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Aussendungszeitpunkt: 7.6.2000; 22:40
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Balkan:
> Welcome to the Hotel Catalunya
Ein albanisches Tagebuch, Teil IV
Von *Andreas Jordan*
Wenn die Fluechtlinge nicht zur Registrierung kommen, musz eben die
Registrierung zu den Fluechtlingen kommen. Gedacht, getan: Es gibt
zwei Fluechtlingslager in Tirana. Das eine davon ist das "Olimpia"-
Camp (das Geld dafuer kommt von den Griechen). Laut Schild am Eingang,
das zum Halten auffordert, schuetzt die "Policia Ushtarake", also die
Militaerpolizei, das Camp. Der Mann am Eingang aber, der den Schranken
oeffnet, traegt keine Uniform, sondern sitzt in Pyjama und
Badeschlapfen da, die Kalaschnikow laessig ueber den Knien. Gut, es
ist ja erst neun Uhr morgens. Das Camp selbst ist eine
Containersiedlung, zwischen den Wohncontainern grasen ein paar Kuehe,
Waesche haengt an Leinen. Eine Ratte hoppelt bedaechtig ueber den Weg.
Ein Bursch kommt auf mich zu, spricht mich in makellosem Deutsch mit
leichtem Schweizer Akzent an: Er habe gehoert, ich sei Oesterreicher,
er habe seit zwei Jahren kein Wort Deutsch gesprochen, ob er mich auf
einen Kaffee einladen duerfe. Proteste, dasz das Recht des Einladens
auf meiner Seite sei, weil ich sicher gerade mehr verdiene als er,
fruchten nichts, und zwei Minuten spaeter sitzen wir im Caf‚-
Container. "Trinkst du Alkohol?" "Ja, aber... " Das Aber wird
ueberhoert, und wenige Momente spaeter steht ein doppelt
fingerhutgrosser, extrem starker Kaffee vor mir, begleitet von
Skanderbegs destillierten Trauben im Format "vogel". Und das um neun
in der Frueh.
Ein bisschen Unterlage haett nicht schlecht getan vor dieser Art
Fruehstueck, und auch nicht vor der Geschichte, die er erzaehlt:
Sieben Jahre haette er gearbeitet in der Schweiz "wie ein Schwein",
dreihunderttausend Franken verdient, sich nichts gegoennt. Im
Fruehjahr 1998 haetten die Serben sein Heimatdorf bei Decani
zerstoert, er habe alles verloren, Haus, Geld, Dokumente. Sein Bruder
und er haetten sich der UCK angeschlossen, um zu kaempfen, sein Bruder
sei gefallen, er habe zwei Schussverletzungen davongetragen und
brauche dringend eine Operation, irgendwo im Ausland, weil "in
Albanien, da hast du keine Garantien". Und sein Vater sei von den
Serben zerstueckelt worden, erst die Ohren abgeschnitten, dann die
Nase, dann die Finger. "Wie soll ich da noch den Serben trauen?" Mein
Einwand, dasz ja nicht ALLE Serben an solchen Grauslichkeiten
beteiligt gewesen seien, dasz es auch welche gegeben habe, die
Kosovoalbanern geholfen haetten, scheint ihn nicht besonders zu
ueberzeugen. Und jetzt, nachdem er seine Familie und sein Haus
verloren hat, will er auswandern, irgendwohin, Kanada, USA oder
Australien. (In die Schweiz kann er nicht mehr, weil die Serben alle
seine Dokumente vernichtet haben, und nach einem halben Jahr
Nichtmelden ist er dort "draussen".) "Hab ich die Schnauze voll mit
Krieg.!"
