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Medien/Balkan:
> Ein Sieg der Medien?
Der folgende Text stammt von MARINA BLAGEJOVIC. Sie ist Leiterin des
Instituts fuer Soziologie der Universitaet Belgrad und derzeit Senior
Fellow des Collegium Budapest/Institute for Advanced Studies. Wir
haben den Artikel aus den "Ost-West-Gegeninformationen" 4/99 entnommen.
Der hier in einem Stueck wiedergegebene Artikel erschien in der
Papierausgabe der akin in 2 Teilen.
*
Ich komme aus Belgrad, wo ich fast mein ganzes Leben verbracht habe,
einschlieszlich der katastrophalen 90er Jahre, und ich habe erfahren,
dass Krieg praktisch ueberall und zu jeder Zeit angezettelt werden
kann. Ich habe auch eine andere absurde, aber dennoch wahre Lektion
gelernt: je niedriger die Wahrscheinlichkeit des Krieges ist, desto
groeszer wird die Moeglichkeit, ihn vom Zaun zu brechen, da die
systemimmanenten und strukturellen Mechanismen fehlen, um ihn zu
verhindern. Dies war, so glaube ich, die eigentliche Ausgangssituation
bei allen Kriegen im ehemaligen Jugoslawien. Sie fanden genau deshalb
statt, weil sie nicht stattfinden mussten, in einem Vakuum, das den
Machthabern zu viel Autoritaet gab, waehrend es bei denen, die keine
Macht hatten und die zu Opfern wurden, Unglaeubigkeit, Verwirrung und
Misstrauen stiftete. Die Kriege in Ex-Jugoslawien waren bzw. sind
Kriege von "noch nicht existenten Staaten" gegen die Gesellschaft. Das
Problem war und ist, dass es zu viele "noch zu schaffende Staaten"
gab, aber nur eine Gesellschaft, die auseinandergerissen werden
musste.
Im Nachhinein vorgetragene Erklaerungen jener tragischen Kriege
beginnen mit der sich selbst erfuellenden Annahme, dass sie logisch,
vorausbestimmt und deshalb erklaerbar waren. Aber fuer die gewaltige
Mehrheit von Leuten, die in den spaeten 80ern und fruehen 90ern in Ex-
Jugoslawien lebten, waren Kriege weder zu erwarten, noch waren sie
logisch oder gerechtfertigt. Diese Perspektive beweist nicht etwa die
Naivitaet der Massen, sondern entstammt der Tatsache, dass die Kriege
in Ex-Jugoslawien grundsaetzlich Kriege von "zu schaffenden Staaten"
gegen die Gesellschaft bzw. die Gesellschaften waren. Die Gewinner
sind eben diese Karikaturen von Staaten, die politischen Eliten und
die Kriegsgewinnler. Der Verlierer ist die sinnlos und unter Schmerzen
fuer die "hoeheren" nationalen Ziele geopferte Gesellschaft.
Je groeszer der Mangel an einer logischen Begruendung fuer die Kriege
war, desto groeszer war die Medienaktivitaet bei der Erfindung
derselben. Tatsaechlich spielten die Medien eine absolute
Schluesselrolle bei der Vorbereitung der Bevoelkerung auf den Krieg.
Sie fuetterten das kollektive Bewusstsein mit Argumenten, Erklaerungen
und Rechtfertigungen der Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit des
Kriegs, kombiniert mit zweifelhaften Ausfluechten. Je geringfuegiger
die tatsaechlichen Ursachen waren, desto staerker war die
Kriegspropaganda.
Es waere logisch, zu erwarten, dass die wahren Gruende fuer ethnische
Kriege auf religioesen Spannungen und/oder Diskriminierung basieren
wuerden. Und doch existierte nichts davon zu einem substanziellen Grad
in Ex-Jugoslawien, sicher nicht im Vergleich zu westlichen
Demokratien. Die Bevoelkerung war (in den 70ern, 80ern und fruehen
90ern) in erster Linie atheistisch, und die Diskriminierung ethnischer
Minderheiten in den einzelnen Republiken bzw. Provinzen war aeuszerst
schwach ausgepraegt (mit Ausnahme des Kosovo, wo, von den 70ern an,
die nicht-albanische Bevoelkerung einer weitreichenden Diskriminierung
durch die albanische Verwaltung und die albanische Bevoelkerung im
Allgemeinen ausgesetzt war). In der Tat demonstrieren die Daten der
Volkszaehlung aus dem Jahr 1981 ueberzeugend, dass fast nirgends in
Ex-Jugoslawien die individuelle Mobilitaet von der Volkszugehoerigkeit
abhing. Fuer die Mehrheit der Bevoelkerung gab es
ohne Ruecksicht auf Volkszugehoerigkeit eine hohe Wahrscheinlichkeit,
dass eine nach dem Zweiten Weltkrieg geborene Person bis zum Ende der
80er Jahre ihr Leben fuehren konnte, ohne ethnischer oder religioeser
Diskriminierung oder Vorurteilen zu begegnen. Dies galt besonders fuer
urbane Zonen, fuer die Sarajevo ein Paradebeispiel war.
Waehrend die Gesellschaft Ex-Jugoslawiens weitgehend frei von ethnischen
Spannungen war, fuehrte die Umstrukturierung von der Foederation zur
Konfoederation, beginnend mit der Verfassung von 1974, zur
Machtergreifung von ethnischen bzw. nationalen Eliten. Die
Wirtschaftskrise der 80er steigerte die ethnischen Spannungen gemaesz
in aehnlicher Form auch in anderen Kulturen auftretenden
gesellschaftlichen Mustern. Da sich die Groesze des "Kuchens"
verringerte, wuchs die Konkurrenz um die einzelnen Stuecke. Der Druck
auf Ex-Jugoslawien nahm auch von auszen betraechtlich zu, sowohl durch
internationale monetaere Institutionen, als auch besonders durch den
sich rasch veraendernden Kontext der europaeischen Integration. Im
letzteren Fall verstaerkte die Einbeziehung einiger den Ausschluss
anderer. Im ehemaligen Jugoslawien entstand Nationalismus als eine
Synthese von antikommunistischer Leidenschaft auf der einen und der
Suche nach Suendenboecken auf dem anderen Seite. Der "Andere" wurde
buchstaeblich "ueber Nacht" erfunden. Nicht, dass der "Andere" zuvor
nicht existiert haette, aber es gab keine tragfaehige Basis fuer eine
breite Akzeptanz und Rechtfertigung von Feindseligkeit,
Diskriminierung und Aggression in Richtung des Andersartigen. Obwohl
die Nationalisten ebenso wie andere enttaeuschte und nostalgische Ex-
Jugoslawen den Slogan von "Bruederlichkeit und Einheit" als
Selbsttaeuschung und als ein Relikt der kommunistischen Ideologie
sehen, ist es eine Tatsache, dass diese Gefuehle erfahren und
praktiziert wurden und dass man an sie glaubte. Somit waren sie damals
zumindest so real wie der Nationalismus heute. In den 80ern war die
ethnische Distanzierung vielen Studien gemaesz im Ansteigen begriffen.
