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Buecher:

> Lifestyle-Linke

Robert Kurz:
Die Welt als Wille und Design
Edition Tiamat, 219 Seiten, oeS 189,-
Berlin 1999, ISBN 3-89320-024-X

*

Robert Kurz legt sich in seinem juengst erschienenen Buch "Die
Welt als Wille und Design" - eine Anspielung auf Schopenhauers
"Die Welt als Wille und Vorstellung" - mit den Postmodernen und
den Lifestyle-Linken an. Er sieht die Postmoderne als Teil der
gaenzlich unueberwundenen Moderne, die im Sterben liegt und ihre
Fiebertraeume gebiert, die es zu analysieren gilt. Den
Hauptmechanismus fuer die postmoderne Umpolung aller
Gesellschaftskritik sieht er in deren Aesthetisierung. Die Form
ist bestimmend, der Inhalt beliebig.

Es geht ihm aber weniger um eine durchaus notwendige Kritik der
postmodernen Philosophie, als um eine Untersuchung des
gesellschaftlichen Resonanzbodens, auf dem sie ueberhaupt Karriere
machen konnte: "Als oekonomisch- kulturindustrieller Gesamtkomplex
ist die Postmoderne das Ensemble eines Krisenkapitalismus, der
sich selber als postindustriell miszversteht". "Die Postmodernen
halten sich selbst fuer froehlich; in Wirklichkeit sind sie nur
ignorant"

"Was sich da breit macht, ist ein theoretisierender Snobismus, der
mit Begriffen der Kritik nur noch aeuszerlich kokettiert. Der
postmarxistisch raesonierende Snob leidet an der Einbildung, er
koenne sich 'souveraen' zu den unaufgehobenen Realkategorien der
buergerlichen Verkehrsform verhalten und mit ihnen spielen wie mit
des Accessoires der gaengigen Outfit-Stilisierung. Die Orwellsche
Sprache des Liberalismus haelt Einzug, und so wird die zeitgeistig
grassierende Kritiklosigkeit zur besonders 'radikalen' Form der
Kritik geadelt - eine typische Wendung des Postmodernismus..."

"Der kapitalistisch monadisierte Mensch wird in seiner letzten
Gestalt zum Selbstdarsteller, das Leben zu einer
Selbstinszenierung, die Welt zur Buehne fuer die Qual des
abstrakten 'Selbst'. Dementsprechend werden Outfit und Ambiente
mit einer ueberdimensionalen Bedeutung aufgeladen. Nicht sich
wohlzufuehren oder in einer angenehmen Umgebung zu leben ist
'eigentlich' die Frage, sondern ob und wie die Requisiten zur
permanenten Selbstinszenierung passen". Das gilt bei einen solchen
wandelnden "Gesamtkunstwerk" fuer die Farbe des Badezimmerschranks
ebenso, wie fuer die sexuelle Orientierung.

Und was fuer Dinge oder Personen gilt, das gilt
selbstverstaendlich erst recht fuer Ideen oder
gesellschaftskritische Positionen, die ihren Wert in letzter
Instanz nicht aus sich selbst beziehen, sondern daraus, dasz sie
Requisiten MEINER Selbstinszenierung sind.

Mit bloszem Auge ist zu erkennen, dasz es hier um Reinformen
abstrakter Individualitaet, um das warenfoermige Styling
kapitalistischer Persoenlichkeitsatrappen mit einem ungeheueren
Illusionspotential geht, wie es der Individualanarchismus schon im
19. Jahrhundert mit Max Stirners "MIR GEHT NICHTS UeBER MICH"
vorgedacht hat. Aus einer damals bizarren Ideologie einer
intellektuellen Boheme hat sich dieser Typus in der
kapitalistischen Durchsetzungsgeschichte weiterentwickelt, bis zu
seiner Banalisierung und Vermassung in der Postmoderne.

Im Bewusztsein der Love Parade hat die Beliebigkeit des
"dezentrierten Subjekts" bereits jeden Maszstab verloren: Alles
kann auch alles andere sein, Emanzipation und Affirmation sind
gleichgueltig wie ueberhaupt alle Gegenstaende vor der scheinbar
totalisierten Warenform gleichermaszen gleichgueltig sind, und so
waere es auch keine Ueberraschung mehr, wenn der "Schrei nach
einem menschenwuerdigen Leben" uebergangslos als "Auslaender raus"
artikuliert wird". Wenn alles im Grunde nur bedeutungslose
"Zeichen" sind, mit denen mensch spielen kann": Warum nicht Haider
waehlen, weil er doch eine "coole Performance" liefert?

