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Medien/Kultur/"Zivilgesellschaft":

> Beisz sehr wohl die Hand, die dich fuettert!

Die dreitaegige Konferenz "sektor3/kultur" der IG Kultur
Oesterreich ist am 2. April zu Ende gegangen. Die wichtigsten
Eindruecke im Ueberblick:

*

Renata Salecl, Philosophin und Soziologin an der Universitaet
Ljubljana, befasste sich in ihrem Eroeffnungsvortrag mit dem
Aspekt der "Kuratoren zwischen Geld und Kunst". Diesen Mediatoren
zwischen Kuenstlern und dem Publikum komme eine grosze
Verantwortung zu. In zweierlei Hinsicht. Zum einen um den Wert und
die Aussage der kuenstlerischen Arbeit zu ermitteln, zum anderen
aber auch in ihrer Rolle als "Businessmen", um uns erfolgreich zu
vermarkten".

Damit sei, so Renata Salecl, eine "apolitische Wende in der Kunst"
einhergegangen, "die sehr eng mit der heutigen Logik des
Kapitalismus" verbunden ist. Mit dessen Globalisierung werde es
fuer nationale Politik immer schwerer moeglich, diese
marktwirtschaftlichen Entwicklungen unter Kontrolle zu halten.
Rechtsextreme Politiker haben sich die Antagonismen einer
kapitalistischen Gesellschaft zunutze gemacht, waehrend diese auf
der linken Seite lange Zeit missachtet wurden.

Aus diesem Grunde sollten auch Kuenstler und Intellektuelle in der
Diskussion zur Zivilgesellschaft "nicht verzweifelt versuchen,
einen dritten Raum zu finden, der sich auszerhalb des Einflusses
von Staat und Kapital befindet". Sinnvoller hingegen sei es -- und
dabei wandte sich Salecl am Ende ihrer Ausfuehrungen noch einmal
an die Verantwortung der "Kuratoren zwischen Geld und Kunst" --
durch "politische Aktion den Raum der Zivilgesellschaft
wiederzugewinnen und damit Alternativen zu den bestehenden
Modellen einer kapitalistischen Gesellschaft aufzuzeigen".

Devianzforscher, Buchautor und Theaterpraktiker Rolf Schwendter
beklagte in seinem Eroeffnungsvortrag, dass bei der Hoffnung auf
die "posteuphorische Nachhaltigkeit der Zivilgesellschaft" der
enge Zusammenhang von "Zivilgesellschaft und Armut" zu wenig ins
Bewusstsein gerueckt werde. Es sei dies "eines der groeszten Tabus
der zentraleuropaeischen Laender, das Thema Armut auch nur zu
erwaehnen".

Aus diesem Grunde stand bei seinen strategischen Empfehlungen die
Forderung nach einer "Grundsicherung, die diesen Namen verdient",
an erster Stelle. Nur dadurch werde auch im kulturellen Feld ein
ungestoertes Arbeiten ermoeglicht. Daraus resultiere auch die
Notwendigkeit, die Vernetzung des gesamten dritten Sektors
fortzufuehren und auch das gegenseitige politische Lobbying dabei
einzubeziehen. "Kulturpolitische Forderungen", so Schwendter,
"haben schlieszlich mehr Chance auf Durchsetzung, wenn sie nicht
nur von Kulturschaffenden erhoben werden". Umgekehrt muessten dann
natuerlich auch verstaerkt sozialpolitische Forderungen in den
Kulturbereich Eingang finden.

Eine Chance der aktuellen Situation in Oesterreich glaubt Rolf
Schwendter fuer das kulturelle Feld auch darin zu erkennen, dass
"die traditionell gewordene Einheit IG AutorInnen-IG Freie
Theaterarbeit-IG Kultur den laengst erhofften Zuwachs weiterer
kultureller Branchenzusammenschluesse erhalten hat". Unter groszem
Beifall brachte Rolf Schwendter einen bildhaften und zugleich
aufmunternden Vergleich: "Der Ballhausplatz ist kein Winterpalais.
Es kann sich nur um eine vielfaeltige Politik der kleinen,
abwechslungsreichen, thematisch divergierenden Nadelstiche
handeln, die eines Tages den Biermann'schen Drachen veranlassen,
sich auf den Zinnen der eigenen Burg zu pieken".

*

Am Samstag, dem zweiten Tag der Konferenz, stand die "sektion3"
auf dem Programm. Mit Oliver Marchart eroeffnete ein langjaehriger
Konferenzbegleiter der IG Kultur Oesterreich die Vortragsreihe der
"sektion3". Der Philosoph und kulturpolitische Publizist versteht
den dritten Sektor im kulturellen Feld als eine "freie
Opposition". Das sei naheliegend, denn hier existieren Netzwerke
und weitreichende organisatorische Faehigkeiten", welche die
gerade jetzt so notwendige "Verknuepfung von Kulturarbeit und
politischer Arbeit, also mit anti-rassistischen, feministischen
und anti-nationalistischen Gruppen leichter machen".

Auf Marchart folgte der in Zagreb und Wien lebende Philosoph und
Publizist Boris Buden, der in dem "Wachtturm Zivilgesellschaft"
eine sehr deutliche Funktion erkennt: "Sie ueberwacht den schon
erreichten politischen Status quo und verspricht,
gesellschaftliche Konflikte unter Kontrolle zu haben."

Fiona Steinert, Aktivistin des Wiener Freien Radios Orange 94,0,
forderte die politische Ermoeglichung einer "gesellschaftlichen
Artikulation und Partizipation". Freie Radios bieten dafuer den
Zugang und damit eine "Dienstleistung an der Oeffentlichkeit, die
der Staat nicht wahrnimmt und deshalb foerdern muss".