Sie durchdrang die Gesellschaft hauptsaechlich "von oben", von den
ethnischen Eliten aus, aber es wurden auch einige "archaeologische"
Schichten negativer kollektiver Erinnerungen reaktiviert. Die
Verstaerkung der ethnischen Distanz geht klar aus dem Rueckgang
gemischt-ethnischer Ehen hervor. Zur selben Zeit drueckte sich dieser
Prozess durch eine Art "leeren Hass" aus, ohne Inhalte, Stereotypen
und Vorurteile, sondern eher durch ein Gefuehl der Entfremdung. Am
Ende der 80er war dieser Hass, der durch die harten oekonomischen
Realitaeten und die Verarmung der Bevoelkerung geweckt wurde, real
geworden, aber es existierte noch keine andere Rechtfertigung. Es war
eine Meisterleistung, in einem kurzen Zeitraum all diese Vorurteile
gegen die eigenen Nachbarn, Cousins und Freunde - zu erfinden. Deshalb
wurden historische "Erklaerungen" des ewigen Hasses aktiviert, die
durch eine Palette alter/ neuer Schemata verstaerkt wurden:
* durch exklusive Diskriminierung ("Wir sind die einzigen Opfer".)
* durch eine Hierarchisierung der Diskriminierung ("Wir sind die
Groeszeren Opfer".)
* durch die Rechtfertigung der Rache ("Wir zahlen
ihnen das zurueck, wassie uns antaten".)
* durch "praeventive Aggression" ("Wenn wir es nicht ihnen antun, werden
sie es uns antun".).
Denkschemata, die auf Feindschaften basierten, die seit dem Zweiten
Weltkrieg schlummernd gelegen hatten, wurden reaktiviert,
wiederaufbereitet und durch die Medien als unbestreitbare historische
Wahrheiten erneut vorgebracht. Sie traten allmaehlich an die Stelle
aller mit "dem wirklichen Leben" verbundenen Probleme wie Hunger,
Gesundheitsprobleme, Probleme im Bildungssektor, Arbeitslosigkeit,
Wohnung etc.
*Die mediale Konstruktion des Konflikts*
Es gibt eine vage und durchlaessige Grenze zwischen der politischen
Steuerung eines Konflikts gemaesz den speziellen Interessen von
konkreten Akteuren, der Aufschaukelung eines Konflikts durch Medien
und dessen Rechtfertigung durch "wissenschaftliche" Interpretation und
Prophezeiungen. Die Initiierung und Steuerung eines Konflikts sind
zwei Seiten einer Medaille, die ich als "ethnische Feindseligkeit bzw.
Konfliktschaffung" klassifizieren wuerde. Waehrend die Initiierung
eines Konflikts auf dem Niveau von realen Interessen und einer klaren
Kosten-Nutzen-Analyse stattfindet und von den wesentlichen
Entscheidungstraegern unternommen wird, verlaesst sich die
Verwirklichung des Konflikts auf die vorausgegangene Aufbereitung des
Bodens und dessen Rechtfertigung. Die Rolle der Medien bei der
Darstellung der "Realitaet" am Ende des 20. Jahrhunderts schlieszt
notwendigerweise eine wesentliche Rolle in der Propagierung ethnischer
Konflikte und Kriege ein, obwohl dadurch noch keine ausreichenden
Vorbedingungen fuer das tatsaechliche Ausbrechen eines Krieges
geschaffen werden. Die Schluesselrolle der Medien bei der
Rechtfertigung eines Konflikts liegt in der Definition desselben als
"notwendig", "unvermeidbar" , "normal" und "bereits vorgezeichnet", ja
sogar "gerechtfertigt" und "moralisch". Somit wird mittels einer
groszen Bandbreite von Argumenten fuer den Krieg ein weitgehender
gesellschaftlicher Konsens geschaffen. Ohne diese Mobilisierung durch
die Propaganda der Medien wuerden ethnische Konflikte und/oder Kriege
fuer die meisten gesellschaftlichen Akteure, die fast immer auch die
Hauptverlierer sind, einfach keinen Sinn haben. Ohne diese mediale
Foerderung des Kriegs gaebe es keine treibende Kraft, keine Logik,
keine Unvermeidlichkeit, die eine kollektive Bereitschaft einfordern,
anderen Unrecht anzutun und sich selbst zu opfern. In Ex-Jugoslawien
hatten die Medien grundsaetzlich zwei verschiedene Funktionen, welche
einander zwar aehnelten, aber unterschiedliche Folgen hatten. Die
erste war mit der langsamen, aber festen Aufloesung von
gesamtjugoslawischen Gemeinsamkeiten und der Foerderung separater
ethnischer Kulturen verbunden. Dadurch wurden die notwendigen
Bedingungen fuer die Definition des Unterschieds und spaeter der
Rechtfertigung der Abspaltung und des Antagonismus geschaffen. Die
zweite sollte diesem Muster von "nicht von der Hand zu weisenden
Unterschieden" die Saat des Hasses hinzufuegen und die Forderung
erzeugen, dass "etwas getan werden muesse", um konkrete politische
Handlungen und militaerische Aktionen zu rechtfertigen.
Paradoxerweise wurde dasselbe Muster bei der Analyse der Darstellung
des Konflikts z.B. durch CNN sichtbar. Einerseits wird dasselbe Muster
geschaffen, jenes der "Andersheit des Balkans", und andererseits wird
Druck erzeugt, dass unter Vernachlaessigung, ja sogar aktiver
Missachtung der Folgen "etwas getan werden muesse". Diese beiden
Rollen, die Schaffung eines bestimmten Musters und die Ausuebung von
Druck, koennen in jeder umfassenden Analyse der
Medienberichterstattung demonstriert werden.
Eine der raetselhaftesten Fragen in Bezug auf das Engagement der
Medien im Krieg ist: Wer kontrolliert wen? Entspricht die
Kriegspropaganda ihren eigenen Interessen oder sind sie in
Wirklichkeit Werkzeuge, derer sich die Machthaber bedienen, wenn sie
sie brauchen? Moeglicherweise ist beides der Fall. Jedoch sind die
Medien seit dem Golflkrieg zunehmend unabhaengiger und einflussreicher
in der Verfolgung ihrer eigenen Interessen von Prestige und Profit
geworden. Es gibt einen tiefen Wandel in der Rolle der Medien in Bezug
auf Konflikte, der derzeit weder hinreichend analysiert noch
verstanden wurde. In einer vorwiegend globalen Medienkultur von Gewalt
und Aggression wird der Krieg fuer die Medien eine wichtige
Profitquelle.
