**************************************************************************
akin-Pressedienst. *
Elektronische Teilwiedergabe der *
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. *
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der *
Papierausgabe veroeffentlichten sein. *
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. *
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der *
Verantwortung der VerfasserInnen. *
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt *
nichts ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus. *
**************************************************************************
Aussendezeitpunkt: Di, 22.02.00, 17:36 *
**************************************************************************

Ecuador:

> Was war wirklich los in Quito?

Rueckblick auf einen eigenartigen Umsturz

Fuer einige Stunden sah es vor einem Monat so aus, als wuerden
Indigenas zusammen mit Gewerkschaften und dem Militaer nach einem
Sturz Praesident Jamil Mahuads die Macht in Ecuador uebernehmen.
Doch wenig spaeter erfolgte der Rueckzieher von
Verteidigungsminister Mendoza und die Einsetzung des bisherigen
Vizepraesidenten Gustavo Noboa zum Staatschef am Samstag, den
22.1., um 7 Uhr frueh. (s.a. akin 3/00) Um 8 Uhr wurde der
eigentliche militaerische Anfuehrer der Kurzzeit-Junta Oberst
Lucio Gutierrez verhaftet. Die Indigenas ziehen sich daraufhin in
den immer noch besetzten Nationalkongress zurueck. Noch am
gleichen Tag wird der 62-jaehrige Anwalt Noboa aber nicht im
Kongresz, sondern im Verteidigungsministerium vereidigt.

Dieses Detail zeigt deutlich die Unterstuetzung durch die
Militaerfuehrung, die das "Parlament des Volkes" letztendlich
nicht anerkennt und den Volksaufstand instrumentalisiert, um den
laut juengsten Umfragen von 89 Prozent der Bevoelkerung
abgelehnten Mahuad abzusetzen, aber mit Noboa die "demokratische
Kontinuitaet und die Respektierung der Verfassung zu wahren". Was
damit gemeint ist, kuendigt dieser auch gleich an: die Fortsetzung
der Wirtschaftspolitik Mahuads, d.h. das weitere Festhalten an der
Einfuehrung des US-Dollar als Landeswaehrung sowie dem
Privatisierungskurs, was mit einem explosiven Anstieg der
Lebenshaltungskosten und der Arbeitslosigkeit verbunden ist.

Der Dachverband der Indigena-Organisationen (CONAIE), die
maszgeblich am Sturz Mahuads beteiligt waren, spricht von
"Verrat". Dennoch bricht die CONAIE die Proteste fuer den Moment
ab, und die Indios verlassen die Hauptstadt Quito wieder.

Waehrend des kurzen "rebellischen Wochenendes" berichteten die
Medien einhellig von der "Katastrophe fuer die Demokratie", die
der Umsturz bedeute. Cesar Gaviria, Chef der Organisation
Amerikanischer Staaten (OAS) und Alberto Fujimori,
rechtspopulistischer Praesident des Nachbarlandes Peru, drohten
schon am Abend des Revolutionsfreitags mit einer militaerischen
Intervention in Ecuador, falls "die Revolution sich halten
wuerde". Ein Fehler der Indigena-Organisationen und anderer
Aufstaendischer war es, nicht wenigstens einen Fernsehkanal
besetzt zu haben, um eine breit getragene Gegenoeffentlichkeit zu
schaffen. Mahuad erhob spaeter in einem Interview den Vorwurf,
dass die Proteste der Indios, aufgrund derer Teile der Linken in
Ecuador und ganz Lateinamerika den Putsch als Volksaufstand
bezeichneten, von Anfang an vom Militaer manipuliert worden seien.
Aus Kreisen der Oberbefehlshaber wiederum wurde Mahuad
vorgeworfen, er habe einen Selbstputsch geplant, um sich
diktatorische Vollmachten anzueignen. Die in Quito erscheinende
Tageszeitung El Comercio berichtet, dass einen Monat vor dem
Umsturz 60 Hauptmaenner und Oberstleutnante in der Polytechnischen
Schule der Armee zusammengekommen seien, um sich gegen die
Kuerzungen im Militaeretat zu wehren und ueber die Krise der
Mahuad-Regierung zu diskutieren. Einer der Beteiligten, Oberst
Gutierrez, habe im Namen der Gruppe einen Brief an die
Oberbefehlshaber verfasst, in dem Mahuads Beseitigung
vorgeschlagen wurde. Gutierrez hatte sich bereits mit der CONAIE
in Verbindung gesetzt und ihr die wohlwollende Unterstuetzung der
Armee fuer den Marsch der Indios auf Quito uebermittelt. Etwa um
diese Zeit traf sich der fuer Lateinamerika zustaendige Sekretaer
des US-Auszenministeriums Peter Romero in Quito mit Praesident
Mahuad. Einige Beobachter sind der Ansicht, dass Romero gekommen
war, um Mahuad vor dem Putsch zu warnen und um die Absetzung des
Oberkommandierenden Jose Gallardo vorzuschlagen. Nach dem Besuch
ersetzte Mahuad Gallardo durch General Mendoza und gab den Plan
zur Einfuehrung des Dollars als Landeswaehrung bekannt. Beide
Entscheidungen riefen die Obersten auf den Plan, die nun gemeinsam
mit der CONAIE-Fuehrung an die Vorbereitung des Umsturzes in Quito
schritten. Aus der Sicht der Militaers war der Protestmarsch der
CONAIE auf Quito wahrscheinlich ein notwendiger Deckmantel fuer
einen Putsch, versetzte er doch die Offiziere in die Lage, ihre
Junta als Produkt einer Volksrebellion auszugeben. Mahuad haelt
daran fest, dass die wahre Ursache fuer den Umsturz im Unmut der
Militaers ueber drei wesentliche Punkte lag: die Kuerzungen bei
den Ruestungsausgaben; seine Weigerung, den Offizieren eine
groeszere Gehaltserhoehung zuzugestehen als den zivilen
Staatsangestellten, und das Friedensabkommen mit Peru von 1998.
Das Militaer selbst war ueber einen Putschversuch uneins. Teile
des Offizierskorps befuerchteten, dass die bestehende
Befehlshierarchie durchbrochen wuerde, falls die Obersten und
nachgeordnete Offiziere eigene Vollmachten an sich rissen, und
dass damit das ganze System von Raengen und Privilegien in den
ecuadorianischen Streitkraeften bedroht wuerde. Erhebliche
Interessen waren im Spiel. Die von der Armee dominierten
Industriezweige, von den TAME-Fluglinien bis hin zu Oel- und
Agrarunternehmen, spielen in der ecuadorianischen Wirtschaft eine
bedeutende Rolle. Die Holdinggesellschaft des Militaers,
Industrial Directorate, ist Miteigentuemer des neuen Marriot-
Hotels, das kuerzlich in Quito eroeffnet wurde. Es ist ein offenes
Geheimnis, dass das Militaer bis zu 15 Prozent der Einnahmen aus
den Oelexporten des Landes absahnt.

