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Aussendungszeitpunkt: 16.5.2000; 22:00
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Glosse:

> Die Ehre der Nebelwerfer

Warum es wichtiger ist, X und UA zu unterscheiden als L, H und D.

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Leben wir immer noch in den Zeiten eines "Leutnant Gustls" der sich
umbringen wollte, weil ihn ein "nicht satisfaktionsfaehiger"
Baeckermeister einen "dummen Bub" geheiszen und er ihm dafuer nicht
gleich den Schaedel eingeschlagen hatte? Arthur Schnitzlers Novelle
wird heuer hundert Jahre alt und er zeichnete schon damals seinen
Leutnant als eine laecherliche Figur.

Aber immer noch kommen uns die Groszen und Wichtigen und Bedeutenden
in diesem Land mit ihrer "Ehre". Sicher, frueher waere es ein
Kapitalverbrechen gewesen, das Staatsoberhaupt einen Lumpen zu nennen.
Majestaetsbeleidigung nannte man das. Ein bisserl was davon ist
uebriggeblieben, es ist immer noch von Amts wegen die Ehre des
Praesidenten oder des Bundesheeres oder des Nationalrates zu
schuetzen, aber die Zeiten haben sich doch geaendert -- in Oesterreich
musz man ja schon fuer Kleinigkeiten dankbar sein.

Waere hingegen Klestil nicht das Staatsoberhaupt, dann haette er das
frueher mit Kabas im Duell klaeren muessen -- gesetzt den Fall, Kabas
waere satisfaktionsfaehig gewesen.

Heute ist man ziviler. Man hat statt Mord und Duell die "Beleidigung"
ins Strafrecht aufgenommen -- sicher auch ein Fortschritt. Und die
Judikatur hat sich gluecklicherweise etwas gelockert, gerade im
politischen Zusammenhang ist heute mehr erlaubt als noch vor zwanzig
Jahren. Dennoch ist es unertraeglich, dasz man fuer eine Beschimpfung
eines anderen immer noch fuer bis zu drei Monaten ins Gefaengnis
kommen kann. Wo bitte, bleibt da die Verhaeltnismaeszigkeit?

"Tante, Tante, der hat gsagt, ich bin deppat." Kindergarten! Selbst da
kommt das eher selten vor, meistens genuegt ein "Selber, selber!" um
Waffengleichheit herzustellen. Aber in der hohen Politik ist man immer
gleich beleidigt. Be-LEID-igt! Als waere einem tatsaechlich ein
ernstzunehmendes Leid angetan worden. Wenn der A den B einen Lumpen
nennt, dann sind die Fans vom A der Meinung, dasz er Recht hat, und
die Fans vom B empoert und der Meinung, der A sei selber ein Lump.
Sonst ist aber nicht viel passiert. Kein Fan vom B wird deswegen der
Meinung sein, dasz der B ein Lump ist, nur weil das der A behauptet.
Hoechstens faellt bei den Nichtfans vom A dessen Schimpferei auf ihn
selbst zurueck.

Gerade im Politischen ist es wichtig, nicht staendig wegen derlei
Rohrspatzereien ein solches Aufheben zu machen. Wichtig ist es
hingegen, vom Politischen selbst zu reden. Was ist der Gehalt der
Anwuerfe, ist die Frage, nicht, wie wurden sie formuliert. Natuerlich
macht der Ton die Musik. Aber je mehr man sich darueber aufregt, umso
mehr gibt man diesen Injurien Bedeutung.

Noch dazu, wo es bei der Beleidigung ja gar nicht um die Kraenkung
geht. Denn eine Beleidigung ist nur dann eine "Beleidigung" nach den
Buchstaben des Gesetzes, wenn Dritte davon Kenntnis erlangen. Es geht
dabei nicht um die Beweisfrage, sondern darum, ob sich der B vom A in
den Augen des C herabgesetzt fuehlt. Was dieser Logik folgend wiederum
eigentlich eine Beleidigung des C darstellt, denn dieser wird als
unmuendig und so leicht beeinfluszbar dargestellt, dasz er es so
einfach vom A uebernehmen koennte, dasz der B z.B. ein Lump sei, also
einen schlechten Charakter hat -- und zwar ohne jeglicher Begruendung
fuer diese Einschaetzung.

Denn um diese Beschimpfung begruenden zu koennen, musz er sich anderer
Argumentationsweisen als einer Aneinanderreihung von Schimpfwoertern
bedienen -- und dies ist ja sehr wohl anderweitig codifiziert: Wenn
man etwas ueber jemanden behauptet, das ehrenruehrig ist, aber nicht
beweisbar, gibt es immer noch die "Ueble Nachrede" und die
"Verleumdung" im Strafgesetzbuch. Da geht es um aufgestellte
Tatsachenbehauptungen und ueber die kann man diskutieren und
versuchen, sie zu verifizieren oder falsifizieren. Ob diese
Paragraphen tatsaechlich taugliche Instrumente im Politischen sind
oder auch nur im taeglichen Leben, kann man diskutieren, der
Ehrbegriff des 19.Jahrhunderts ist aber wirklich ein Atavismus, der
nicht nur aus dem Strafgesetzbuch, sondern auch aus dem Bewusztsein
gestrichen werden musz. Was kann es einem Menschen anhaben, von
jemanden, der ihm uebel gesonnen ist, diese Tatsache verbal bestaetigt
zu bekommen.

Egal, ob es sich jetzt um "Lumpen", "mieselsuechtige Koffer",
"richtige Saeue" oder "Westentaschen-Napoleons" handelt -- es bleibt
die Frage, ob diese Schimpwoerter und auch die Schimpfenden selbst so
bedeutend sind, sie zu zitieren und Nachrichtensendungen damit zu
ueberschwemmen. Die "Ehre", das war schon immer etwas, was die Sicht
auf das Eigentliche, Reale, Materielle verdecken sollte. Denn im
Politischen ist nicht der eigentlich Beschimpfte der Adressat der
Beschimpfung, sondern der Beobachter C, die Oeffentlichkeit oder
schlicht wir, das Volk. Dieses Volk, dessen Intelligenz regelmaeszig
durch solche Ausfluege ins Verbalinjurische beleidigt wird, braucht
aber auch nicht eingeschnappt zu sein. Wir koennen uns zuruecklehnen
und uns unseren Teil denken -- ueber die Beschimpfer, die
Gerichtshanseln und die Journalisten, die diesen Schmonzes fuer
relevante Nachrichten halten. Wir lassen uns staendig ungehindert X
fuer U vormachen, stattdessen alterieren wir uns darueber, ob Herr
Kabas jetzt "Lump", "Hump" oder "Dump" gesagt hat. Das musz anders
werden und gerade die fortschrittlichen Kraefte muessen damit
aufhoeren, jedes Stoeckchen der "hohen Politik" zu apportieren. Denn
nur das Interesse an derartigen Ausbruechen erzeugt diese politischen
Nebelbomben. Und gerade in Zeiten wie diesen ist kaum etwas wichtiger
als klare Sicht. *Bernhard Redl*



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