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Aussendungszeitpunkt: 11.12.1999; 17:00
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Glosse:

> Haider glaubt an die Luege, die er ist.

20 Thesen aus gegebenem Anlass

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# Auch Hitler hat ja an das geglaubt, was er sich vorlog. Haider wie Hitler
sind existierende Luegen.

# Haider ist ein erwachsenes Kind. Das war Hitler auch. Aber: wie soll man
einem 50jaehrigen Kind das Spielen verbieten? Das, genau, macht ja
seinen Charme, seinen Reiz, seine Faszination aus: dass er mit sich und
den Menschen spielt.

Nein, er habe die Veranstaltung der Lega Nord nicht besucht, liess sein
Buero ausrichten; nein, er habe dort nie gesprochen, wurde weiter
gelogen; am Ende waren es nur "auguri"- Glueckwuensche, die er dort
abgeliefert haben will. Wer aber die Bilder dann sah, als sie das
Fernsehen zeigte, stiess auf einen glueckstrunkenen, siegreich den
Massen zujubelnden Mann, dessen einzige Bosheit seine Kindlichkeit ist,
mit der er die Macht anstrebt.

# Hitler musste seine Macht noch erkaempfen, das ging nicht ohne
Blutbaeder ab, Haider vibriert vor Lust, sich die Macht erspielen zu
koennen. Wie ein altes, freches Kind.

# Das ist ansteckend, macht auch anderen Mut, gibt den Menschen
Hoffnung, putscht sie auf, setzt sie moralisch unter Droge. Haider wie
Hitler -- zwei Hoffnungsmacher, die ihre Anhaenger dazu bringen, sich in
ihnen, den Siegern, zu spiegeln. Hitler mit seinem Kriegsgeschrei, voll
blutiger Aggressionen, Haider spoettisch, rotzig, verspielt, ein Vorlaeufer
der "Spass-Generation", der sogar mit seinen Feinden noch spielt. Das
macht ja den Umgang mit seinem Rassismus, seiner Fremdenfeindlichkeit,
sogar seinem Nazismus so schwer: dass er auch damit nur spielt; ihn zur
Haefte zurueckzieht, auf ein Drittel verkuerzt, ganz fallen laesst, dort, wo
die Politik es erfordert. Siehe sein Interview in den USA und seine
gewundene Distanzierung vom Nationalsozialismus spaeter, zu Hause.

# Ich prophezeihe: auch von seiner Fremdenfeindlichkeit wird er sich
distanzieren, sobald er Morgenluft wittert: hofft, sich die Macht damit
erspielen zu koennen.

# Ernst ist es Haider nur mit sich selbst, heilig ist ihm nur er sich selber.
ER, der sich mit glaeubig zu IHM aufblickenden, IHN umrundenden
Menschen umgibt - die geniale Plakatserie der letzten Wahl.

# Die Anleihen bei der Religion sind unuebersehbar, die Toene des
Kulturkampfes unueberhoerbar. Auch Hitler hat ihn gefuehrt, sich den
Massen meisterhaft als Messias praesentiert, wenn er in seinen Reden an
den entscheidenden Stellen die "Vorsehung" beschwor, oder, unter dem
Jubel der Menschen, die Oesterreicher auf dem Heldenplatz von der
verhassten Autonomie, dem "lebensunfaehigen" Kleinstaat befreite:
"...melde ich vor der Geschichte den Eintritt meiner Heimat..." Und alle
Dokumente belegen den heiligen Ernst, mit dem der Zyniker Hitler an das
glaubte, was er "Berufung" nannte, an seine Luege.

# Immer wieder, immer wieder geht es auch Haider um die Verweigerung
der Autonomie, die Ruecknahme der Moderne. Vor etwa zwei Jahren
spielte er sich ploetzlich zum "Schutzpatron des kleinen Mannes" auf; ein
Sager, direkt aus der Sakristei; der rasch wieder von der Buehne
verschwand; vielleicht direkt von Krenn eingefluestert; ein Sager aber
auch, der das Boese, das Faszinierende an Haider deutlicher macht als
der von der geglueckten "Beschaeftigungspolitik" des Dritten Reichs:
Haider, der sich -- freilich nur rhetorisch -- mit Bischofsmuetze und
Krummstab drapiert, weil er weiss, wie anfaellig wir Oesterreicher, noch
immer, fuer geschenkbringende Nikolaeuse, gnaedige Kaiser, ein
geldregnendes Lotto, kurzum: den "Segen von oben" sind.

