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Aussendungszeitpunkt: 14.3.2000; 17:30
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Moderne Zeiten:

> Die "Surveillance Camera Players"

Videoueberwachungssysteme zum Zweck der "allgemeinen Sicherheit"
sind laengst keine Randerscheinung mehr. Bahnhoefe,
U-Bahnstationen und Plaetze werden ueberwacht. Nicht nur im fernen
Amerika, auch immer mehr in Europa. Aber wo fuehrt das hin? Wird es
in Zukunft ueberall Kameras geben muessen? In Groszbritannien sind
einige dieser Ueberwachungssysteme mit einer Art
Erkennungsprogramm (sogenannte "biometrische Systeme" zur
Koerpervermessung) ausgestattet, sodasz PassantInnen jederzeit
"ueberprueft" werden koennen. Wer aber kontrolliert die
Kontrollorgane? George Orwells Big Brother ist mitten unter uns.

Eine Gruppe AktivistInnen mit Sitz in New York City tritt gegen
die fortschreitende Ausbreitung von Videoueberwachungssystemen
auf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Kurze und stumme Theaterstuecke
z.B. mit dem Titel: "Sie werden zum Zwecke Ihrer Sicherheit
ueberwacht" -- werden vor den "Augen" der Ueberwachungskameras und
des Personals dahinter zur Auffuehrung gebracht:

Die Surveillance Camera Players (SCP's, Ueberwachungskamera-
Spieler), so nennen sie sich, sind eine kombinierte Theater- und
Protestgruppe. Grosze Plakate, auf denen der Text fuer eine
Kameralinse deutlich lesbar aufgeschrieben wurde (denn die meisten
Videosysteme uebertragen keinen Ton), werden vor die Kameras
gehalten. Bewegung, Gesten, Mimik und Requisiten ergaenzen den
Text, der sich mit den Themen Krieg, Polizeistaat, soziale
Kontrolle, Propaganda und der Erstellung von Rassenprofilen
beschaeftigt. Trotz des ernsten, politischen Anliegens dieser
"Auffuehrungen" enthalten sie lustige oder komische Momente.
Flugblaetter, auf denen die Fordenungen der AktivistInnen
ausformuliert sind, werden an PassantInnen verteilt.

Und dann bestimmen Polizeioffiziere und Wachen den Hoehepunkt und
den von den SpielerInnen gewollten Abschlusz der Aktion, wenn sie
in das Geschehen einsteigen und dem Ganzen dadurch noch eine Ebene
hinzufuegen. Fuer eine kurze Zeit, naemlich fuer die Dauer einer
solchen Aktion, wird nicht mehr die unwissende Bevoelkerung
beobachtet, sondern Polizei und Wachpersonal werden unwissentlich
zum Publikum der Spielerinnen gemacht. Seit der Gruendung dieser
Aktionsgruppe vor drei Jahren sind die SCP's zu einer Plattfomm
gegen die Einfuehrung von Videoueberwachungssystemen geworden.
Kontakte zu verschiedenen lokalen Buergenrechtsbewegungen, die
sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sind bereits entstanden.

Mit stummen Theaterstuecken vor Kameras und Wachpersonal
aufzutreten, scheint reichlich schwach als Kampfmittel gegen die
Augen des "Big Brother". Aber gerade diese Tatsache machen sich
die SCP's zu ihrer Staerke: denn sie koennen damit sicher
niemanden glauben machen, dasz ihre Aktionen ausreichen, wenn es
darum geht, eine politische, eine gesellschaftliche Veraenderung
herbeizufuehren. Und damit wird nochmals herausgestrichen, dasz
jede/r von der Problematik betroffen ist.

Ein Beispiel aus Oakland, Califomien zeigt, dasz dieses Konzept
funktionieren kann. Im August vergangenen Jahres gelang es der
American Civil Liberties Union, einer Buergenrechtsbewegung, die
Anbringung einer Vdeoueberwachungsanlage zu verhindern. Ihre
Argumente: Es gibt noch immer keinen Beweis dafuer, dasz
Videoueberwachung die Kriminalitaetsrate senkt; tausend Kameras
werden unser Leben nicht sicherer machen, sie sind hoechstens ein
weiteres Machtinstrument des Staates.

