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Aussendungszeitpunkt: 30.5.2000; 22:30
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Balkan:

> Caorle mit Bunker

Ein albanisches Tagebuch, Teil III

Von *Andreas Jordan*

Letzten Sonntag bin ich wieder ueber Land gefahren. Alle Leute
haben mich gewarnt, zugfahren in Albanien sei das Letzte. Also
naehere ich mich bereits entsprechend mental eingestimmt dem
Bahnhof. Stimmt ueberhaupt nicht: Wenn man es schafft, den
Zeitpunkt zu erwischen, wenn das versperrte Eisentor zu den
Bahnsteigen geoeffnet wird, ist alles ganz einfach. Die Waggons
sind auch in Ordnung, alte oesterreichische Schnellbahnwaggons,
ein bisschen durchgesessen halt, und die Fenster lassen sich auch
nicht mehr schliessen (so ueberhaupt noch verhanden). Dafuer kann
man sich im Eingang der Abteile das OeBB-Streckennetz anschauen,
wie es vor 20 Jahren ausgesehen hat - inzwischen ist ja manches
davon eingestellt. Und mensch ist mit Garantie der einzige
Auslaender im Zug. Die Diesellok setzt sich auch puenktlich in
Bewegung, was vielleicht weniger erwaehnenswert ist als der
Umstand, dass der Zug auch puenktlich ankommen wird: 1 Stunde 3
Minuten fuer die 35 km nach Durres, Hafenstadt an der Adria und
mit 100.000 Einwohnern der zweitgroesste Ort des Landes. Und das
sind 1 Stunde 3 Minuten ohne Schlagloch (DAS ist der
ueberzeugendste Vorteil des Reisens per Bahn)! Der Zug ist noch
nicht richtig aus dem Bahnhofsgelaende in Tirana draussen, und die
ersten Bunker tauchen zwischen den Abstellgleisen auf. Vor dem
Bahnhof dann eine Wiese, bestanden mit Dutzenden von ihnen,
zwischen denen Schafe grasen. Auch auf den folgenden Kilometern
hauptsaechlich frischgeheute Wiesen, auf denen Herden von Kuehen
und Herden von Bunkern zu grasen scheinen. Die Bunker fuegen sich
fast harmonisch in die Landschaft zwischen den zusammengerechten
Heuhaufen.

Am Stadtrand von Tirana sieht man an etlichen Stellen Wasser aus
lecken Rohren spritzen und in irgendwelchen Bodenmulden zu trueben
Teichen voll Entengruen zusammenlaufen, sicher zur Freude der
Moskitos. Ich kann mir auf alle Faelle jetzt besser erklaeren,
warum ich in der letzten Woche statistisch auf nicht einmal 10
Minuten Wasser pro Tag in meiner Wohnung gekommen bin (ansonsten
kommt einfach nichts aus der Leitung, nein, absolut gar nichts,
kein Tropfen!), was gravierende Auswirkungen auf die persoehnliche
Hygiene hat, besonders in der Hitze jetzt im Sommer. Am Horizont
erkennt man steile Huegel, die Landschaft wirkt fast ostasiatisch
- wohl nicht zuletzt wegen der Terrassierung, wenn dort auch kein
Reis waechst, sondern Olivenbaeume. Beeindruckend ist, wie jedes
kleinste Fleckchen genutzt wird: Wo etwas wachsen kann, wird auch
angebaut, und zwar mit arbeitsintensivsten Methoden, die man bei
uns wohl eher unter "Gartenbau" als unter "Landwirtschaft"
subsummieren wuerde. Maenner und Frauen mit Hauen ("Heindl" hat
das frueher bei uns geheissen) jaeten um jedes Pflaenzchen auf den
Ackerflecken individuell herum, machen Heu mit Sense und Rechen
und tragen das Heu teilweise auf Handtragen zu zweit davon,
offensichtlich in Ermangelung eines Karrens oder einer
Scheibtruhe. Mir kommt die Ursache fuer dieses Ausnutzen der
Ressource Boden bis zum letzten in den Sinn: Das Land ist zu
meiner Ueberraschung, obwohl es zu ueber 90 % aus Bergen besteht,
um die Haelfte dichter besiedelt als Oesterreich, und das, obwohles keine vergleichbar grossen
Staedte wie bei uns gibt! (Die
Hauptstadt hat irgendwas ueber einer halben Million Einwohner,
also ein Drittel von Wien, die zweitgroesste Stadt, Durres, kommt
auf 100.000, und dann kommt laenger nichts mehr - ausser einigen
Provinzstaedten.) Albanien ist nicht viel groesser als
Niederoesterreich, hat aber dreieinhalb Millionen Einwohner - von
irgendwas muessen die ja leben, und deshalb das Kultivieren jedes
nur moeglichen Fleckchens. Im Zug kurz vor der Ankunft noch eine
polizeiliche Kontrolle. Der oesterreichische Pass scheint ihnen
unbekannt - viele, viele Fragen auf Albanisch. Der in der Folge
gezueckte UN-Dienstausweis wirkt hingegen Wunder - das
behoerdliche Interesse erlischt jaeh.

