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Aussendezeitpunkt: Di, 28.03.00, 14:44 *
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Prinzipielles:

> Rassismus als postmodernes Miszverstaendnis

Ansaetze zur Fragestellung, wie das Phaenomen der Diskriminierung
sozialer Gruppen unter der Bedingung des kapitalistischen
Gesellschaftssytems zu verstehen ist.

*

Es liegen vor: Zwei Aussendungen vom Liberalen Forum Wien. Der
Nachrichtenwert darin ist kein besonders erheblicher. Das Denken
dahinter aber ist es wert, analysiert zu werden. Die eine
Aussendung handelt von der Wuestenrotversicherung, die sich
weigert Afrikaner als Klienten anzunehmen -- was von Marco
Smoliner vom LiF als "Rassismus" qualifiziert wird und ihn zur
Anregung bringt, die Versicherung moege sich doch in "Alpenbraun"
umbenennen. Smoliner hatte auf einen Protestbrief folgende
Stellungnahme der Versicherung erhalten: "1. Zur Annahmepolitik
der Wuestenrot Versicherungs-AG muss grundsaetzlich festgestellt
werden, dass die Staatsangehoerigkeit eines Interessenten vor
allem deshalb beruecksichtigt werden muss, weil unsere
Risikotarife auf oesterreichischem Rechnungsgrundlagen basieren
und fuer die Berechnung der Risikopraemie die oesterreichische
Sterbetafel herangezogen wird. Bei Tarifen mit entsprechender
Risikokomponente sind dennoch alle europaeischen Staatsbuerger mit
oesterreichischen Staatsbuergern gleichgestellt. [...] Es ist
richtig, dass wir derzeit fuer afrikanische Staatsbuerger wegen
der zu hohen Kosten keine Risikoversicherungen anbieten. [...] 2.
Im konkreten Anlassfall handelt es sich um ein Maklerbuero in
Wien, von dem die Wuestenrot Versicherungs-AG bislang noch nie
eine Versicherung vermittelt erhalten hat. Wir sind deshalb auch
nicht gewillt, fuer ein uns unbekanntes Risiko ein Angebot zu
erstellen. [...] Die Unterstellung, dass Wuestenrot eine
auslaenderfeindliche Annahmepolitik betreibt, weisen wir in aller
Deutlichkeit zurueck."

Dazu ist zweierlei zu sagen: Erstens geht es Wuestenrot nicht um
die Hautfarbe, sondern um die Staatsangehoerigkeit, womit der
Vorwurf korrekt "Auslaenderfeindlichkeit" lauten mueszte. Aber
subsummieren wir einmal einfachkeitshalber beide Begriffe unter
"Rassismus", da es sich ja tatsaechlich um verwandte Phaenomene
handelt. Dennoch trifft der Vorwurf weniger Wuestenrot, sondern
vor allem die Gesellschaft, in der wir leben. Auch Wuestenrot
handelt "rassistisch", aber nicht im ueblicherweise so definierten
Sinne. Denn es geht weder um eine als idealistisch verstandene
Abneigung gegen Schwarze oder Auslaender noch um die Frage, was
der Kronenzeitungsleser dazu sagen koennte, wenn er bei der selben
Versicherung ist wie ein Nigerianer. Es ist hier materialistisch
zu betrachten, worum es geht: Afrikaner sind gerade wegen des
Verhaltens gewisser Kleinbuerger, des polizeilichen Denkens und
der Schreibweise der Kronenzeitung durchaus als Riskofaelle fuer
eine Versicherung anzusehen. Wuestenrot ist eine private Firma,
die Profite machen soll. Sie ist nicht zu vergleichen mit einer
Sozialversicherung, deren Aufgabe es ist, der Bevoelkerung Schutz
zu bieten, um das soziale Gefaelle im Land nicht allzu steil
werden zu lassen und die Funktionsfaehigkeit der Nationaloekonomie
zu garantieren -- eine Versicherung, die also nach national- bzw.
sozialoekonomischen Praemissen zu handeln hat.