Der Wunsch, auszuwandern, zu vergessen, irgendwo noch einmal von vorne
anzufangen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, scheint das
vordergruendigste Bestreben der 113 Menschen hier im Lager zu sein -
zumindest werde ich (aufgrund meiner Jacke mit UN-Aufschrift?) vor
allem DARAUF angesprochen, waehrend sie sich nur sehr nebenbei fuer
die Registrierung als potentielle WaehlerInnen fuer die
Gemeinderatswahlenim Kosovo interessieren. Und das Quaelendste, das
bestaetigen mir an diesem Vormittag noch mehrere Menschen mit
erstaunlich guten Deutschkenntnissen, ist die Ungewissheit, das
Warten, das nun schon ueber ein Jahr dauert.
*Major gesucht*
Die Zustaende im Camp sind nicht besonders toll - die Container sind
fuer mehrkoepfige Familien, sogar nach hiesigen Kriterien, mit
ungefaehr 20 Quadratmetern definitiv zu klein, weiters sind sie mit
Wellblech gedeckt, sodasz es im Sommer hoellisch heisz drin wird,
unter einigen Containern steht das Abwasser, und ueber mangelhafte
aerztliche Versorgung wird auch geklagt, aber im Vergleich mit
Oesterreich fuer uns dennoch beschaemend: Wenn es das mit Abstand
aermste Land Europas schafft, "seinen" Fluechtlingen - und das sind
jetzt NICHT anerkannte Konventionsfluechtlinge mit politischem Asyl! -
temporaeres Aufenthaltsrecht plus Arbeitserlaubnis zu geben, sie
weiters mit Telefonwertkarten auszustatten (obwohl die angeblich
manchmal nicht bei den Fluechtlingen ankommen), Minimalstandards an
aerztlicher Versorgung und humanitaerer Hilfe zur Verfuegung zu
stellen, macht sich die Unbarmherzigkeit der oesterreichischen
Buerokratie im Umgang mit Fluechtlingen gleich noch viel erbaermlicher
dagegen. Ob hier auch das zutiefst verinnerlichte albanische Prinzip
der Gastfreundschaft eine Rolle spielt?
Die naechste Camp-Bewohnerin, mit der ich mich naeher unterhalte, ist
eine Frau, die mich ebenfalls anspricht, weil sie gehoert hat, dasz
ich aus Oesterreich bin. Nein, nicht, um mir ihre Meinung zur neuen
Regierung mitzuteilen, spricht sie mich an, sondern weil sie wissen
moechte, ob ich einen Landsmann kenne, nach dem sie verzweifelt auf
der Suche ist. Und weil es eh nicht viele Gelegenheiten gibt, jemandem
hier, in dem Land, wo mir schon so viele Menschen entgegengekommen
sind, einen Gefallen zu tun, verspreche ich ihr, mein Moeglichstes zu
tun. Deshalb jetzt: ACHTUNG, ACHTUNG, EIN PERSONENRUF! Gesucht wird
der Polizei- oder Gendarmeriemajor Andreas Pichler aus Fuerstenfeld,
ungefaehr 40 Jahre alt, der voriges Jahr in Vlora (Suedalbanien)
taetig war, und zwar von einer Dame aus dem Kosovo, die er dort
kennengelernt hat. Wer naehere Angaben zur Erreichbarkeit des Herrn
Pichler machen kann (dem Vernehmen nach derzeit moeglicherweise im
Kosovo im Einsatz), moege sich bitte mit der Redaktion in Verbindung
setzen (Im Telefonbuch steht er nicht, das hab ich schon probiert).