*

In Durres treffe ich meinen kanadischen Kollegen, der hier
Fluechtlingsregistrierung betreibt. Er zeigt mir das Haus, in dem
er wohnt (und in dem ich uebernachten werde): Fast ein Palast,
wenngleich teilweise eingestuerzt, in mediterranem Stil, mit einem
riesigen Atrium voll Blumen. Die Bude war das erste
oesterreichische Konsulat im damals noch ottomanischen Albanien,
und es gibt sogar ein Foto, das Kaiser Franz Josef in diesem Haus
zeigt, in dem er damals auch uebernachtet hat (da war es wohl noch
nicht eingestuerzt). Ansonsten ist Durres durchaus sehenswert, wie
ich am naechsten Morgen feststellen werde: Ein roemisches
Amphitheater fuer 20.000 Menschen, eine gegen die Westgoten
errichtete byzantinische Stadtmauer, die Residenz des von 1914 bis
1920 oder so regierenden selbsternannten Koenigs (waehrend dieser
Zeit war Durres sogar Hauptstadt des Landes), ja, und das nach dem
beruehmten Schauspieler Alexander Moisiu benannte Stadttheater
(Niemand anderer als der beliebte Wiener Volksschauspieler
Alexander Moissi. Ha, schon wieder ein Albaner entlarvt, nach John
Belushi und Mutter Teresa!)

Am Strand von Durres entfaltet sich reges Badeleben, das Wasser
ist, mit Verlaub, brunzwarm, Sandburgen werden gebaut, Baelle
fliegen, und Familien geniessen massenhaft das stadtnaechste
Stueck Strand, dort, wo ein kleiner Fluss entlang eines riesigen
NATO-Stuetzpunkts ins Meer muendet. (Ich gehe ein gutes Stueck
weiter von der Flussmuendung - ich habe weiter oben im Fluss eine
tote, aufgeblaehte Ziege liegen gesehen, die ihre vier Beine
schamlos in die Luft gespreizt hat. - Ich war nie in den
Achtzigerjahren in Caorle, aber so wird's wohl gewesen sein.
(Nein, nicht die Ziege, der Rest.) Obwohl, ich denke, in Caorle
gibt's keine Bunker: Hier schon, und die in den Vorgaerten der
neuentstehenden Hotels nehmen sich auch nicht so gut aus; die
direkt am Strand stehenden hingegen sind die einzigen, die ich
bisher einer praktischen Verwendung zugefuehrt gesehen habe - sie
dienen dem Stoffwechsel, in Ermangelung von WC's.

Mancherlei Erwerb wird hier am Strand getrieben: Ein Mann treibt
seinen bis ueber die Ohren mit Koerben voll Kirschen bepackten
Esel durch die Massen der Badenden, ein anderer hat einen
Schiessstand aufgebaut: Mit Entsetzen sehe ich aus der Entfernung,
wie Fuenfzehnjaehrige mit Bolzengewehren auf Bilder von nackten
Frauen schiessen; beim Naeherkommen stellt sich heraus, dass es
doch nicht ganz so arg ist: Es sind ganz normale Zielscheiben,
also konzentrische Kreise, auf die geschossen wird, und die Bilder
der Traegerinnen ueberaus knapper Bikinis hat der
Schiessstandbesitzer nur am Rand, sozusagen als Verzierung,
dazugeklebt.... Ja, und interessanterweise sieht man den Menschen
in Badekleidung an, dass das ubiquitaer praesente okzidentale
Schoenheitsideal hier (noch?) nicht gueltig ist: Wohlgenaehrtheit
ist Trumpf, sowohl bei Maennern als auch Frauen (so wie bei uns
auch noch bis in die 60erjahre), was kein Wunder ist in einer
Gesellschaft, die einerseits durch Mangel und andererseits durch
eine ueberaus wohlschmeckende Kueche gekennzeichnet ist.