"Seitdem sich in den 90er Jahren ausgesprochene Nazitoene in die
Popkultur eingeschlichen haben und in Ostdeutschland eine
rassistische Jugendkultur fast schon zum Normalzustand geworden
ist, hat zwar auch die linke Pop-Postmoderne ein gelinder
Schrecken befallen. Aber zu recht viel mehr als zu einem
orakelhaften Aufjammern kam es nicht -- das Wesen des eigenen
Massenopportunismus und der damit verbundenen postmodernen
Theoreme bleibt weiterhin von grundsaetzlicher Kritik verschont."

"Dabeisein ist alles... Der Marxsche Gedanke, den Verhaeltnissen
ihre eigene Melodie vorzuspielen, um sie zum Tanzen zu bringen,
verkommt zum schmetternden Mitsingen im Kinderchor des
Zeitgeistes. In der Hoffnung auf Bonbons natuerlich."

"Die jungen postmodernen Biographiebastler sind im weitesten Sinne
die Sproesslinge der 68er Protestgeneration. Sie verachten an
ihren Alten die paedagogische Attituede, die Reste fordistischer
Produktionsaesthetik und die 'Idiotie des Landlebens' nur, um den
Markt freizuschaufeln fuer ihre eigene Instantkultur medialer
Simulationen und Selbstinszenierungs-Utensilien jenseits der
materiellen Reproduktion. Fetischisierten die Radikaloekos die
Natur und wollten mit nacktem Hintern Mutter Erde fuehlen, so ist
fuer die Postmodernisten Natur blosz noch eine Art Dreck und Muell
der uninteressanten Realitaet erster Ordnung, waehrend das wahre
Leben im Cyberspace stattfindet. Sie glauben sich den Schreiner-
und Kartoffelbauer-Klitschen der fruehen 80er Jahre unendlich
ueberlegen, wenn sie Software-Klitschen aufmachen.

Hinter dem Techno- und Computerfetischismus der
'Medienkompetenzler' verbirgt sich ein technokratisches Interesse,
das die kritische Reflexion hassen musz wie die Pest. Doch die
Postmoderne hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Ihr
Ressentiment gegen die begriffliche Reflektion ist nutzlos
geworden, weil die Krise des warenproduzierenden Systems nicht
mehr technokratisch beherrscht werden kann. Die Technokraten der
kapitalistischen Binnengeschichte waren eben nicht nur mit einem
jeweiligen technologischen Schub vermittelt (...) sondern vor
allem darauf angewiesen, dasz 'ihre' technologische Welle auch
einen historischen Akkumulationsschub des Kapitals tragen konnte.
Da jedoch die 3. industrielle Revolution der Mikroelektronik auf
das genaue Gegenteil hinauslaeuft -- naemlich die
'Arbeitssubstanz' des Kapitals global abschmilzt -- drohen sich
auch die Bluetentraeume einer 'telematischen' Jungtechnokratie ins
Nichts zu verfluechtigen."

Inzwischen haben wir es mit einer ganzen Generation von
Billiglohnjobbern aus gutem Hause zu tun. Obwohl in den
postindustriellen Grauzonen von Bewusztseinsindustrie und
Erlebnis- tourismus, Medienmarketing und Kultursponsoring und
Edeldesign-Imagekampagnen real immer weniger zu holen ist, nimmt
das Ueberangebot weiterhin zu. Diese Figuren, die umsomehr zum
Verwechseln aussehen, je individualisierter sie sich geben,
pendeln in der Regel zwischen einem Dasein als Werbetexter
(Kreativjob) und Aushilfskellnerinnen (McJob), ohne jedoch die
geringste Vorstellung einer widerstaendigen Gegenbewegung und
Gegenkultur zu entwickeln.

"Die Opposition gegen die 68er Papis und Mamis moniert nicht etwa
die mangelnde Radikalitaet an deren demokratisch erlahmter
Kapitalismuskritik, sondern sie richtet sich umgekehrt dagegen,
dasz die 68er sich ueberhaupt mit etwas so Altmodischem und
Unmoeglichem wie Kapitalismuskritik abgaben. Die postmodernen
Youngsters sind vielleicht die erste Generation, die den
Generationskonflikt nicht mit einer Gesellschaftskritik, sondern
mit einer hemmungslosen Affirmation der herrschenden Verhaeltnisse
verbindet. (...) Nicht der Traum von einer anderen Gesellschaft
wird getraeumt, sondern der Traum vom eigenen Geschaeft, vom
raffinierten Coup und vom Platz an der Sonne des Marktes. Was die
Wirklichkeit nicht mehr hergibt, musz dann eben den
Autosugestionspotentialen ueberlassen werden".