# Haider erzaehlt uns seit 13 Jahren mit allen Fasern seiner Existenz und
in vielen Variationen nur eine einzige Story: wie toll es ist, dass wir uns
ducken; damit er, und nur er, der sich etwas trauende Joerg, uns wieder
aufrichten kann.

# Man kann ueber Hitler nicht reden, ohne ueber das Boese zu reden.
Dies gilt auch fuer Haider.

# Die Verweigerung der Autonomie ist das Boese an Haider wie Hitler.

# Hitler hat den Deutschen die kollektive Autonomie verweigert: die
Demokratie: er hat sie, ganz koerperlich, bis in den Schutt der Bomben
und die Ermordung der Menschen vernichtet.

# Haider verweigert uns die individuelle Autonomie: die der Moderne.
Haider ist boese, weil er uns auf bezaubernde Weise zu verstehen gibt, er,
und nur er allein, sei imstande, uns die Last der Individualisierung
abzunehmen. In religioeser Sprache heisst das "Erloesung."

# Sein "Kinderscheck" ist genau das: die Vorgaukelung individueller
Autonomie fuer die Frauen. Das Boese daran sind nicht die moegliche
Unbezahlbarkeit, die Milliardenkosten, sondern die allgemeine
Bestechlichkeit, die Haider den Frauen mit dem Scheck unterstellt.

# Haider wie Hitler sind Meister der Mittel: der Medien: des schoenen
Scheins und der tollen Wirkung. Das imponiert. Ein Van der Bellen, der
von der Bruecke huepft? Net amol hinschaun! Klima, der sich vom
Gummiband zurueckschnellen laesst? Gelt Vickerl, man muesst sich halt
trauen! Schuessel, der eine Felswand durchklettert? Armer Wolferl, sei
froh, dass d` wenigstens singen kannst!

# Haider liegt in der Wahl seiner Mittel global im Trend, auch der
siegreiche Kapitalismus der Globalisierung herrscht ja nur mit Hilfe der
Mittel. Sinn stiftet er keinen. Haider ist sinnlos.

# Aber das war der Nazismus ja auch.Und hat geschichtlich gesiegt.
Zumindest kurzfristig. Faschismus und Nationalsozialismus haben schon
einmal gezeigt, dass die absolute Sinnlosigkeit -- oekonomisch: der Krieg,
und menschlich: die Hoelle -- Erfolg haben koennen. Bis zum
Zusammenbruch halt.

# Unsere Sehnsucht nach dem Boesen ist die Sehnsucht nach Heimat,
nach Abhaengigkeit, nach Nicht-Autonomie, -- anstelle der kalten,
rationalen Moderne. Haider gaukelt uns vor, es sei moeglich, diese
Sehnsucht zu stillen. Durch ihn. Das ist seine Luege. Haider ist kein
"Erloeser", aber er spielt ihn perfekt.

# Seine "Dritte Republik" -- ein Klon aus "Drittem Reich" und
"Musikantenstadel". Nein danke. Ich, jedenfalls, habe mir vorgenommen,
sollte es je dazu kommen, mich den Regieanweisungen eines Joerg
UeberMoik zu widersetzen.

# Spass muss sein. Haider nicht.

*

Nachbemerkung: Die Politik hat Haider bis jetzt nicht wirklich ernst
genommen, ihm nichts enegegengesetzt; ausgrenzen allein war zu wenig.
Aber auch die Intellektuellen sind der Herausforderung, die dieser Mann
dem Gedanken stellt, bis jetzt nicht gewachsen gewesen; haben sich eher
moralisch entruestet, als nachgedacht. Die erste gruendliche Analyse
habe ich im Standard vom 20. 11. 1999 gelesen: Tom Appleton kommt in
seinem ruhigen, unaufgeregten Essay inhaltlich zu aehnlichen
Erkenntnissen wie ich. Haider sei ein "Hitlerkranker, wie es sie zu
tausenden gibt," schreibt er dort, den man zwar verstehen koenne, der
aber "sich selber nicht versteht." In meiner Sprache: eine existierende
Luege, wie Hitler. Oder: ein ichloses Ich, das nur eines will: Macht. Reine
Macht.

Allerdings ist Appletons Text formal keine Kampfansage, wie diese
Thesen, die Haider bewusst dort herausfordern, wo er hilflos ist: auf der
rationalen Ebene. *Uwe
Bolius*





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