Robert Zoechling sieht als Vertreter der alternativen Zeitungen
und Zeitschriften die Entwicklung der "zivilgesellschaftlichen
Euphorie" mit einer gewissen Skepsis. Er sieht es nicht als seine
Aufgabe an, die Politik "im Wege der Zivilgesellschaft retten zu
wollen". Man sollte sich vielmehr "widersetzen", die
"Auseinandersetzung entwickeln und aufrecht erhalten", etwa indem
Medien gegen die gaengigen Medien geschaffen werden.

Eva Sturm kommt aus dem Bereich der Kunstvermittlung und
eroerterte unter dem Titel "Und wenn es doch etwas mit Kunst zu
tun haette?" die Frage nach der Rolle des Subjekts. Dieses muss
sich "entfremdend artikulieren, um sich im Feld der Kommunikation
festzuschreiben". Wir alle muessen den Blick dafuer schaerfen,
denn -- so ihr abschlieszender Hinweis -- der "Widerstand steckt
schlieszlich im Detail".

Juliane Alton, Geschaeftsfuehrerin der IG freie Theaterarbeit,
betonte die Bedeutung der Wiedergewinnung oeffentlicher Raeume:
"Straszen und Plaetze, ja selbst ehemalige Fabriken und
Ausstellungsraeume von Autohaendlern, bieten Moeglichkeiten der
oeffentlichen Auseinandersetzung: Im Theaterereignis selbst, aber
auch in Diskussionen, die kunst- oder gesellschaftspolitisch
aktuell angeregt stattfinden."

Der Wiener Kunsttheoretiker und Netzkritiker F.E. Rakuschan sieht
die Verbindung des kulturellen Feldes zur Staatsmacht alleine "in
der gruendenden Funktion des Konflikts". "Das flieszende
Gleichgewicht der Zivilgesellschaft" naehrt sich insbesondere aus
der "Instabilitaet dynamischer und komplexer Prozesse". Erst die
Vielfalt und auch die Widerspruechlichkeiten geben ihr dafuer die
notwendige Qualitaet.

Die Medientheoretikerin Marie-Luise Angerer bezog sich auf den
Begriff der Internet-Generation, der ihr seit seiner symbolischen
Aufladung als durchaus benutzenswert erscheint. Angerer betonte
die Notwendigkeit, "die Phantasmen des Netzes mit politisch-
sozialen Strategien in Beziehung zu setzen". Denn das "Internet-
Land braucht neue Menschen, die mit ihrer Sozialitaet und Politik
anders umzugehen lernen".

*

Bei der abschlieszenden Podiumsdiskussion kamen am Sonntag, 2.
April, unter Moderation von Markus Wailand in erster Linie die
Praktiker aus dem kulturellen Feld zu Wort. Marie Ringler (Public
Netbase t0, Wien), Gabi Kepplinger (Stadtwerkstatt, Linz), Gerald
Groechenig (kunstfehler, Salzburg), Marie-Luise Anger
(Medientheoretikerin Koeln/Bochum) und Martin Wassermair (IG
Kultur Oesterreich) diskutierten die strategische Umsetzung einer
zivilgesellschaftlichen Kulturarbeit.

Die Diskussion orientierte sich am staerksten an der Frage, wie
die wichtigste Aufgabe des kulturellen Feldes, naemlich die
Herstellung von Oeffentlichkeit, am besten zu erfuellen ist. Hier
standen insbesondere Freie Radios und Netzkultur-Server im
Mittelpunkt, um die sich die Politisierung der Szene zuletzt
formierte. Sie befuerchten aufgrund dessen jetzt besonders tiefe
Einschnitte in der Foerderungspolitik der neuen Regierung.

"Beisz sehr wohl die Hand, die dich fuettert", war dann auch die
gemeinsame Losung von Kultur- und Medieninitiativen an diesem
weitgehend einvernehmlichen Abend. In den kommenden Wochen soll
schlieszlich in weiterfuehrenden Diskussionsveranstaltungen,
Pressekonferenzen, Aktionstagen und Demonstrationen (z.B.
Volkstanz am Ballhausplatz, 15.April) die demokratiepolitische
Notwendigkeit der Wahrung der Meinungsfreiheit durch freie und
nicht-kommerzielle Medienprojekte wieder verstaerkt ins
Bewusstsein gerueckt werden.

Zum Abschluss der Diskussion brachte Martin Wassermair die
Position der IG Kultur Oesterreich und ihre Zielsetzung der damit
zu Ende gegangenen Konferenz noch einmal auf den Punkt:
"sektor3/kultur versteht sich als ein kulturpolitischer
Kampfbegriff gegen Neoliberalismus und eine entfesselte
Marktwirtschaft, gegen soziale Ausgrenzung und gegen jede Form der
politischen Bedrohung von Kunst und Kultur, von Menschenrechten,
Meinungsfreiheit und Demokratie."
*Aussendung der Konferenz-Organisation*
*via MUND/Widerst@nd /gek.*


*

Im Sommer 2000 erscheint eine Dokumentation der Konferenz
"sektor3/kultur". Bestellungen sind ab sofort moeglich unter: IG
Kultur Oesterreich, Viktorgasse 22/8, A-1040 Wien, Tel: +43 (1)
503 71 20, Fax: +43 (1) 503 71 20/15, eMail: office@igkultur.at,
www.igkultur.at. Die meisten Manuskripte der einzelnen
Redebeitraege sind im Volltext unter
http://www.igkultur.at/konferenz/index.html nachzulesen.


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