Im Kosovo-Konflikt waren drei Seiten eindeutig verwickelt: die Serben,
die Kosovo-Albaner und die NATO. Doch obwohl sie politisch und
kulturell unterschiedliche Interessen vertraten, bestanden frappante
Aehnlichkeiten zwischen den Medien aller drei Seiten, was nahe legt,
dass die Medien als eigenes, spezifisches Element des Konflikts
betrachtet werden koennen. Die Gemeinsamkeiten der Medienstrategien in
der Anheizung des Konflikts zeigt, dass die Schaffung von Konflikten
ein immanenter Bestandteil der Natur von internationalen Medien am
Ende des 20. Jahrhunderts ist. Zu verstehen, wie die Medien helfen,
die Vorbedingungen fuer Konflikte zu schaffen, diese erst moeglich zu
machen und sie zu steuern, koennte uns dazu veranlassen, fuer die
Zukunft eine andere Rolle der Medien zu fordern.
*Serbien: Der klare Fall*
Die Situation in Serbien ist am einfachsten zu analysieren, weil die
Kontrolle ueber die Medien absolut ist. Offene Attacken gegen
unabhaengige Medien in Serbien waren ein wesentlicher Teil der
Vorbereitungen des serbischen Regimes auf den Krieg im Kosovo. In der
ersten Haelfte von 1998 setzte das Milosevic-Regime drei Schritte: die
Initiierung der Kosovo-Krise, die Verabschiedung neuer Gesetze, die
die Universitaeten de facto unter die absolute Kontrolle des Regimes
stellte (das dadurch die Universitaet zu einem wichtigen Zentrum der
Opposition gegen Milosevic machte), sowie der Beschluss weiterer
Gesetze zur Ausschaltung der unabhaengigen Medien. Sowohl die
Universitaet als auch die Medien wurden Opfer von komplizierten
buerokratischen Spielen, die in einer Art und Weise zu Verwirrung und
Erschoepfung, Furcht und Zwang fuehrten, die fuer die Mehrheit der
Bevoelkerung unsichtbar blieb. Auf den ersten Blick mag es Befremden
erzeugen, ja sogar als zufaellig erscheinen, dass das Regime in allen
drei Bereichen gleichzeitig aktiv wurde. Die Schaffung von Chaos ist
jedoch eine bevorzugte Strategie von Milosevic, die sich im Laufe der
Zeit als "erfolgreich" erwiesen hat. Die Opposition musste ihre
Ressourcen an verschiedenen Fronten einsetzen, wodurch ihre Staerke
und Wirksamkeit geschmaelert wurde.
In der serbischen Oeffentlichkeit wurde unmittelbar vor Kriegsbeginn
eine Atmosphaere geschaffen, die jede moegliche Infragestellung oder
Diskussion der Politik des Regimes bezueglich des Kosovo
neutralisierte. Alternative Loesungsstrategien standen niemals zur
Debatte. Noch dazu war das Problem seit der Mitte der 90er geleugnet
worden. Ein von Slobodan Milosevic initiierter Volksentscheid fuehrte
zu Beginn des Kriegs zu einer verdaechtig hohen Ablehnung der
Bevoelkerung gegenueber externer Vermittlung. Obwohl ein Referendum
ein nuetzliches demokratisches Werkzeug ist, kann es leicht in ein
Mittel der Rechtfertigung der Entscheidungen eines Diktators
umfunktioniert werden. Der Zweck des Volksentscheids lag weniger
darin, auslaendische Einfluesse auszuschlieszen, als die
Oeffentlichkeit dem absoluten Willen des Staatschefs auszusetzen, der
ueber Nacht einen Volksentscheid erfand, um seine "patriotische"
Position zu bestaetigen. Paradoxerweise gab das Referendum, welches
keineswegs eine freie und offene Diskussion des schmerzhaften und
ernsten Kosovoproblems herbeifuehrte, einen weiteren Impuls zu dessen
Unterdrueckung. Der Druck auf die unabhaengigen Medien steht in einem
direkten Verhaeltnis zur Staerke des Regimes. In allen vorherigen
freien Wahlen in Serbien hat sich gezeigt, dass die Wahlergebnisse eng
mit der Einflusssphaere unabhaengiger Medien verbunden waren. Jedoch
beging die demokratische Opposition in Serbien den katastrophalen
Fehler, freie Wahlen in Verbindung mit eingeschraenkter Medienfreiheit
zu akzeptieren. In allen Protesten gegen das Regime, die gegenwaertig
stattfindenden eingeschlossen, tat das Regime alles in seiner Macht
stehende, den freien Informationsfluss zu blockieren. 1999 ist die
serbische Opposition in eine "Steinzeit" der Kommunikation und der
Information zurueckgeworfen, in der man sich nur auf informelle
Kommunikationswege verlassen kann, um den Entstellungen der
offiziellen Staatsmedien etwas entgegenzuhalten.
Waehrend des Krieges gegen die NATO hatte das serbische Regime
Gelegenheit, sein gesamtes Repertoire spezieller Kontrollmasznahmen
einfuehren zu koennen. Es ist in jedem Fall unrealistisch, ja sogar
unfair, Objektivitaet zu erwarten, wenn sich ein Land im Krieg
befindet. Dabei ist wesentlich, dass vor, waehrend und nach dem Krieg
eine starke Kontinuitaet bestand, die im Diskurs, in den Strategien
der Berichterstattung, den Symbolen, ja sogar in den visuellen
Elementen ihren Ausdruck fand. Der Krieg selbst bot einfach eine
ueberzeugende Rechtfertigung fuer eine weitere Fortsetzung der
laufenden antiwestlichen Propaganda des serbischen Regimes. Unter den
NATO-Bomben war es leicht, das serbische Volk zu ueberzeugen, dass der
Westen "die Serben hasst" und dass "die ganze Welt gegen uns ist". Es
war einfach, eine glaubwuerdige Verschwoerungstheorie, eine "verkehrte
Welt", geschaffen von der "neuen Weltordnung", darzustellen. Im NATO-
Krieg gegen Serbien/Jugoslawien wurde die serbische Realitaet die
Selbst-Erfuellung westlicher Prophezeiungen.