Dunkelhaeutige Auslaender, speziell aber Afrikaner leben in diesem
Land auf alle Faelle gefaehrlich und viele von ihnen unter
sozialen Umstaenden, die auch nicht sehr gesund sind. Das ist
Folge eines gesellschaftlichen Rassismus, den Wuestenrot lediglich
als gegeben hinnimmt und danach handelt zum Zwecke der
Profitmaximierung. Denn Versicherungsgesellschaften verkaufen
Lebensversicherungen eben lieber an Leute, die aufgrund ihres
Risikoprofils eine lange Lebenserwartung haben.

Bezeichnend ist in der Wuestenrotaussendung dafuer der Satz: "In
allen anderen Faellen ist das Einzelrisiko zu pruefen und mit
unserem Rueckversicherer abzustimmen." Genau das naemlich: Marcus
Omofuma haetten sie bestimmt nicht versichert. Kaeme aber ein
schwarzafrikanischer Botschaftssekretaer oder ein Geschaeftsmann,
koennte man sich das vielleicht doch ueberlegen. Denn dem kann es
vielleicht auch passieren, dasz er einmal irrtuemlich
polizeibehandelt wird, er stirbt aber ganz bestimmt nicht in der
U-Haft -- und kann daher wahrscheinlich lange Zeit ueber
suendteure Praemien bezahlen. Dasz das natuerlich keine Sichtweise
ist, wie sie dem durchwegs kapitalistisch gesinnten LiF einfallen
koennte, versteht sich von selbst. In Ahnlehnung an ein
vielgebrauchtes, aber immer noch gutes Horkheimer-Wort sollte das
LiF vom Rassismus schweigen, wenn es nicht vom Kapitalismus reden
moechte.

Der Kapitalismus ist nicht per se rassistisch, sondern er
akzeptiert oder nutzt ihn -- und foerdert ihn bisweilen diesen
auch. Das ist ein groszer Unterschied. Es geht nicht um eine
emotionale Ablehnung, sondern es geht darum: Wie kann man andere
Menschen optimal verwerten.

Im konkreten Fall zeigt sich das ja gerade so deutlich: Denn zwar
stuetzt die Ablehnung von Afrikanern durchaus ein rassistisches
Bewusztsein, dies aber ungewollt. Diese Ablehnung schwarzer Kunden
resultiert aber keineswegs aus rassistischen Intentionen. Eine
private Versicherung ist nicht rassistisch, sondern ganz einfach
unsozial. Das aber ist eine Grundeigenschaft des privaten
Unternehmertums, die im Prinzip des Kapitalismus eben tragend ist,
und nicht ein moralisches Defizit der Wuestenrot-Versicherung.

*Ohne Suendenboecke gehts nicht*

Das Problem des Ausgrenzung von Bevoelkerungsgruppen ist
natuerlich ein Phaenomen, das im Kapitalismus wie in jedem anderen
hierarchischen System in der einen oder anderen Form notwendig
ist. Wenn es ein "unten" gibt, dann musz es auch ein "ganz unten"
geben. Denn wenn man nicht nach "oben" treten kann, weil dort der
Widerstand zu grosz ist, dann musz man eben irgendwoanders seinen
Dampf ablassen. Der Suendenbockmechanismus ist sicher ein alter
Hut, aber in dieser Debatte scheint es mir doch notwendig, hin und
wieder auf diese Schemata hinzuweisen: "Blitzableiter"-
Menschengruppen sind die logische Folge von hierarchischen
Systemen und ergeben sich aus ihnen folgerichtig. Wer da versucht,
mit moralischen Appellen etwas grundlegend aendern zu koennen,
musz in seiner Kritik einfach zu kurz greifen. Wenn die
"rassischen" Merkmale nicht mehr zur Diskriminierung verwendet
werden koennen, sind es halt wieder die Schwulen, die
Langhaarigen, die Jugendlichen, die Fixer oder die Sandler.
Irgendwen musz man hauen, sonst funktioniert das Werkl nicht.
Dabei bitte ich, mich nicht falsch zu verstehen: Was jetzt an
Kritik an Politik und Gesellschaft geuebt wird, ist durchaus
richtig, wichtig und notwendig. Diese Kritik wird nur leider
wirkungslos bleiben, wenn nicht breitenwirksam die Frage gestellt,
welche Funktion der Rassismus hat.

