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Aussendezeitpunkt: Di, 15.02.00, 18:28 *
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FPOeVP:
> Willkommen in der Wirklichkeit
Die Republik ist fragwuerdig geworden
Auf einmal sind wir aufgewacht. Die letzte akin ist zwei Wochen
alt und ploetzlich ist alles ganz anders. Man ist erstaunt, wie
lang so ein halber Monat sein kann. Gerade waehnten sich Herr und
Frau Oesterreicher noch auf einer "Insel der Seligen" und jetzt
finden sie sich auf einer "Insel der Verdammten" wieder. Wie kann
das sein?
Nun, Dank dafuer an Joerg Haider. Dessen Anbiederungen an die
alten Nazis gepaart mit seiner EU-Kritik sind ja unueberbietbar in
ihrer Wirksamkeit. Schlieszlich vertritt er doch im Grunde eine
Gesinnung, die nicht viel anders ist, als die vieler jener
Regierungen, die ihn jetzt kritisieren. Die Grenzen dichtmachen,
der Rueckzug des Staates aus den sozialen Belangen, Law & Order,
die Aufmunitionierung der Polizei, die Demontage
"wirtschaftsfeindlicher" Bestimmungen, und, und, und; das alles
gehoert zu den Programmen der Regierungen von Rom bis London und
von Berlin bis Madrid. Und das passiert genauso in Prag und
Bratislava und Budapest und Warschau. Diese EU will ja jetzt sogar
in ihre "Wertegemeinschaft" die Tuerkei aufnehmen -- aber bei
Oesterreich redet man schon von Ausschlusz. Und das alles nur
wegen Haiders Krumpendorfiaden. Peinlich -- fuer Oesterreich wie
fuer die EU.
Tut mir leid, aber ich musz lachen. Denn mit der Aufnahme der FPOe
in die Regierung stellen sich ploetzlich Fragen. Fragen ueber die
demokratische Legitimitaet der oesterreichischen Regierung genauso
wie der EU-Administration und -Gesetzgebung. Da haben sie sich ja
was Schoenes eingebrockt. Was musz in den hohen Repraesentanten
dieser Laender nun vorgehen? Restjugoslawien war ja noch ein
einfacher Fall: Nationalistische Exkommunisten, die nicht im
Konzert der schoenen neuen Weltordnung mitspielen, und die in
einer demokratischen, aber leicht anzweifelbaren Wahl einen
Praesidenten waehlen, der uns nicht paszt. Aber jetzt? Jetzt haben
wir sowas in der EU! Oesterreich mit seinen stabilen politischen
Verhaeltnissen und seiner Pressefreiheit und seiner Achtung vor
den Menschenrechten! Oder war das mit der Pressefreiheit und den
Menschenrechten nicht ganz so? Nein, nein, das kann nicht sein,
bei uns sind ja die Verhaeltnisse genauso. Also war die Wahl nicht
demokratisch? Nein, bei uns laufen sie doch auch so ab. Sind also
soviel mehr Nazis in Oesterreich als bei uns? Wieso ist uns das
bis jetzt nicht aufgefallen?
Ja, und ploetzlich werden sie alle moralisch. Beschwoeren ihre
gemeinsamen Werte. Sind ploetzlich alle total antirassistisch.
Nur: Gerade jetzt ist die daenische Regierung dran, ihre
Auslaendergesetze zu verschaerfen und musz sich die Frage gefallen
lassen, ob sie nicht mit doppelter Zunge spricht. Auch die
Madrider Regierung schimpft ueber diese oesterreichische Partei,
die mit den Nazis sympathisiert. Doch die Frage wird in Spanien
gestellt werden: Wie halten wir es denn mit unserer eigenen
Vergangenheit? Wo ist denn der unmiszverstaendlich Bruch der
Partido Popular mit dem francistischen Regime? Man ist
gemaeszigter geworden, ja, aber einige Klarstellungen stehen immer
noch aus...