Was nun nach dem Krieg geschieht, ist ebenfalls ein deja vu. Die
speziellen Medienverordnungen aus der Zeit des Krieges bleiben weiter
in Kraft. Die staatlichen Behoerden gebrauchen ein reichhaltiges
Sortiment an Strategien gegen die unabhaengigen Medien. In einigen
Faellen wurden unabhaengige Medien waehrend des Kriegs geschlossen,
manche sind absurden gesetzlichen und buerokratischen Regelungen,
manche finanziellem Druck durch Besteuerung ausgesetzt, und einige
Herausgeber und Journalisten wurden festgenommen. Fuer all jene, die
regelmaeszig fragen, was die serbische Opposition denn tue, koennte es
interessant sein, zu wissen, dass etwa Nebojsa Ristic, Chefredakteur
des Fernsehsenders Soko in Sokobanja in Suedserbien, zu einem Jahr
Haft verurteilt wurde, weil er waehrend der NATO-Bombenangriffe in der
Nachrichtenredaktion einen "Free Press - Made in Serbia"-Poster
aufgehaengt hatte. Es gibt viele aehnliche Faelle. Das
aussagekraeftigste Beispiel des Zynismus des Regimes ist aber das
Beispiel von Radio B 92, des Symbols und Zentrums der Bewegung fuer
freie Medien in Serbien. Von den ersten Kriegstagen an wurden die
Mitarbeiter von Radio B 92 durch "patriotische Mitarbeiter" ersetzt,
die diesen ansonsten lebhaften Alternativkultur- und Politiksender in
einen Standard-Regierungssender umwandelte.
Im Gegensatz zur unwahren Erfindung der westlichen Medien, die den
Kosovo-Konflikt in eine ueber weite Strecken stark vereinfachte Formel
pressen, war fuer die serbische Oeffentlichkeit der Kosovo schon seit
mehr als 15 Jahren, also noch vor der Milosevic-Aera, ein Problem. Die
serbische Bevoelkerung verliesz den Kosovo unter dem Druck des
albanischen Nationalismus bereits in den 70ern und besonders in den
80ern. Bis zu ein Drittel der serbischen Bevoelkerung hat den Kosovo
verlassen, nachdem sie verschiedenen Formen von Diskriminierung und
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt war, waehrend Tausende serbische
Demonstranten aus dem Kosovo nach Belgrad kamen, um von der
politischen Fuehrung der Republik und des Bundesstaates Schutz zu
verlangen.
Im Kontext der bereits starken zentrifugalen Kraefte innerhalb des
ehemaligen Jugoslawien konnte der Kosovo-Konflikt nicht innerhalb der
bereits zerfallenden Foederation geloest werden. Stattdessen wurden
die wirklich draengenden Fragen der interethnischen Beziehungen im
Kosovo von Slobodan Milosevic als Plattform benutzt, um ein
Wiederaufleben des serbischen Nationalismus zu foerdern. Entsprechend
M. Thompson war die Medienkampagne rund um den Kosovo ein Eckpfeiler
der "Serbischen Kulturrevolution" 1986-1989. Die von den Medien
verbreitete Rhetorik des Krieges wurde lange vor dem Beginn des
wirklichen Kriegs erfunden.
Die Medien auf beiden Seiten des Konflikts, serbische und albanische,
waren tief in die Radikalisierung des Konflikts involviert. Svetlana
Slapsak hat schon 1990 die Leserbriefspalten der "Politika," der
wichtigsten serbischen Tageszeitung, analysiert und gezeigt, wie eine
neue Rhetorik erfunden wurde, um die Situation im Kosovo zu
beschreiben. Von den spaeten 80ern und besonders in den 90ern wurde
das Kosovo-Problem in den serbischen Medien als eine rein emotionale
und historische Angelegenheit behandelt und widerstand so einer
moeglichen realistischen, rationalen und zukunftsorientierten Loesung.
Die um den Kosovo herum geschaffene Atmosphaere hinderte alle
Protagonisten des Widerstands gegen Milosevic daran, eine abweichende
Haltung einzunehmen, weil das Risiko, die Sympathien der
Oeffentlichkeit zu verlieren, zu hoch war. Auf der anderen Seite gab
es eine sehr schwache, oft unausgewogene und unvollstaendige Kritik
gegen den serbischen Nationalismus, die das Vorhandensein des
albanischen Nationalismus voellig ignorierte. Kosovo wurde fuer die
serbische Oeffentlichkeit in den 90ern zu einer Trennlinie zwischen
"Patriotismus" (auf serbische Interessen bezogen) und "Anwaltschaft
auf Menschenrechte" (auf albanische Interessen bezogen). Die Wahrheit
laege entweder auf serbischer oder auf albanischer Seite. Diese
einander ausschlieszenden Positionen bezogen sich aber nur auf einen
der beiden Aspekte der Wahrheit, nie auf beide. Versuche, beide Seiten
des Konflikts objektiv darzustellen, waren marginal und sporadisch,
exemplarisch dargestellt durch die Bemuehungen der unabhaengigen
Wochenzeitung "Vreme", die vor dem Krieg eine genaue, objektive und
hochgradig professionelle Antikriegs-Berichterstattung brachte, die
vor einer Eskalation des Konflikts, die zum Krieg fuehren wuerde,
warnte. Der oeffentliche Einfluss von "Vreme" blieb jedoch auf eine
schmale intellektuelle Elite beschraenkt.
Die Berichterstattung und der Einfluss der albanischen Medien wurden
bislang zu wenig analysiert. Es gibt einige Studien, die zeigen, dass
waehrend der Zeit der albanischen Administration (1974-1989) die
kosovarischen Medien eine Schluesselrolle in der Rechtfertigung der
Diskriminierung der Serben spielten. Waehrend des KP-Regimes war die
Manipulation der Information entsprechend den Beduerfnissen der
Machthaber nichts Ungewoehnliches, und die kosovo-albanischen Medien
bildeten da keine Ausnahme. So wurden 1981 grosze Demonstrationen fuer
die Abspaltung des Kosovo von den Medien weitgehend ignoriert. Ueber
die Diskriminierung der Serben wurde ebenfalls nicht berichtet. Um
dieses Phaenomen richtig zu verstehen, muss man die Ethnifizierung der
Institutionen verstehen, die bereits mit der Verfassung von 1974
eingesetzt hatte und auch die Medien beeinflusste. In Ex-Jugoslawien
fand diese Ethnifizierung zuallererst im Kosovo statt, wahrscheinlich,
weil die Gesellschaft praemodern war, was bedeutet, dass die Rolle von
ethnischen bzw. Stammesgemeinschaften aeuszerst signifikant war.
Parallel zur Rolle der Medien bei der Verteidigung ethnischer
Interessen fanden aehnliche Prozesse in anderen Sphaeren des sozialen
Leben (Politiken, Bildung, Kultur...) statt.