Womit wir bei der zweiten Aussendung des LiF waeren (die leider
wortgleich von den Gruenen oder einer anderen postmodernen
politischen Gruppe haette stammen koennen), die ebenfalls die
derzeit vorherrschende idealistische Sichtweise auf das Phaenomen
Rassismus dokumentiert. Denn alle Jahre wieder kommt der Bericht
von amnesty international und alle Jahre wieder taucht Oesterreich
in schlechtem Licht darin auf. Und dazu zitiere ich nochmal Marco
Smoliner: "Dasz heuer besonders rassistisch motivierte Uebergriffe
erwaehnt werden, ist darauf zurueckzufuehren, dasz
Innenministerium und Polizeifuehrung dieses Phaenomen seit Jahren
ignorieren." Natuerlich sind weite Kreise unserer Polizei
rassistisch -- wahrscheinlich noch ein bisserl mehr als es die
meisten anderen Bevoelkerungsgruppen sind. Aber: Warum hauen die
Kieberer so gerne Menschen, deren Hautfarbe dunkler ist als die
des oesterreichischen Durchschnitts? Sie hauen sie nicht deswegen,
weil sie nicht moegen, sondern weil sie sie mit dem nur sehr
geringen Risiko einer Strafverfolgung hauen koennen. Die
Polizisten vermuten, dasz sich diese ihre Opfer eh nicht wehren
koennen. Denn Polizisten moegen doch auch Rechtsanwaelte nicht
besonders. Aber die werden sie wohlweislich nicht hauen -- denn
die koennen sich wehren!

Der Polizeidienst ist nicht nur selbst nach auszen hin
gewalttaetig. Er ist auch in sich mit einer sehr viel strafferen
Hierarchie -- also strukturellen Gewalt -- als in den meisten
anderen Arbeitsprozessen ausgestattet. Das musz extreme
Aggressionen hervorrufen; besonders im Zusammenhang mit der
Tatsache, dasz Polizisten in ihrer taeglichen Arbeit mit sehr viel
gewalttraechtigen Konflikten zu tun haben (deren Ursachen zu
analysieren hier leider nicht der Raum ist). Irgendwohin musz
dieser Druck abflieszen. Anstatt aber zu versuchen, den Polizisten
diesen Druck abzunehmen -- was das ganze politisches System
schwaechen wuerde -- erlaubt man ihnen lieber, irgendwen zu hauen,
den man ihnen quasi als Pruegelknaben vorwirft. Der Rassismus der
Polizisten ist zur Opferwahl sicher sehr hilfreich, aber er ist
nicht die Ursache der Uebergriffe. Hier haben wir wieder das
Prinzip: Die hierarchische Struktur der Gesellschaft benoetigt
Menschen, die gehaut werden duerfen. Das politische System ist
dabei aber nicht rassistisch, sondern es nutzt den Rassismus.
Dieser ist kein Fehler des Systems, sondern eine Notwendigkeit
dafuer und genau deswegen koennen moralische Appelle nicht
wirklich verfangen.

Natuerlich ist eine Gesamtkritik der Gesellschaft sehr viel
schwieriger und weniger wohlgefaellig als punktuelle Kritik. Und
es riecht so ein Ansatzpunkt auch sehr nach Weltrevolution und
Adornos "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Aber es nutzt
nichts, so ist es halt. Natuerlich musz man jeden Uebergriff der
Polizei dokumentieren, natuerlich musz man peu à peu arbeiten und
die einzelnen Symptome des Herrschaftssystems anprangern, aber man
darf eben nicht eben diese Symptomhaftigkeit vergessen oder
verschweigen. Denn Markus Omofuma ist nicht gestorben, weil er
schwarz war. Sondern weil er wehrlos war. Wehrlos und arm.
*Bernhard Redl*


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