Am naechsten Tag registrieren wir KosovarInnen im anderen
Fluechtlingslager, das kein Lager ist, sondern ein mehrstoeckiges Haus
im Stadtzentrum. Es nennt sich "Hotel Catalunya" ("California" waer ja
zu schoen gewesen!). Es wird - erraten!- von der Generalitat de
Catalunya, der autonomen katalanischen Regionalregierung in Spanien,
finanziert. Und die zahlen auch die Unkosten fuer drei katalanische
Freiwillige, die hier zugunsten der knapp hundert Fluechtlinge Dienst
tun. Der Unterschied ist frappant: Das Haus ist sauber, alles ist
eingeteilt, die Menschen arbeiten im Rahmen ihrer Selbstorganisation
mit im Haus, d.h. jeder hat seinen Turnus in der Kueche, beim
Kloputzen, beim Aufwischen, in der Bibliothek oder sonstwo. Und alles
funktioniert. Sogar das Registrieren:
Der Reihe nach kommen die Familien, ohne Ausnahme, auch die, die nicht
in den Kosovo zurueckgehen wollen, sondern in den naechsten Wochen
nach Kanada auswandern werden - von dort koennen sie ja zumindest per
Briefwahl an den Gemeinderatswahlen teilnehmen.
*Skanderbegs Helm in Kopie*
Zufaellig komme ich wieder einmal am Nationalmuseum vorbei. Heureka,
die unmoeglichen Oeffnungszeiten sind verlaengert worden! Ich habe
jetzt zwar nur eine knappe Stunde Mittagspause, frage aber, ob die
Eintrittskarte, wenn ich mir jetzt eine kaufe, am Abend auch noch
gilt. Zwei aeltere Herren, bejahen, einer auf franzoesisch, der andere
auf italienisch.
Am Anfang das Uebliche, also Steinzeit-Scherben & Co., dann eine sehr
huebsche Abteilung mit den Funden aus den griechischen Niederlassungen
auf albanischem Boden, also neckisch nackte Griechen und in Gewaender
mit wunderbaren Faltenwuerfen drapierte Griechinnen, sowohl auf Vasen
gemalt als auch in Stein gehauen, und dazwischen immer wieder auf
monumentalen Stoffbahnen Zitate grosser Menschen ueber die Bewohner
Albaniens. Zitate von Demosthenes und Herodot haengen da, unter
anderem. Eine Stoffbahn ist leer, aber der Schatten der Buchstaben ist
auf dem ausgebleichten Stoff noch erkennbar. Detto der Name des
Autors: Enver Hodscha. Meine Mittagspause ist aus.
Zweiter Anlauf am Abend: Das Fruehmittelalter und die Kreuzzuege sind
nur en passant vertreten. Dafuer ist ein umso groesserer Saal Herrn
Kastrioti, dem albanischen Nationalhelden Skanderbeg, und seinem Kampf
gegen die Tuerken im 15.Jahrhundert gewidmet - jede Schlacht in diesen
Jahrzehnten ist penibel dokumentiert, sicher ein gefundenes Fressen
fuer Militaerhistoriker. Was meine Aufmerksamkeit da mehr fesselt,
sind Schwert und Helm Skanderbegs (nur Kopien, zumal die Originale im
Heeresgeschichtlichen Museum zu Wien stehen): Das Schwert ist
eineinhalb Meter lang und wiegt sicher 15kg oder mehr. Noch
bemerkenswerter der Helm: Ihn ziert ein metallener Ziegenkopf in
Originalgroesse, plus Gehoern als "Kuehlerfigur"! Mit diesem doch
annaehernd 40cm hohen Aufsatz wirkt der Helm ziemlich befremdlich und
eigentlich alles andere als kriegerisch.
Zehn Minuten vor Museumsschlusz holt mich eine Delegation von knapp 20
Angestellten ab und geleitet mich zur Tuer (ich bin der einzige
Besucher), und der Herr mit den Franzoesischkenntnissen gibt mir zu
verstehen, ich koenne morgen wiederkommen, oder wann auch immer, und
mir, ohne nochmals Eintritt zu zahlen, den Rest anschauen. - Das freut
natuerlich, und am naechsten Tag entscheide ich mich wiederum GEGEN
Mittagessen und FUeR Kultur.