Ein Motiv fuer die rasche Uebergabe der Macht an Noboa waren die
Drohungen aus Washington, dass man einem Militaerregime mit
politischer Isolierung und einem Wirtschaftsembargo begegnen
werde. Romero soll General Mendoza am Telefon gesagt haben, dass
es Quito wie Havanna ergehen werde, falls die Junta an der Macht
festhalte.


Versuch eines Referendums

Derzeit werden im ganzen Land Unterstuetzungserklaerungen fuer ein
Referendum gesammelt. Die Aktion wird im Wesentlichen von CONAIE
getragen. In den von den Indigenas gegruendeten
Provinzparlamenten, die am vergangenen Wochenende tagten, wurden
die Fragen fuer das Plebiszit verabschiedet. Nach den
Vorstellungen der CONAIE soll sich die Bevoelkerung mit Ja oder
Nein zur Aufloesung des Kongresses, der Neustrukturierung des
Obersten Gerichtshofes, der Privatisierungspolitik, der
Dollarisierung der Wirtschaft sowie der US-Truppenpraesenz auf dem
Territorium Ecuadors aeuszern. Als Termin ist der Mai vorgesehen.
Das private Meinungsforschungs-Unternehmen "Cedatos" hat unter den
Ecuadorianern eine Zustimmung von 74 Prozent fuer ein Referendum
ausgemacht. Etwa ebenso hoch soll der Prozentsatz der Bevoelkerung
sein, die mit Ja fuer ein voellig neues Parlament stimmen wuerden.

CONAIE-Vertreter Daniel Tigre wies Kritik einiger politischer
Gruppen zurueck, die Fragen seien nicht "legal". Sie entspraechen
vielmehr der aktuellen politischen Situation des Landes und
haetten den Rueckhalt der Bevoelkerung, so Tigre. Das Oberste
Wahlgericht hatte geaeuszert, die in einer Frage vorgeschlagene
Aufloesung des Parlaments verstosze gegen die Verfassung. Die
Abgeordneten koennten nur individuell abgesetzt werden.

Tigre machte deutlich, die Volksbefragung sei die Fortfuehrung des
begonnenen Kampfes fuer den Respekt vor den Rechten der sozial
Marginalisierten. Die Warnungen, das Referendum koenne das Land
weiter destabilisieren, seien ein Vorwand der Politiker, um die
Korruption beizubehalten. *akin, Stand 14.2.*

Quellen:Gerardo Nebbia, Bill Vann/World Socialist Web Site
(www.wsws.org)/via LabourNet;
Pulsar/Poonal (www.berlinet.de/poonal/aktuell.htm)


*************************************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1010 wien, wipplingerstrasze 23/20
kontakt: bernhard redl
vox: ++43 (0222) 535-62-00
fax: ++43 (0222) 535-38-56
akin.buero@gmx.at
http://akin.mediaweb.at
pgp-key (2.6.2i) auf anfrage
Konto: 223-102-976/00, Bank Austria
BLZ 12000, Verwendungszweck: akin