*

Und ueberall trifft man auf die NATO. Die ist dermassen
unverschaemt populaer im Land seit dem Kosovokrieg, dass es in den
Souvenirgeschaeften bereits kleine gewebte Teppiche (Groesse Klo-
Dackerl) gibt, die die Landkarte Albaniens mit dem NATO-Logo
drueber darstellen.

Die NATO hat sich ja Albanien extrem billig eingekauft, mit dem
Kosovo-Krieg und der serbischen Drohung, Albanien wegen der
Unterstuetzung der UCK anzugreifen (Ein paarmal sind sie eh ein
Stueck ueber die Grenze vorgestossen, und heruebergeschossen ist
staendig worden). Dabei ist die Unterstuetzung fuer die UCK aus
Nordalbanien gekommen, dem Gebiet, das die "Demokratische Partei"
kontrolliert und wo die regierende "Sozialistische Partei" null
Einfluszmoeglichkeiten hat. Und diese Drohung hat genau in die
Kerbe der albanischen Uraengste getroffen, die Angst, von
Jugoslawien inhaliert zu werden. (Man muss sich das einmal
vorstellen: Da gibt es zwei Politiker, Tito in Jugoslawien, Enver
Hodscha in Albanien. Beide inspiriert von derselben Theorie, dem
Kommunismus, beide beschaeftigt damit, denselben auslaendischen
Aggressor, naemlich Nazideutschland, mit genau derselben Methode,
naemlich dem Partisanenkrieg, zu bekaempfen. Beide sind siegreich,
beide werden Staatschefs fuer Jahrzehnte. Und was passiert? Trotz
der selben Geschichte und dem selben Hintergrund finden sich die
beiden Politiker als erbitterte Gegner wieder, als Antagonisten um
jeden Preis: Als Tito und Stalin sich 1948 ueberwerfen, wird
Albanien stalinistischer Musterschueler; als sich die Sowjetunion
und Tito 1961 wieder annaehern, bricht Hodscha fuer die naechsten
fast 30 Jahre alle Sowjetkontakte ab und sucht sich als naechsten
Verbuendeten Maos China aus; und als China seine aussenpolitische
Isolierung ueberwindet und auch Kontakte mit dem "Erbfeind"
Jugoslawien knuepft, bricht Hodscha auch mit den Chinesen, um das
Land fuer das naechste Jahrzehnt in die totale Isolierung zu
fuehren. Enver Hodscha hat Tito um 5 Jahre ueberlebt, ist aber
1991 (vielleicht gehoert sich das so fuer Stalinisten?), genauso
wie sein Vorbild, posthum gestuerzt worden. In seinem Fall hat
sich das auch im Sturz des grossen roten Sterns von der Spitze des
Enver-Hodscha-Museums manifestiert. In diesem Ex-Museum ist heute
das Internet-Cafe untergebracht, in dem ich gerade sitze und Euch
schreibe. - So aendern sich die Zeiten.)

*

Die Landeswaehrung ist aufgebraucht, die naechste Mietzahlung
steht an. Also ist die naechste Geldwechselaktion faellig.

Dass ich in dem Land noch nie jemanden eine der Banken betreten
gesehen habe, spricht nicht gerade fuer die etablierten
Finanzinstitutionen: Immerhin hat als Haupteinnahmequelle eines
Grossteils der Bevoelkerung jahrelang ein pyramidenspielaehnlicher
Mechanismus fungiert, waehrend dessen die Banken auf Einlagen bis
zu 70% jaehrliche Zinsen auszahlten; viele Leute verkauften Haus
und Hof, die Bauern ihre Produktionsmittel, um das dadurch
erzielte Geld auf die Bank zu tragen und von den Zinsen zu leben.
Das konnte nur gut gehen, solange immer neue Mengen Kapital in das
System einflossen. Als dieser Input geringer wurde, brach das
System, d.h. in diesem Fall die Banken, natuerlich zusammen, und
hunderttausende hatten alles verloren; die dem Bankenkrach
folgenden, landesweiten Unruhen im Fruehjahr 1997 fuehrten sogar
zu einem Regierungswechsel.