Der obere Trakt, also etwa ein Sechstel des Museums, ist der juengsten
Geschichte des Landes gewidmet und traegt den Titel "Der
kommunistische Genozid 1944-1991". Die ganze Laengswand der
Ausstellungshalle ist voll mit den Namen der waehrend dieser Zeit aus
politischen Gruenden Ermordeten. Es sind viele tausende. Die meisten
Todesdaten fallen auf die 40er- und 50er Jahre, in den Siebzigern
werden es deutlich weniger, aber sogar 1990 und 1991 scheinen neben
einigen Namen als Todesjahr auf. Ueber der Wand mit den Namen haengen
vergroesserte Schwarzweissfotos, die aufgrund ihrer schlechten
Qualitaet Assoziationen an Auschwitz wecken - und auch aufgrund der
Sujets: Nackte Koerper, an Galgen haengend, zusammensackende Gestalten
an Mauern vor Exekutionskommandos, Stacheldrahtzaeune und Todeszellen.
Ziemlich viel Text rund um die Fotos - aber nur auf Albanisch, und ich
bedaure einmal mehr, von der Sprache so wenig zu verstehen. Die
Vitrinen an der anderen Laengswand sind thematisch geordnet - eine ist
antikommunistischen Opfern der Herrschaft Enver Hodschas gewidmet,
eine andere kommunistischen "Abweichlern", eine dritte
sowjetfreundlichen, eine vierte Geistlichen (christliche und
islamische wurden gleichermassen exekutiert), eine fuenfte
Intellektuellen, eine sechste Frauen, und so weiter. Ein eigener Teil
der Ausstellung behandelt die Zerstoerung der Kulturgueter: Zuerst
Fotos von Kirchen und Moscheen, dann daneben das Resultat: eingewalzte
Steinhaufen. Auch nichtreligioese Kulturgueter wurden so zerstoert,
wenn auch nicht alle: Manche waren fuer das Aufzeigen der Kontinuitaet
des "nationalen Freiheitskampfes" ja noetig - Skanderbeg und so! Und
die aufgebaute Todeszelle (Format zweieinhalb mal drei Meter, eine
zerrissene Decke am Boden, ein Blechnapf, eine Plastikflasche, zwei
Ketten an der Wand, Blutspritzer) laeszt Hodscha-Nostalgie nicht so
schnell aufkommen. An einer Saeule im Raum letzte Worte von Opfern vor
ihrer Hinrichtung, und in einigen Vitrinen Gegenstaende aus ihrem
persoehnlichen Besitz oder Kleidungsztuecke, so wie das vor
eingetrockneten Blutflecken stehende, von den Kugeln des
Erschiessungskommandos durchloecherte gelbe Hemd eines Exekutierten.
Am Ende des Saales ein paar vergroesserte Fotos vom Umsturz 1991:
Studenten, die Steine auf die Panzer vor der Universitaet werfen,
knueppelnde Polizisten, ein brennender Wasserwerfer, Fotos von den
getoeteten Studenten in ihren Saergen, und unterhalb eines Fotos
haengt ein Stueck Stahlseil: Mit ihm wurde die acht oder zehn Meter
hohe Enver-Hodscha-Statue in Tirana umgerissen. Das letzte Bild: Der
Exodus von 1991/92 - ein Schiff im Hafen von Durres, schwarz von
buchstaeblich tausenden Menschen ueberall dort, wo welche stehen oder
haengen koennen, waehrend hunderte weitere durchs Wasser darauf
zuschwimmen.
Meine Mittagspause ist wieder einmal vorbei, obwohl, nach Mittagessen
waer mir jetzt eh nicht mehr.
Am Abend die noch fehlende Sektion des Museums: 19. und fruehes 20.