Die kosovoalbanischen Medien waren dadurch, dass sie albanische
Geschichte erfanden, gemeinsam mit dem albanischen Bildungssystem fuer
die Schaffung von "ethnischen Wahrheiten" und Argumentationen anhand
ethnischer Kategorien verantwortlich. Ein Paradoxon des Medienkriegs
kann anhand der Phaenomene des "Mirroring" erlaeutert werden.
Serbische und albanische Medien boten haeufig identische Argumente
fuer ihre entgegengesetzten Ziele an: dass eine gewisse ethnische
Cruppe eine laengere Geschichte in einem bestimmten Gebiet hatte; dass
sie im Lauf der Geschichte als einzige diskriminiert worden waere und
dass sie gewaltsam in separate Staaten geteilt worden war und wieder
vereinigt werden sollte. Sogar die Termini "Albanisierung" und
"Serbisierung" des Kosovo, die angeblich neutrale Konzepte des Wandels
in der ethnischen Zusammensetzung waren, wurden von beiden Seiten mit
einer negativen Konnotation belegt. Die Verbindung der
Medienpropaganda mit den NATO-Angriffen auf Serbien hat in der
serbischen Oeffentlichkeit zu absoluter Verwirrung gefuehrt. Am
wenigsten verwirrt sind die serbischen Nationalisten, da ihnen alles
voellig einleuchtend war bzw. ist und mit ihren lang gehegten
Ueberzeugungen uebereinstimmt. Am irritiertesten sind die serbischen
Demokraten und die prowestlichen, staedtisch-buergerlichen
Mittelschichten, die im Winter '96/97 mehrere Monate protestierten
hatten und deren Staedte schweren Bombardements ausgesetzt waren. Es
fehlt jeglicher gemeinsame Nenner fuer das, was geschehen ist, wie
auch jegliche neue Interpretation der Ereignisse, die stark genug
waere, die alten zu ersetzen. Obwohl es angenehm einfach sein koennte,
zu glauben, dass der gemeinsame Nenner Praesident Slobodan Milosevic
ist, weisz jeder in Serbien, dass die Wahrheit viel komplexer ist.
Niemand in und auszerhalb Serbiens war oder ist unschuldig. Ohne eine
rationale und moralische Auseinandersetzung mit der Realitaet und all
ihren Widerspruechen ist es schwer, sich vorzustellen, wie Ausweg
gefunden werden koennte. Gleichzeitig ist es auch schwer zu glauben,
dass es ueberhaupt einen geben kann, es sei denn, der "serbische Teil
der Wahrheit" wird auch anerkannt. Bislang war diese Wahrheit so
fragmentiert, dass, wie es scheint, eine notwendige Vorbedingung fuer
eine Loesung die Schaffung eines Diskurses einschlieszen muss, um die
Hauptursachen des serbischen Traumas zu identifizieren und sich mit
ihnen zu konfrontieren.
*Westliche Medien: Professionelle Erfindung von Realit„t*
Fuer jemanden, der versuchte, sich vom destruktiven Einfluss der
staatlichen Medien in Serbien zu schuetzen, war die Interpretation des
Kosovo-Konflikts und der NATO-"Aktion" durch die westlichen Medien
eine schockierende Erfahrung. In der allerersten Kriegsnacht fand ich
mich in einer voellig verwirrenden Vielzahl unterschiedlicher Rollen:
Ich war Beobachterin einer Show - der NATO-Bombenangriffe auf meine
Heimatstadt Belgrad; ich war eine Tochter, die zu derselben Zeit mit
ihrer Mutter telefonierte und natuerlich in Panik weinte; ich war
Soziologin, die versuchte, den Verlauf eines Konflikts zu analysieren,
den ich persoenlich seit Jahren vorausgesehen hatte; ich war auch
Aktivistin in der feministischen und in der Friedensbewegung, die sich
von den allerersten westlichen Bomben besiegt fuehlte und ploetzlich
dem "anderen Gesicht" westlicher Demokratie gegenuebergestellt wurde;
ich war Forschungsstipendiatin am Collegium von Budapest, in einem
ehemals "befreundeten" Land, das gerade einige Tage vor dem Krieg
NATO-Mitglied geworden war. Schlieszlich wurde ich auch ueber Nacht
eine "Intellektuelle im Exil", gemeinsam mit meiner Tochter womoeglich
sogar Fluechtling. Der Schock und die Verwirrung, in der ich mich
wiederfand, wurden von den Ereignissen des folgenden Tages, welcher
technisch gesehen der erste Kriegstag war, weiter verstaerkt: Ich
hielt an der ELTE den Studierenden der Minderheitenstudien die letzte
Vorlesung, in der wir die "mediale Konstruktion des Kosovo-Konflikts"
eroerterten, einige Stunden danach hielt ich einen Vortrag an der CEU
mit dem Titel: "Auf dem Weg zu einer sichtbaren Geschichte der Frauen:
Die Frauenbewegung in Belgrad in den 90ern", wobei ich darstellte,
welchen Entwicklungsstand die Frauenbewegung erreicht hatte und welche
Art von Bemuehungen unternommen wurden, um eine Zivilgesellschaft in
Serbien zu schaffen. Alle jene Teile meiner persoenlichen Realitaet,
verwoben mit dem intensiven historischen Drama des Augenblicks,
machten mein eigenes Leben fast unwirklich. Ich verbrachte die
naechsten drei Wochen hauptsaechlich damit, CNN und EURONEWS zu sehen,
und gab verschiedenen Medien eine Anzahl von Interviews und gebrauchte
das Internet, um Information ueber "die andere Seite der Medaille" zu
erhalten und weiterzuleiten. Ich fuehlte persoenlich und direkt die
Folgen des medialen Engagements in der Schaffung von Konflikten,
waehrend ich gleichzeitig selbst versuchte, von der Kraft der Medien
fuer Ziele Gebrauch zu machen, an die ich leidenschaftlich glaubte. Da
ich nie dachte, dass "meine" Wahrheit "ihre" ausschlieszt, fand ich es
nicht schwierig oder unmoralisch, ueber das Leiden auf der anderen
Seite zu sprechen. In der Tat glaubte und glaube ich fest an die
Notwendigkeit einer ausgeglichenen Berichterstattung. Ausgewogenheit
ist das einzige Mittel gegen die Radikalisierung, die hauptsaechlich
am Konflikt schuld war. Die Medien sollten dafuer verantwortlich sein,
dieses gesunde Gleichgewicht zu bewahren, anstatt dem Extremismus neue
Nahrung zu geben. Sind aber die westlichen Medien ausgewogen und
objektiv? Meine Antwort ist ein klares und unzweideutiges Nein! Die
westlichen Medien sind tief an den Konflikten im ehemaligen
Jugoslawien beteiligt und tragen eine betraechtliche Verantwortung
fuer die verwirrenden, widerspruechlichen und kontraproduktiven
Masznahmen ihrer jeweiligen Regierungen in Bezug auf die Krise in Ex-
Jugoslawien. Einzig und allein den Medien die Schuid zu geben, waere
ungerecht. Es waere jedoch ebenso unmoralisch, kurzsichtig und
gefaehrlich zu versaeumen, ihre verheerende Rolle bloszzulegen und die
Manipulation zu ignorieren, welche in der Verbreitung von "medialen
Wahrheiten", von durch Medien konstruierten "Para-Realitaeten"
Anwendung fand, die dann als Schablonen fuer die "wirkliche" Realitaet
gebraucht wurden. Der Golfkrieg war der erste postmoderne Krieg, in
dem die Medien ein wesentlicher Teil der Realitaet waren; der Kosovo-
Krieg ist das bislang juengste Beispiel. Die Manipulation des
Konflikts durch die westlichen Medien verliesz sich auf eine Reihe von
nicht ganz neuen, aber in zuvor beispiellosem Umfang und Intensitaet
eingesetzten Mechanismen. Keiner davon waere allein dazu faehig,
dieses "falsche Bild" zu erzeugen, aber in Kombination gelang es
ihnen, eine intensive Rechtfertigung des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien
zu schaffen. Aehnliche Strategien wurden von den serbischen (und
wahrscheinlich auch von den albanischen) Medien verwendet, aber im
Vergleich mit den westlichen Medien machte sie ihr niedrigeres
professionelles Niveau weniger ueberzeugend. Die verfuehrerische
Quasiobjektivitaet westlicher Medien ist wesentlich gefaehrlicher als
die offensichtliche, rohe, primitive Propaganda des serbischen
Staatsfernsehens.