George Orwell und seine Vision "1984" hat an Aktualitaet nichts
verloren. Orwell entwarf das Bild einer durchsichtigen
Gesellschaft, einer totalen Transparenz, die durch
Videoueberwachung erreicht wird. Es gibt keine "Dunkelheit" mehr
in Orwell's Vision, keinen Fleck Erde, der nicht sichtbar ist,
alles ist "hell", beleuchtet und durchschaubar.

Nein, wir sind wirklich nicht weit entfernt davon. Moderne
Architektur z.B. aus Stahlgeruesten und leicht einsehbaren
Glasfassaden erbaute, besonders "zweckmaeszige" Buerogebaeude,
sind sie nicht ein Produkt dieser Entwicklung? New York City ist
weltweit bekannt und beruehmt fuer seine glitzernden Stahl-Glas-
Bauten, die weithin sichtbar und durchsichtbar in schwindelnde
Hoehen wachsen...

Aber auch auf einer individuellen und damit auf gesellschaftlicher
Ebene entwickelt sich unser Leben immer mehr in Richtung totale
Transparenz. Talkshows und Reality-TV-Sendungen gaukeln uns vor,
dasz es erwuenscht und unterhaltend ist, vor laufender Kamera
intimste Details auszuplaudern, das Leben transparent und
oeffentlich zu machen. Und wir finden es suspekt, wenn jemand
etwas nicht sagen will, etwas "zu verbergen hat". Wenn Paparazzi
hinter dem Privatleben von Prominenten her sind, finden wir daran
nichts Auszergewoehnliches, denn das Leben von oeffentlichen
Personen ist eben von allgemeinem Interesse.
                   *Hannah Kneucker in "Augustin" Jaenner 2000 / bearb.*

***

> Ist Wien anders?

Noch sind wir nicht mit einer derartigen Dichte von
Ueberwachungskameras wie in US-amerikanischen und britischen
Staedten gesegnet. Noch gibt es bei uns nicht wie in London einen
ganzen Park, in dem jeder Winkel mit Kameras ueberwacht ist. Noch
sprieszen diese Anlagen fast nur in U-Bahnstationen, Kaufhaeusern,
Banken und zur Verkehrsueberwachung -- aber so faengt es an. Denn
mittlerweile haben sich die Menschen schon sehr an diese
elektronischen Augen gewoehnt und schlieszlich dient ja alles
immer nur der "eigenen Sicherheit" der Beobachteten. Allein dieser
Begriff sollte einen stutzig machen, denn was es alles zum Zwecke
der "Sicherheit" gibt, ist bekannt. Polizei, Militaer,
Geheimdienste haben von dem Schmaeh immer schon gut gelebt. Auch
Lauschangriff und Rasterfahndung dient ja nur unserer Sicherheit
und zur Bekaempfung der "Organisierten Kriminalitaet". Und die
"Ehrlichen und Anstaendigen" ((c) beim derzeitigen Kaerntner
Landeshauptmann) brauchen sich ja wirklich nicht fuerchten.

Natuerlich: Noch sind die wenigsten dieser Kameras vernetzt und es
handelt sich um lokale Systeme. Noch braucht man hinter jeder
Konsole mit einem Dutzend Monitoren einen, der die Dinger staendig
im Auge behaelt. Aber mit der fortschreitenden Technologie werden
biometrische Systeme, die den menschlichen Einsatz enorm
reduzieren und die Weiterverarbeitung der aufgenommenen
Informationen auch in groszen Massen ermoeglichen, leistungsfaehig
/und billig genug sein, um sie zu einer wirklichen politischen
Gefahr zu machen.

Es gilt Bewusztsein zu schaffen -- auch bei unseren hiesigen
Mitmenschen. Denn wer gerade heutzutage meint, dasz es vollkommen
in Ordnung ist, immer haeufiger in das Sichtfeld von Polizei und
Privatsheriffs zu kommen, ist sicher ein ganz braver Buerger und
darf auch weiterhin FPOe oder OeVP waehlen. Wer das weniger klasz
findet und auch gerne mal vor der Ueberwachungskamera posieren
moechte, um die Mitmenschen auf diese mittlerweile schon
"selbstverstaendlichen" Kontrollapparate aufmerksam zu machen,
wende sich an: "Erste Wiener Kamer(a)spiele" c/o Redaktion akin,
Wipplingerstr. 23/20, 1010 Wien; eMail: tscheh@gmx.at; Tel. Wien
5356200 (Anrufbeantworter). Das Spiel moege beginnen. Damit aus
dem Spiel nicht Ernst wird.                            *Bernhard Redl*