Jahrhundert. Die meisten Exponate (ausser Waffen!) sind keine
Gemaelde, sondern Fotos, und deshalb doch von einem gewissen
dokumentarischen Wert. Erstaunlich die Fotos von Maennern dieser Zeit:
Die meisten sehen aus wie der Raeuber Hotzenplotz - drei, vier Dolche
im breiten Stoffguertel, und dazu vielleicht noch zwei Pistolen. Auch
die Dokumentarfotos vom Aufstand von 1911 gegen die Osmanen befremden
- auf einer Bergkuppe posieren hunderte von Maennern, alle mit Flinten
bewaffnet, gekleidet in weisse Rockerln! Mit den Fotos der albanischen
Staatsmaenner jener Tage, die die Eigenstaatlichkeit des Landes
proklamiert haben, kann ich mangels Kenntnissen nicht viel anfangen -
nur eines faellt auf: Die meisten tragen, wenn auch in Anzug und
Krawatte, trotzdem Gewehre. Und am meisten erstaunt mich, vor dem
Hintergrund der "Genozid"- Ausstellung im anderen Stockwerk, die
Praesentation der Zwischenkriegszeit, mit Schlagworten wie "Ausbeutung
der Arbeiterklasse", der Darstellung der ruhmreichen Verbreitung der
kommunistischen Ideen, und Kitschgemaelden , die heldenhafte
Proletarier mit hochgereckter Faust beim Demonstrieren gegen die
Buettel des Imperialismus zeigen. Diese Dichotomie in der Darstellung
der Geschichte scheint der Dichotomie des politischen Lebens im
Albanien der Gegenwart zu entsprechen, wo zwei unversoehnliche
politische Parteien um die Vorherrschaft kaempfen - und sich,
erstaunlich fuer dieses Land, bereits gegenseitig ohne allzugrosses
Blutvergiessen abgeloest haben. Genau betrachtet, ist dieser
Pluralismus, der mir da im Museum entgegenscheint, ein Stueck
Hoffnungsschimmer fuer das Land!
*"Solange sie nicht schieszen"*
Heute ist wieder Sonntag und wir fahren aufs neue ueber Land. Diesmal
wieder im Dienst-Mercedes mit Fahrer, der damit zu tun hat, den
Heuwagen auszuweichen. Das Heu wird mit allen Arten von Gefaehrten
eingebracht: Eselskarren, mit Heubergen drauf, dasz man vom Wagen
nichts mehr sieht und vom Esel nur die Ohren, auch solche mit einem
Pferd vorn dran, und der groeszte Wagen wird von 2 Pferden gezogen,
mit einem Heuhaufen, der sicher 5 m hoch ist und auf dem zum
Beschweren die ganze Familie sitzt. Das Ziel der Fahrt ist Berat, eine
der beiden denkmalgeschuetzten Staedte des Landes, in 120 km
Entfernung von Tirana, was bei den hiesigen Strassenverhaeltnissen im
guenstigsten Fall drei Stunden Fahrt im Mercedes bedeutet.
Auf dem Berg oberhalb der Stadt stehen die beeindruckenden Reste einer
byzantinischen Zitadelle aus dem 13.Jahrhundert, errichtet auf ueber
eineinhalb Jahrtausenden aelteren illyrischen Grundmauern. Enver
Hodscha hat sie scheinbar als irrelevantes Zeugnis fuer den
dialektischen Gang der Geschichte erachtet: Auf den hoechsten Punkt
der Zita
delle ist ein Trafohaeuschen geklotzt. Von hier aus sieht man am
gegenueberliegenden Berghang in meterhohen Lettern "Enver" stehen. Der
Schriftzug waechst langsam zu. Unten am Flusz ausserhalb der Altstadt
steht das Textilkombinat, das zweimal seinen Namen wechselte, einmal
auf "Mao Zedong", und dann, als E.H. mit den Chinesen wieder brach,
zurueck auf schlichtes "Textilkombinat". In der hochmittelalterlichen
Kirche steht knietief dreckiges Wasser mit Schrott darin - darueber
zirpen Fledermaeuse. Um die Ruinen der Kirche weiden ein paar Schafe,
die wunderlich aussehen, irgendwie obszoen: hinter der Ruine sind zwei
Hirten gerade mit Schafscheren beschaeftigt, grosse Haufen der langen
Wollzotten liegen am Boden. Die geschorenen Schafe, die ziemlich
ungluecklich aussehen und ihre nackte Haut der prallen Mittagssonne
aussetzen, lassen mich ueberlegen, ob Schafe wohl auch einen
Sonnenbrand bekommen koennen. Wenn ja, tun sie mir jetzt schon leid.