Welche Mechanismen wurden von den westlichen Medien dabei verwendet,
diesen ethnischen Konflikt zu schaffen?
*Die Fragmentierung der Wahrheit*
Der Kosovo-Konflikt wurde durch Fragmente der Wahrheit dargestellt,
die die urspruengliche Annahme der serbischen Schuld rechtfertigten.
Wichtige Aspekte, die dazu beigetragen haetten, ein ausgeglicheneres
Bild des Problems zu schaffen, wie die dem Krieg unter albanischem
Druck vorausgegangene serbische Migration aus dem Kosovo, die hohe
Akzeptanz der Sezession unter den Albanern, die albanische Weigerung,
gegen Milosevic zu stimmen oder die aggressiven Aktionen der UCK,
wurden einfach ignoriert.
*Die Vereinfachung der Erklaerung*
Die Erklaerung des Konflikts wurde weitgehend auf den sehr
oberflaechlich behandelten, politischen Aspekt reduziert. Dabei wurde
ignoriert, dass der ethnische Konflikt einen sehr viel breiteren
sozialen Kontext hatte. Der ethnische Konflikt im Kosovo war viele
Male im Lauf der Geschichte aufgetreten, aber jeweils unter sehr
unterschiedlichen sozialen Bedingungen. Die juengste Entwicklung des
Konflikts ist verbunden mit dem Prozess der ethnischen
Staatsentwicklung in Ex-Jugoslawien und der oekonomischen
Unterentwicklung des Kosovo, was durch das explosive
Bevoelkerungswachstum (das hoechste in Europa, hoeher als in Albanien)
verschaerft wurde. Die Anerkennung der Relevanz von oekonomischen
Faktoren jetzt nach dem Krieg ist eine Art moralischer Zynismus; was
jetzt, nach all den Zerstoerungen, als normale und essentielle
Investition in die Entwicklung der Region und besonders des Kosovo
betrachtet wird, war als eine vorbeugende Handlung vor dem Konflikt
nicht vorstellbar.
*De-Historisierung des Konflikts*
Der komplexe, sich verschiebende ethnische Konflikt im Kosovo aehnelt
einer historischen Pendelbewegung, die bestimmt, dass ein besonderer
Moment im Zeitverlauf definiert, wer das Opfer und wer der Taeter ist.
War Praesident Milosevic erst einmal von den westlichen Medien in die
Rolle des Verbrechers gesteckt worden, eine Metapher fuer das absolut
Boese (in genau derselben Art wie Saddam Hussein), so wurde ein
Schwarzweiszkontext geschaffen, innerhalb dessen es ein leichtes war,
die absolute Schuld der Serben und die absolute Unschuld der Albaner
zu demonstrieren. Die am haeufigsten fuer diese Analyse verwendete
Ausgangsposition war die Abschaffung der weitgehenden albanischen
Autonomie im Kosovo.
*Dekontextualisierung oder falsche Kontextualisierung des Konflikts*
Jeder ethnische Konflikt findet immer innerhalb eines bestimmten
Kontexts statt. Genauso wie die Auswahl eines Ausgangspunktes das
Urteil beeinflusse, beeinflusst der gewaehlte Kontext die Perspektive.
Was war in der Tat der geografische Kontext des Kosovo-Konflikts? War
es Serbien, Jugoslawien, der Balkan, die Mittelmeerregion, Europa? Wie
(absichtlich?) verworren der gewaehlte Kontext werden konnte, wurde
offensichtlich in Praesident Clintons Rede in der ersten Nacht des
NATO-Angriffs, in der er erklaerte, dass es das Ziel des NATO
Eingriffs war, Stabilitaet in die ganze Region zu bringen. Was folgte,
war das genaue Gegenteil. Eine sorgfaeltige, inhaltliche Analyse
westlicher Medien wuerde zeigen, wie professionell in der Art eines
guten Thrillers Spannung geschaffen wurde, der in einem
durchschnittlichen westlichen Staatsbuerger mit Beginn des NATO-
Bombardements eine Art moralischer Katharsis bewirken konnte. Die
Intensitaet der Propaganda fuer den Krieg stand weniger im Verhaeltnis
zum Ausmasz des Problems, sondern eher zur internen politischen
Dynamik der zentralen "Player" innerhalb der NATO und dem Anspruch der
NATO, ihre eigene Rolle zu der des "Weltpolizisten" umzudefinieren.