"Die postmoderne Massenkultur und die kasinokapitalistische
Oekonomie des 'fiktiven Kapitals' von Staatsanleihen und
abgehobenen Aktienmaerkten bilden einen Gesamtkomplex. Von der
Thematisierung dieses Zusammenhangs wollen daher die Postmoderne
in allgemeinen und die postmoderne Linke im besonderen nichts
wissen. Die Abneigung gegen den Begriff des Kasinokapitalismus,
dessen Verwendung grundsaetzlich denunziert wird, stellt sich so
(direkt oder indirekt) als eine ganz ordinaer interessensgeleitete
heraus: Wenn die 'Sorge um sich' angewiesen bleibt auf finanzielle
Erbschaften und das erhoffte Mitzocken an den Finanzmaerkten, dann
darf natuerlich in der 'telematischen' Spieszeridylle von einem
unvermeidlichen Zusammenbruch des 'fiktiven Kapitals' und damit
der Finanzmaerkte ebensowenig die Rede sein wie vom Strick im
Hause des Gehaengten. Es ist deshalb in Kreisen der postmodernen
Linken fast schon zur Sprachregelung geworden, den Begriff
'Kasinokapitalismus' samt dem dazugehoerigen Terminus des
'fiktiven Kapitals' als 'unmoeglich' verscheuchen zu wollen und
ihn zu diesem Zweck als latent oder manifest antisemitisch
einzustufen, also der Naziparole von 'raffenden (juedischen)
Finanzkapital' gleichzusetzen, um selber aus dem Schneider zu sein
und weiter der oekonomischen Ignoranz froenen zu koennen.

Aber nicht nur die Realitaet des globalen Finanzcrashs wird ihnen
einen dicken Strich durch die Rechnung machen, sondern ihr
Ablenkungsmanoever kann auch leicht widerlegt werden. Der von Marx
gepraegte Begriff des 'fiktiven Kapitals' folgt aus einer
praezisen akkumulations- und krisentheoretischen Argumentation,
die der Nazi-Ideologie vom 'raffenden Finanzkapital' diametral
entgegengesetzt ist. Das Abheben der Finanzmaerkte und die
Kreation von 'fiktivem Kapital' (stehen dabei nicht fuer sich,
sondern sind eine Konsequenz der inneren Schranken des produktiven
(im Nazi-Jargon 'schaffenden') Kapitals selbst."

"Die Nazi-Ideologie, der Antisemitismus und zahlreiche verwandte
Ideologeme z.B. auch anarchistischer Provenienz (von Proudhon bis
Silvio Gesell) stellen diese von Marx analysierte Logik der
Ueberakkumulation auf den Kopf. Die Entkopplung des spekulativen
Finanzueberbaus wird nicht aus der Krise der Realakkumulation
abgeleitet, sondern genau umgekehrt: Die Krise des 'produktiven'
Kapitals und der 'Arbeit' erscheint als Folge der Spekulation und
ihrer negativen ('juedischen', 'raffenden',
finanzkapitalistischen) Subjektivitaet ('Weltverschwoerung' usw.).
Die Dreistigkeit, solche irrationalen Konstrukte einer
krisentheoretischen Argumentation gleichzusetzen, die mit den
Marxschen Begriffen der Ueberakkumulation und des fiktiven
Kapitals operiert, kann nur mit der Ignoranz und Unwissenheit
eines laengst jeder Okonomiekritik entwoehnten Publikums rechnen.

Was sich schon im kulturindustriellen Massenopportunismus
angedeutet hat, verdichtet sich in der generellen Affirmation des
Warenkonsums zur vollstaendigen Kompatibilitaet der postmodernen
Lifestyle-Linken mit den Imperativen des Kapitalismus. Der Zwang,
um jeden Preis im jeweiligen gesellschaftlichen Mainstream
mitschwimmen zu muessen, verlangt eine im Vergleich zum alten
Arbeiterbewegungs-Marxismus blosz seitenverkehrte
Strukturidentitaet mit der vordergruendig kritisierten
Gesellschaftsform.

Es ist keineswegs ausgeschlossen, dasz die von der Kriese
zermuerbten Alltagsaestheten ihrer Schauspielerei muede werden.
Gerade dann haette ihnen nur radikale Kritik von Warenform und
abstrakter 'Arbeit' etwas zu sagen und nicht die ideologisierende
Reproduktion ihrer 'Aufkuendigung der Ernsthaftigkeit'. Aber die
fortgesetzte Kritikverweigerung kann eben auch in das Gegenteil
von Emanzipation umschlagen." *T. Baum*


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