Das ehemals einzige Speiselokal auf der Zitadelle gehoerte Sali
Berisha, dem Praesidenten von 1992 bis 1997, ehemaliger Leibarzt Enver
Hodschas und ab 1991 "gewendeter" Rechtsoppositioneller. (In diesen
Tagen erwaegt uebrigens die EDU, also die Internationale der
gemaessigten Rechts-Parteien, gerade den Ausschlusz der
"Demokratischen Partei" Berishas wegen parteiintern undemokratischen
Verhaltens. Ich bin ja nicht mehr am Laufenden, aber koennte es sein,
dasz die OeVP seit der FP-Koalition in derselben Lage ist wie die
Schwesterpartei aus Albanien???) Wie auch immer, bei den Unruhen nach
dem grossen Bankenkrach 1997, die auch zum Ruecktritt Berishas als
Praesident fuehrten, wurde das Restaurant ziemlich zerstoert. Die
Leute muessen wirklich nachhaltig verstimmt gewesen sein: Sogar die
Wandgemaelde wurden teilweise heruntergeschlagen! Da es hier oben
nichts zu essen gibt, also hinunter in die Altstadt. Ein Lokal lockt
mit einer luftigen Terrasse, die Aussicht auf die Strasse bietet. Da,
Reifen quietschen, ein Mercedes und ein Kleinbus kommen gerade noch
ohne Kollision aneinander vorbei. Der Kleinbus faehrt weiter, und
wieder quietschen Reifen, als der Mercedes scharf wendet und ihm
nachfaehrt. Hat der Fahrer einen Freund erkannt und folgt ihm? Der
Mercedes schneidet den Bus an den Strassenrand, der Fahrer springt
heraus, reiszt die Bustuer auf, holt mit der Faust weit aus, schlaegt
zu, einmal, zweimal, dreimal, spuckt den Busfahrer an, knallt die Tuer
zu, steigt in seine Karre und faehrt weiter. Unser Fahrer, der die
Szene ebenfalls verfolgt hat, zuckt gleichmuetig die Achseln und
meint:" Na solang sie nicht schiessen...".
Berat ist einer der wenigen Orte, wo (aufgrund des Status als
"Museumsstadt") religioese Bauwerke ueberlebt haben, wenn auch zu
Museen umgewandelt. Seit einigen Jahren werden diese Kirchen und
Moscheen aber wieder ihrer urspruenglichen Bestimmung gemaesz genutzt.
Eine der Zierden der Stadt ist die 1512 erbaute "Koenigsmoschee", und
als ich mich ihr naehere, spricht mich ein zahnloser alter Mann an,
der auf den Stufen vor der Tuer sitzt, und bittet mich nach innen.
Aber wie verhaelt man sich in einer Moschee?? Ich war ja noch nie in
einer! In der Kirche ist die Sache klar, Hut ab, in der Synagoge ist
es auch klar, Hut auf, aber in einer Moschee?? Der Alte nimmt's
gelassen, und ich versuch mich wie in einer Kirche zu benehmen und
schau mir das Gebaeude an. Ist eigentlich auch nicht viel anders als
eine Kirche, keine Heiligenbilder halt, dafuer viel mehr ornamentaler
Schmuck, und vorn kein Altar, sondern eine gruen ausgekleidete Nische
mit einem Stoffbild der Kaaba in Mekka drin.
*
A. J. ist derzeit in Albanien als UN-Wahlbeobachter fuer kosovitische
Fluechtlinge. Fortsetzung folgt.
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