtsfreien Raum und haben keinerlei
staatsbuergerlichen Rechte. In diesem Sinne gilt, dasz "civil
society" aus der Not eine Tugend macht. Bereits gegen Habermas'
Diskursmodell der Zivilgesellschaft ist eingewandt worden, dasz es
eine bestimmte Art von Oeffentlichkeit unkritisch zur
Zivilgesellschaft stilisierte, blosz weil in ihr kommuniziert
wird.

Die Annahme, politisches Engagement muesse in erster Linie an den
"Graswurzeln" der Gesellschaft ansetzen, muesse "bottom up" statt
"top down" verlaufen, die partizipatorische Zielsetzung, die
Betroffenen mueszten mobilisiert und in den Entscheidungsprozesz
einbezogen, mueszten von passiven Objekten der Politik zu aktiven
Subjekten gemacht werden, gehoert seit Jahrzehnten zum
rhetorischen Repertoire liberaler Sozialtechnologie. Das Vorbild
der FPOeVP-Konzeption der Buergergemeinschaft ist der
republikanische US-Kommunitarismus Amitai Etzionis. Darin wird die
normative Idee der zivilen Gemeinschaft zur Kenntlichkeit
verzerrt, wenn "buergernahe Polizei" und "neighbourhood watch
groups" als das Resultat der groszen normativen Idee angeboten
werden ohne selbstkritischen Sinn fuer die Gefahren einer neuen
sozialen Kontrolle, die fuer die Betroffenen peinlicher sein kann
als die notwendig unvollkommene staatliche soziale Kontrolle. Im
Zentrum der neuen "Buergerqualitaet" nach FPOeVP steht die
Aufrichtung eines Verhaltenskataloges, der buergerlich-funktionale
und vertraglich erzwingbare Verhaltensweisen mit Moral auflaedt.

Mittlerweile bildet sich bereits eine Art medial vermittelte
Diskurspolizei (Demirovic, Charim, Marchart) heraus, die klar
macht, was unter dem Begriff "Zivilgesellschaft" zu verstehen ist
und was nicht. Die Beibehaltung des Gemeinplatzes des "Zivilen"
birgt also einen hohen Aufwand an diskursiver
Selbstverstaendigung, weil um seinen Bedeutungsgehalt permanent
gestritten werden musz. Angesichts dieses Kontexts waere die Frage
zu stellen, ob der Begriff der "Zivilgesellschaft" weiterhin naiv
als antagonistischer Begriff behauptet werden kann. *Ramon Reichert*

Kontakt: FEDA Forschungsgruppe Epistemologie & Diskursanalyse,
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