Dafuer kann sich die Volkspartei in Oesterreich mit einem Verweis
auf Franco nicht einmal gegen Aznars Angriffe wehren. Denn nur
eine einzige bloede Meldung nach Madrid -- und von dort kaeme
postwendend die Erinnerung, dasz die fruehere Christlichsoziale
Partei nicht viel Grund hat, andere Leute an eine faschistische
Vergangenheit zu gemahnen.
*Ja, die oesterreichische Zeitgeschichte...*
Ueberhaupt sind die positiven Wirkungen auf oesterreichische
Geschichtsaufarbeitung kaum mehr uebersehbar. Denn die
Sozialpartnerschaft ist am Ende. Ploetzlich gibt es relevante
Kraefte, denen wieder auffaellt, dasz es weder die "Polarisierung"
in Oesterreich noch der "Anschlusz" waren, die die Demokratie
demontierten, sondern der Selbstputsch des Herren Dollfusz. Und
dasz die OeVP dessen Bildnis immer noch ehrenden Angedenkens in
der Zentrale haengen hat. Es braucht zwar noch ein bisserl
deutlichere Hinweise -- die Demo am 12.Februar zum Karl-Marx-Hof
wurde im ORF damit erklaert, dasz man "an die Opfer des
Buergerkrieges erinnern" wollte --, aber das wird schon.
Schlieszlich hat die SPOe keinen Koalitionspartner mehr, auf
dessen Empfindlichkeiten sie Ruecksicht nehmen mueszte.
Ehrlich! Ich geniesze das. Oesterreich hat eine reaktionaere
Regierung, die sich weder im In- noch im Ausland sehen lassen kann
und die EU ein Riesenproblem, wegen dem buergerliche und
sozialdemokratische Parteien sich unangenehme Fragen ueber ihr
eigenes Selbstverstaendnis stellen muessen. Ueberall: Fragen,
Fragen, Fragen...!
Staendig dieser Protest auf den Straszen. Anfang letzter Woche
dachte ich noch, dasz es nicht klug waere, gegen einen
Regierungsantritt zu demonstrieren. Man sollte doch auf die
Inhalte warten und die dann mit aller Wut thematisieren. Damit und
mit dem Protesten der EU wuerde das doch nur der FPOe Stimmen
zutreiben. Aber mittlerweile sieht das schon anders aus: Sicher,
die FPOe gewinnt vielleicht noch ein bisserl was. Aber was ist mit
dem notwendigen Koalitionspartner? Schuessel ist Kanzler, schon.
Aber -- um eine Anleihe bei unserem neuen Kulturstaatssekretaer zu
machen --: "Sieger sehen anders aus..." Das wenige, was die OeVP
noch hatte an Intelligenzija und liberalem Groszbuergertum, fragt
sich nun verdattert: "Was ist denn das fuer eine
verantwortungslose Chaotenpartie? Waren wir blind, so etwas zu
unterstuetzen? Gibts eigentlich das LiF noch?" Die
Christgewerkschafter und der Wirtschaftsbund entdecken ploetzlich,
dasz das alles gar nimmer lustig ist und dasz sie in diesen
Strudel mitgerissen werden, wenn sie nicht sofort ein wenig auf
Distanz zu dieser Regierung gehen.
All dieses Unbehagen verdanken wir sehr wohl dem Protesten im In-
und Ausland. Die sind eben verdammt laut. Es wird polarisiert.
Schau mal einer an. Und? Erinnern wir uns an Waldheim: Dank dieses
Denkmals des unschuldigen Soldaten in der Hofburg wurde endlich in
der gesamten oesterreichischen Oeffentlichkeit ernsthaft und
anhaltend die Frage des "Ueberfalls" Hitlers auf das arme,
unschuldige oesterreichische Volk aufs Tapet gebracht genauso wie
die Rolle der Oesterreicher in diesem Krieg. Hat uns das
geschadet?