*Das Zaehlen auf Unkenntnis*
Die Medien vereinfachen nicht nur die Dinge, sondern sorgen auch fuer
die angenommene Unkenntnis ihrer Konsumenten. Viele Untersuchungen
haben gezeigt, dass die Menge der zu einem bestimmten politischen
Thema gezeigten Information nur zu einem geringen Ausmasz in Beziehung
zu einem gesteigerten oeffentlichen Verstaendnis der Angelegenheit
steht. Man koennte daraus schlieszen, dass die verborgene Funktion,
Information ueber ein gewisses Thema zu verbreiten, eine andere
Wirkung haben soll, zum Beispiel die breite Akzeptanz eines "gerechten
Krieges" durch die demokratische Oeffentlichkeit. Die westlichen
Medien spielten mit den Emotionen und den moralischen Gefuehlen der
Oeffentlichkeit auf dieselbe Art und Weise wie die serbischen, wenn
letztere die Koerper serbischer Buerger zeigten, die von der UCK
getoetet worden waren. In der Tat konzentrierten sich sowohl die
westlichen, als auch die serbischen Medien je auf eine einzige
(entgegengesetzte) Seite des Konflikts, in der Annahme, dass "die
Serben" beziehungsweise "die Albaner", und nicht der ethnische
Konflikt als solcher das Problem seien.
*Die Verwendung der Wissenschaft und von Expertenmeinungen*
Um "Wahrheiten" zu bestaetigen und die eigene Objektivitaet zu
demonstrieren, baten die Medien verschiedene maszgebliche Experten,
wissenschaftliche Information zu praesentieren. Jedoch bevorzugten die
"Spielregeln" immer das gewaehlte interpretative Geruest. Statt einen
tieferen und analytischeren Ansatz zum Thema anzubieten, pressten die
Medien wissenschaftliche Erkenntnisse in eine Form, die "schmackhaft"
und "leicht zu schlucken" war. Dies wurde ebenso sehr durch die
geringe Qualitaet der von den Journalisten gestellten Fragen erreicht,
wie auch durch die Zusammenarbeit mit "zahmen" Experten.
*Die Benutzung der oeffentlichen Meinung*
Parallel zur Benuetzung von Expertenwissen geschah die Verwendung von
Meinungsumfragen und interaktiven Programmen. Die westliche
oeffentliche Meinung, die auf den Medieneinfluessen basierte, die
bereits beschrieben wurden, wurde daraufhin zitiert, um sowohl die
Politik der Medien, als auch die des Kriegs zu rechtfertigen. In der
Tat waere diese Tautologie fast komisch, waere das Thema nicht so
tragisch. Was hier geopfert wurde, waren die hehren Prinzipien
westlicher Kultur: Rationalitaet, Objektivitaet, Fairness. Dagegen
wurde bestaetigt, dass die moderne westliche Kultur auf
Reduktionismus, Zweckdienlichkeit und den Prinzipien von Hierarchien
und des "entweder-oder" beruht.
*Die Kraft der Opferrollen*
Die von den Medien am konsequentesten angewandte Methode war die
Legitimation militaerischer Aktionen durch die Ausnutzung des
Szenarios von Opfern und Taetern. Dies produzierte sogar eine
Konkurrenz um den hoechsten "Opferstatus". Die Inszenierung von
Ereignissen war sicherlich kein historisches Novum, aber sie war in
den Kriegen in Ex-Jugoslawien besonders offensichtlich, den Kosovo
eingeschlossen. Dies muss in Zukunft noch vollstaendig dokumentiert
werden. Alle Seiten praesentierten, im Wissen, dass dies ein
maechtiges Vehikel der Ueberzeugung sein konnte, ihre Opfer. Zum
Beispiel wurde es Angestellten in Serbien waehrend der Luftangriffe
nicht erlaubt, bestimmte Orte zu verlassen, obwohl sie wussten, dass
deren Bombardierung bevorstand. Sie wurden gezwungen zu bleiben und
ihre eigene Vernichtung zu erwarten, um Milosevics Bedarf an Opfern
fuer seine heimische Oeffentlichkeit zu decken. In anderen Faellen
wurde die internationale Oeffentlichkeit tief von Meldungen ueber
Verbrechen bewegt, die, wie sich spaeter herausstellte, falsch oder
uebertrieben waren. Das "Opferspiel" wurde durch die Uebernahme einer
unpassenden Rolle durch die Medien moeglich gemacht. Anstatt gegen den
Konflikt als solchen aufzutreten und unangenehme, bohrende Fragen zu
stellen, wessen Interessen da gedient wurde, wurde der Konflikt durch
die Parteinahme der Medien radikalisiert.
*Die Schaffung von Stereotypen, Vorurteilen und Hass*
Es ist weithin anerkannt, dass Stereotypen und Vorurteile die
Vorlaeufer von Diskriminierung sind. In der Tat werden sie auch als
Kriterien fuer Stategien der affirmative action im Kampf gegen
Diskriminierung verwendet. Negative Stereotypen gegen entfernte
"Andere" zu schaffen wird anscheinend legitim, wenn diese "Anderen"
ihre eigenen "Anderen" diskriminieren. Diese Kette von "Anderssein"
wurde nicht erkannt. Im Falle von Ex-Jugoslawien wird es sogar noch
verwirrender. Eine ueberzeugende Analyse von Sadkovich demonstriert
zum Beispiel das Ausmasz, in dem die Orientierung der westlichen
Medien antikroatisch und antimuslimisch war. Aehnliche Forschung in
Serbien beweisen genau das Gegenteil - dass die westlichen Medien im
Wesentlichen antiserbisch waren. Jedoch schlieszt das Eine das Andere
nicht notwendigerweise aus. Die Tatsache des "Andersseins" des Balkans
und der dort ansaessigen Bevoelkerung wurde in beiden Faellen
demonstriert. Wer immer als der "Andere vom Balkan" ausgesucht wird,
wird de facto gewaehlt, um die "Andersheit" der ganzen Region
darzustellen. Nach einer Weile wird es fuer den durchschnittlichen
westlichen Zuschauer immer weniger wichtig zu wissen, "wer wem was
antut", da es klar wird, dass die Beschriebenen allesamt Wilde sind,
die vom Hass gegen den jeweils anderen Stamm besessen sind. Vor diesem
Hintergrund wird es einfach, jede Art von Eingriff zu legitimieren,
die den Wilden vom Balkan auferlegt wird.
*Die Zerstoerung des Sinns*
Im Kosovo-Konflikt erreichte die Faehigkeit der Medien, die Bedeutung
von Woertern umzukehren mit dem staendigen Gebrauch von Begriffen und
Phrasen wie "humanitaere Bombenangriffe" oder "Kollateralschaeden"
(Letztere als ein Synonym fuer Zivilopfer) ein neues Niveau der
Widerspruechlichkeit. Auf CNN wurden die fast achtzig Tage und Naechte
andauernden Bombardements nicht als Krieg definiert, sondern als
"Luftschlaege gegen Jugoslawien" beschrieben. So war Krieg kein Krieg
und Frieden sicherlich kein Frieden, sondern irgendetwas dazwischen;
namenlos, formlos, auszer Kontrolle und mit sichtbaren Folgen.