Die Alternative, der freie Markt, ist in diesem Fall das Gewimmel
hunderter Geldwechsler hinter der verwaisten Bank von Albanien.
Maenner wedeln den Vorbeikommenden mit dicken Geldbuendeln zu. Auf
dem Gehsteig liegt auf einem Stueck Karton ein doppelt
schuhschachtelgrosser Haufen von 1000-Lek-Schein-Buendeln, den ein
hockender Mann in drei Teile aufteilt. Der Haufen repraesentiert
auf alle Faelle viele hunderttausend Schilling, wenn nicht
Millionen. Rundherum teilnahmslos andere Wechsler und auch ein
paar Polizisten. "Schwarzwechseln" duerfte also nicht illegal
sein.

Nach erfolgter Transaktion beginnt die Suche nach einem schnellen
Mittagessen in meiner knappbemessenen Pause. Fuenfzig Meter vom
"Hotel Tirana International" am Hauptplatz, bis vor kurzem mit
seinen 12 Stockwerken das hoechste Gebaeude und der Stolz des
Landes, lockt ein Schild "Restorant Popullore". Ein Blick
bestaetigt: Sieht nach Volkskueche aus. Die Tische sind fast alle
besetzt. Wo SO viele Menschen essen, kann's nicht GANZ schlecht
sein. Drin eine kreidebeschriebene Tafel, die in summa 10 Gerichte
(3 davon Getraenke) nennt. Das teuerste davon kostet umgerechnet
11 Schilling. Na gut, ein Versuch kostet zumindest nicht viel.

Beim Betreten des Lokals drehen sich alle nach mir um. Auslaender
scheinen hier nicht ueblich zu sein, und ich wirke offensichtlich
SEHR auslaendisch. Das Personal schaut fast feindselig. Als ich
den tageszeitgemaessen Gruss in der Landessprache stottere, kippen
schlagartig alle Mienen auf freundlich um.

Eingedenk guter Erfahrungen mit diesem Prinzip in entlegenen
ungarischen Dorfwirtshaeusern deute ich auf das zuoberst
angeschriebene Gericht und lasse mich ueberraschen. Die
Ueberraschung ist eine angenehme: "Tasqofte" entpuppt sich als ein
Zwillingsbruder des Gulasch, eine dicke, saemige Sauce mit viel
Zwiebeln, die muerbe Rindfleischstuecke beinhaltet. Fehlen nur die
rote Farbe und der suesse Geschmack des Paprika. Sowas verlangt,
wie wir spaetestens seit Wolfgang Ambros wissen, nach einem Seidel
Bier dazu. Das Seidel ist zwar keines, sondern volumsmaessig ein
Zwitter zwischen Seidel und Kruegel, aber das tut der Harmonie
keinen Abbruch. Ausserdem endlich einmal das heimische "Tirana"'-
Bier vom Fass und nicht diese laecherlichen, aus Deutsch- oder
Holland importierten 0,3-l-Wegwerfflaschen. Dazu zum Eintunken
ins "Gulasch" warmes, leicht graustichiges Weissbrot, kraeftig und
saftig, nicht so wie diese geschmacklosen Moechtegernbaguettes,
die sonstwo verkauft werden.

Mein Nachbar am Nebentisch bestellt einen "vogel Konjak", also
einen kleinen. Was er bekommt, sieht mir wie ein halbes Achtel
aus. Kostenpunkt laut Kreidetafel: Zwei Schilling fuenfzig. Wenn
das ein kleiner war, moecht ich nicht wissen, wie ein grosser
aussieht! Obwohl, irgendwo muessen Skanderbegs Trauben ja hin, seh
ich voellig ein.

Es geht ans Zahlen - 180 Lek macht meine Zeche aus, also 18
Schilling. Als wohlerzogener Oesterreicher (10% Trinkgeld und so)
lege ich einen 200-Lek-Schein hin und lasse das Retourgeld liegen.
Mit einer Geste, die aussieht, als wenn sie tiefe Ergriffenheit
ausdruecken wolle, legt der Kellner seine Hand aufs Herz. Habe ich
etwas falsch gemacht? War's zu viel? (Immerhin, um 20 Lek kriegt
man in dem Lokal schon eins von den langen, duennen
Fleischlaberln, die Qualtingers Herr Travnicek ungnaedig als
"Hundstruemmerln" diffamiert.) Na egal, hierher werde ich wieder
essen kommen, wenn denn nach dem heutigen Test mein
Verdauungstrakt sein Placet dazu gibt!

***

Andreas Jordan ist derzeit in Albanien als UN-Wahlbeobachter fuer
kosovitische Fluechtlinge. Fuer die akin schildert er laufend
seine Eindruecke. Die ersten beiden Teile waren in akin 15 und
16/00 zu lesen. Fortsetzung folgt.



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