Und dennoch: Oesterreich ist erschreckt. Die schmeiszen ja mit
Eiern! Die Regierung musz unterirdisch ihr Amt antreten. Die
Opposition verweigert jede Schonfrist. Die Gewerkschaften denken
laut ueber Kampfmasznahmen nach -- ja, duerfens denn des? Sogar
die Krankenkassen drohen mit dem Verfassungsgerichtshof! Und diese
Ruhestoerer wollen nicht einmal auf unseren Erzbischof hoeren, der
betulich "Aussoehnung" predigt.
Hierzulande ist man einfach nicht mehr gewoehnt, dasz politische
Auseinandersetzungen ueber bedeutende Materien mit der
gebuehrenden Haerte gefuehrt werden. 1950 wurde diese Republik mit
dem Hinweis auf einen angeblich Putschversuch eingemottet und
seither Neojosephinismus praktiziert. Egal, wie die Wahlen
ausgingen, die Herren waren immer dieselben und regierten nach
Gutduenken. Es war bei uns einfach nur fad! Das ist an sich in
politischen Dingen meist recht angenehm -- besser ein fader Friede
als ein interessanter Krieg --, aber die Verhaeltnisse, die sind
nicht mehr so. Wir leben im Jahr 2000 und nicht mehr in den 70ern,
wo der enorme Reichtum unter den Bedingungen des
Arbeitskraeftemangels dafuer sorgte, dasz der Unternehmerprofit
recht ordentlich, die Loehne ganz gut und auch die
Arbeitslosenversicherung eine ernstzunehmende sein konnte. Aber
danach kamen der Neoliberalismus, die EU und jene Regierungen in
rot-schwarz, die uns Sparpakete verordneten. Die sozialen
Spannungen verschaerften sich -- doch weiterhin tat diese
Regierung so, als koennte man das alles in
sozialpartnerschaftlicher Nettigkeit regeln.
Die Nettigkeiten sind vorbei. Willkommen in der Wirklichkeit! Und
willkommen in der 3.Republik -- einer Republik naemlich, die den
Namen verdient, wo die Politik wieder eine "res publica", eine
"oeffentliche Angelegenheit" werden koennte. Die paternalistischen
Hinterzimmer-Packeleien sind zwar immer noch sehr beliebt bei den
Hohen Herren, aber ich denke doch, dasz wir soweit sind, sagen zu
koennen: "Das spielts nimmer!"
*Zukunft -- was ist das?*
Bei aller Vorsicht mit Prophezeiungen: Schwarz-blau wird der
Wahrscheinlichkeit nach keine Dauerinstitution werden. Sicher, bis
dieser Spuk vorbei ist, werden die weniger Betuchten, die
ethnischen Minderheiten und die radikale Linke in diesem Land
finstere Zeiten erleben. Aber wohl wird -- wenn man ordentlich
nachhilft -- der vermutlich letzte OeVP-Kanzler Oesterreichs
seinen Sessel bald wieder raeumen muessen. Die Frage ist nur: Was
kommt danach? Blau-schwarz? Wacklige Minderheitskabinette? Rot-
gruen la BRD? Mit Sozialdemokraten unter Schloegl, und Gruenen,
die sich von ihren Kapos zu Mehrheitsbeschaffern machen lassen?
Oder vielleicht doch eine politische Kultur, an der das Volk sich
tatsaechlich auch ein klein wenig beteiligt und in der die Frage
der Parteizugehoerigkeiten an Wichtigkeit verliert? Denn auf
einmal erscheint die Zukunft so ungewisz wie schon lange nicht. Da
ist mehr drin, als die laeppische Restaurierung der kleinen
oesterreichischen Welt wie sie vor dem 3.Oktober war -- verdammt
viel mehr! Mit ein bisserl Lust auf bessere Zustaende und auch
mehr Mut, grundsaetzliche Fragen zu stellen, haben die
fortschrittlichen Kraefte in Oesterreich jetzt eine Chance, die so
bald nicht wieder kommen wird. *Bernhard Redl*
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