*Die Zerstoerung von Mitleid und die Konstruktion einer neuen Moral*
Die westlichen Medien zeigten parallel singende Menschen in Belgrad
und Filmmaterial von albanischen Fluechtlingen, die den Kosovo
verlassen. Szenen, die ohne Kommentar gezeigt wurden, aber eindeutig
die Emotionen der Zuschauer manipulierten und Vorurteile gegen die
"ruecksichtslosen" und "rassistischen" Serben auf der einen und die
"reinen Opfer' auf der anderen Seite schufen. Was haette eine
ueberzeugendere Rechtfertigung fuer die Bombenangriffe sein koennen?
Die wirkliche Situation war dagegen eine andere. Anfangs versuchte die
Bevoelkerung von Belgrad spontan, Staerke gegen ihre eigene Furcht und
Machtlosigkeit durch Versammlungen im Zentrum der Stadt zu gewinnen.
Spaeter wurden diese Versammlungen durch das Regime vereinnahmt und
die Leute unter der Drohung, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und durch
andere Formen des Zwangs dazu gebracht, sich zu versammeln. Der Westen
war voellig zurecht schockiert von den Bildern von Tausenden von
albanischen Fluechtlingen, die in Furcht und Hoffnungslosigkeit aus
ihren Haeusern fluechteten. Wie dem auch sei, dadurch, dass Tag fuer
Tag menschliches Leid gezeigt wurde, schuf man wohl letztlich mehr
Apathie als Mitleid. Obwohl diese tragischen Bilder schrecklich waren,
oeffneten nicht viele westliche Laender den albanischen Fluechtlingen
ihre Grenzen, schon gar nicht in groszer Anzahl. Auf der anderen Seite
spielte sich der Westen als "Hueter der Werte der zivilisierten Welt"
auf, trotz der eigenen Geschichte voll barbarischer Taten in einer
nicht so entfernten Vergangenheit. Weniger weit zurueckliegende Kriege
wie der Vietnamkrieg und der Golfkrieg werden durch Beispiele von
ethnisch motivierter Brutalitaet und moralische Heuchelei zugedeckt.
*Leerer Raum*
Eine der wichtigsten Methoden fuer die Schaffung ethnischer Konflikte
durch die Medien ist die Auslassung einer groszen Anzahl relevanter,
aber ungelegener Themen, zum Beispiel die Rolle der Waffenindustrie,
die Kriegsgewinne, die Involvierung der Mafia, geostrategische Fragen,
oekologische Probleme, die Zensur, Friedensinitiativen und Widerstand
gegen den Krieg. Die westlichen Medien verwarfen komplexe und
kontraversielle Themen, die verschiedene Perspektiven einbringen
konnten, den Konflikt zu verstehen. Die oekologischen Auswirkungen des
NATO-Bombardements, die konsequent verschwiegen wurden, zeigten in der
Tat die ruecksichtslose Geringschaetzung gegenueber der ganzen Region,
insbesondere des Kosovo, welcher den intensivsten Bombenangriffen
ausgesetzt war.
*Hierarchisierung der Opfer*
Die vielleicht maechtigste Art, moralische und ethische Reaktionen der
westlichen Oeffentlichkeit auf den Krieg umzukehren, war die Anwendung
doppelter und dreifacher Standards gegenueber den Opfern des Kriegs.
Es gab offenen Rassismus, am eindeutigsten in der uebertriebenen
Aufmerksamkeit, welche die westlichen Medien dem Schicksal dreier
gefangengenommener amerikanischer Soldaten entgegenbrachten.
Demgegenueber wurden albanische Fluechtlinge hauptsaechlich "en masse"
behandelt, nicht als Individuen, und serbische Opfer wurden zu
"Kollateralschaeden".
*Schlussfolgerung: Krieg als Self-fulfilling Prophecy*
So wie man die Gesellschaft beeinflussen kann, um Konfliktloesungen
oder Friedenssicherung und Friedensschaffung zu ermoeglichen, so kann
man, wenn nicht noch wirksamer, Konflikte kreieren. Anstatt Kriege und
Konflikte als sporadische und spontane Phaenomene zu behandeln, waere
es viel nuetzlicher, sie als strukturelle, endemische und sogar
"rationale" (zumindest fuer die Sieger und Kriegsgewinnler) Prozesse
zu behandeln. Hierbei spielen die Medien eine sowohl instrumental, als
auch strategisch sehr signifikante Rolle. Ich glaube, dass die Medien
Konflikte radikalisieren, wenn sie einseitig Partei ergreifen. In den
90ern gelang es ihnen, die Realitaet umzustrukturieren, um ihren
eigenen Interessen zu dienen. Die Medien sind bestimmt nicht nur ein
Spiegel der Realitaet; sie schaffen Realitaet, und es ist aeuszerst
schwierig, die Grenze zwischen diesen beiden Bereichen zu ziehen. Eine
rueckblickende Analyse wuerde auf der Grundlage einer detaillierten
Rueckschau auf die behandelten Inhalte eindeutig das Ausmasz zeigen,
in dem politische und sogar militaerische Entscheidungen bestimmten
Medieninitiativen folgten. Die ganze Dynamik der Kriege Ex-
Jugoslawiens, den letzten im Kosovo eingeschlossen, wurde sehr eng mit
Medienkampagnen verbunden, die bestimmten Ereignissen vorangingen.
Diese Art des Verstehens kommt notwendigerweise erst im Nachhinein,
wenn es fuer politische Initiativen zur Beendigung des Konflikts zu
spaet ist. In bestimmten Faellen werden Ereignisse fuer die Medien
inszeniert, auf einer zweiten Ebene, in anderen Faellen, beginnen die
Medien, Ereignisse selbst zu initiieren und schaffen somit selbst
"Realitaet". Krieg ist eine aeuszerst fruchtbare und tragfaehige Basis
fuer diese Art der Manipulation. Es scheint, dass die Welt in eine
Aera eintritt, in der die Vorherrschaft der Medien ueber die
Gesellschaft droht. Der Teufelskreis von politischer
Entscheidungsfindung und Medienkampagnen ist immer noch fuer den
groeszten Teil der Oeffentlichkeit unsichtbar, er tendiert immer noch
dazu, sein "unabhaengiges" Urteil darauf zu gruenden, was seiner
Annahme zufolge faire und objektive Berichterstattung ist. Wie dem
auch sei, ich behaupte, dass die Macht der Medien definitiv den
Konflikt im Kosovo, seine Initiierung, seine Eskalation und sein
Resultat beeinflusste. Es mag immer noch unklar sein, wer die Gewinner
und die Verlierer in diesem paradoxen Krieg der NATO gegen Serbien
sind, aber es scheint, dass der wirkliche Sieger die Medien sind.
*Aus dem Englischen von Martin Prochazka,*
*von der akin-Redaktion leicht gekuerzt.*
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