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Aussendezeitpunkt: Di, 28.03.00, 14:17 *
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Buecher:

> Die verweigerte Realitaet

Hubertus Czernin (Hg), "Wofuer ich mich meinetwegen entschuldige -
Haider, beim Wort genommen", Czernin Verlag, Wien, Maerz 2000, 125
Seiten, oeS 168,--

"Wofuer ich mich meinetwegen entschuldige" ist der Titel eines
Buches, das eigentlich kein Buch ist, sondern nur eine
Zitatensammlung. Dennoch ist seinem Herausgeber, Hubertus Czernin,
zu danken. Er hatte die schlichte Idee, dass es auch moeglich sei,
dem allgemeinen Gedaechtnisschwund vieler Oesterreichischer (nicht
nur der Politiker) durch eine Art Nachhilfestunde
entgegenzuarbeiten.

Sie besteht, neben dem Vorwort des Herausgebers (der dort jenem
Oesterreicher, der jetzt Kanzler ist, die Erinnerung an seine
Aussagen ueber Joerg Haider vor Augen fuehrt) ausschliesslich aus
Haider selbst: aus seinen Wortspenden, die er im Laufe der Zeit
zwischen den ausgehenden Sechzigerjahren und seinem Verbalvulkan
gegen die boese EU, den dummen Chirac und die "korrupte belgische
Regierung, die Kinderschaender pardoniert" am 29. Jaenner 2000,
der Feier seines fuenzigsten Geburtstags, abgesondert hat.

Wieder nur zur Erinnerung: Belgien und Frankreich sind jene zwei
Laender, die die Sanktionen der 14 uebrigen EU-Laender am
staerksten befuerworten. Wenn man jetzt Haiders rhetorische
Beschimpfungsorgie in aller Ruhe zwischen den zwei Buchdeckeln
liest, faellt es einem leicht zu verstehen, warum ausgerechnte
diese beiden Laender so bruesk reagiert haben.

An diesem Buch ist vor allem zu sehen, wie Haider die Sprache
handhabt; und das ohne allen gelehrten Kommentar, ohne
journalistische Zuspitzung, nur durch sich selbst. Man kann sich
nicht des Eindrucks erwehren, dass hier ein Mensch entweder die
Sprache bewusst und absichtlich missbraucht, oder im fatalen
Bewusstsein, recht zu haben, seine eigenen Widersprueche
verdraengt. Im ersten Fall waere der Sprecher ein Luegner, im
zweiten Fall jemand, dem dringend eine psychiatrische Betreuung
anzuraten waere.

Ich setze hier bewusst den Konditionalsatz ein.

Ich behaupte nicht, dass Haider luegt oder psychisch gestoert ist,
sondern sage nur, dass es eigentlich keine Alternative
(bestenfalls eine Mischung) zu diesen beiden Moeglichkeiten gibt,
wenn man sich die Muehe macht, Haiders Sprache genau zu lesen:

"Ich moechte einmal wissen, ob jemand von jenen, die zu feige
sind, dort hinzugehen, oder die staendig den Stab ueber das
Ulrichsbergtreffen brechen, ob sie einmal ein vernuenftiges
Argument sagen koennen. Es gibt maemlich keines, ausser dass man
sich aergert, dass es in dieser Welt einfach noch anstaendige
Menschen gibt, die einen Charakter haben und die auch bei
groesstem Gegenwind zu ihrer Ueberzeugung stehen und ihrer
Ueberzeugung bis heute treu geblieben sind. Und das ist die Basis,
liebe Freunde, die auch an uns weitergegeben wird. (...) Und
jeder, der heute mitmacht, der sagt, dass die Angehoerigen der
Kriegsgeneration, der Wehrmacht, alles Verbrecher gewesen sind,
der beschmutzt letztlich seine eigenen Eltern, seine Familie,
seine eigenen Vaeter, und ein Volk, das seine Vorfahren nicht
geehrt haelt, ist soundso zum Untergang verurteilt." (Rede vor SS-
Veteranen in Krumpendorf, 30. September 1995, aus: profil Nr. 2,
8. Jaenner 1996)

Einen Tag spaeter, nach der Veroeffentlichung seiner Rede im
Profil, verkuendet Joerg Haider ganz selbstbewusst -
sprachlich in Er-Form, wie weiland einst Julius Caesar - im
Fernsehen:

"Es gibt kein wie immer geartetes Lob des Joerg Haider an die
Waffen-SS oder sonst irgend etwas. Sie wissen, dass das Ganze,
wuerde ich sagen, inszeniert worden ist aus hochpolitischen
Gruenden." (Mittags-ZiB, 9. Jaenner 1996)

Psychisch liegt hier ein klarer Fall von "Abspaltung" vor,
einfacher ausgedrueckt, kann man es auch politische
Kindesweglegung nennen. Solche Menschen neigen dazu, die
Realitaet, in der sie leben, die sie oft selber erzeugen in dem
Augenblick zu verweigern, wo sie mit ihr konfrontiert werden.
Haider war es ja selbst, der in Krumpendorf jene Worte erzeugt
hat, die ein Videofilm auf Magnetband festhielt, sodass ihre
Realitaet nicht mehr leugenbar war, etwa als Worte, die "ihm
zugeschrieben" wurden.

Als Adolf Hitler, schon gegen Ende des zweiten Weltkriegs, auf
seinem Weg von oder zum Fuehrerbunker per Zufall neben einen
Lazarettzug zu stehen kam, aus dem die verwundeten Soldaten in
sein Abteil hereinstarrten, gab er einen Befehl. Er befahl der
Ordonnanz, die Jalousien seines Fensters zu schliessen. So einfach
ist das, die Realitaet auszublenden! Hitler schliesst die Augen
vor der Realitaet, die er selbst geschaffen hat, und Haider (und,
wenn er es braucht, auch Wolfgang Schuessel) sagt das Gegenteil
von dem, was er gerade zuvor gesagt hat.

Wenn jemand dann kommt und es wagt, ihn darauf anzusprechen, hat
er halt das knapp vorher Gesagte vergessen. *Uwe Bolius*


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