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Aussendezeitpunkt: Di, 19.10.99, 19:06 *
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Seele & Geist:

> Der Wahnsinn -- eine Form des Protests?

Am 21. und 22. 10. wird jeweils ab 19 Uhr im Literaturhaus eine
Veranstaltung der GAV (Grazer AutorInnenversammlung) des Titels
"Der Wahnsinn - eine Form des Protests?" stattfinden. Folgende
Autorinnen und Autoren werden lesen bzw. Vortraege halten: Marc
Adrian, Ruth Aspoeck, Bettina Balaka, Helmut Eisendle, Ingram
Hartinger, Heidi Heide, Karin Jahn, Eva Jancak, Ernst Kostal,
Hilde Langthaler, Mike Markart, Thomas Northoff, Karin
Schoeffauer.

Einige Titel der angekuendigten Beitraege: die wunschpumpe,
Levomepromazin, Schizophrenie oder war ich damals schon
verrueckt?, Wundspur, Krankengeschichten, Prosawetter-
Entrechtungen, Bericht ueber meinen psychischen Zustand (eine
Rachelesung), als die Polizei sagte kein Wort weiter oder wir
holen die Polizei.

"Man kann", so formuliert Robert Castel in dem Beitrag "Vom
Widerspruch der Psychiatrie" in Basaglias Buch
"Befriedungsverbrechen", den Widerspruch der Psychiatrie "luzider
und wirksamer bearbeiten, wenn im medizinischen Mandat - was immer
die technisch-theoretischen Rechtfertigungen, mit denen es sich
herausputzt, sein moegen - der Ausdruck einer gesellschaftlichen
M a c h t erkannt wird. Ein Beispiel sind die alten und neuen
psychiatrischen Praktiken, deren Hauptzweck es war und nach wie
vor ist, den Kranken daran zu hindern, mit Gegen-Gewalt auf die
ihm widerfahrene gesellschaftliche Gewalt zu reagieren.

Gleichwohl wird der Psychiater nur im Kampf gegen diese Dimension
seiner Rolle aufhoeren, ein Agent der Macht zu sein (...) Er
verneint also nicht die Abhaengigkeit des 'Kranken', den andere
ihm anvertraut haben, und macht diesen nicht zum Traeger seiner
revolutionaeren Wuensche. Vielmehr bekaempft er diese
Abhaengigkeit in der Praxis, indem er alles an ihr - und an seiner
eigenen Rolle - in Frage stellt, was ein Produkt jener
soziopolitischen Verhaeltnisse ist, die aus der Arzt-Patient-Dyade
ein sich selbst erhaltendes Paar gemacht haben, jene perverse
Symbiose aus Herrschaft und Knechtschaft, welche eines der Mittel
zur Reproduktion der gesellschaftlichen Gewalt ist." (S.95)

Wenn es nach dem Initiator der Veranstaltung geht, dann wird diese
zweierlei Akzente setzen: 1. auf radikale Psychiatriekritik und 2.
auf die subversive, die kritische Kraft des Wahnsinns. Beides
setzt eine Auseinandersetzung mit dem herrschenden Gesamtsystem
voraus, mit den menschenverachtenden und menschheitsvernichtenden
Implikationen des kollektiven kapitalistischen Irreseins, das im
Begriffe steht, sich zu globalisieren.

Andererseits ist der Wahnsinn eine Form des Protests, die sich den
Strukturen und Verhaeltnissen, gegen die der Protest sich richtet,
noch hilfloser ausliefert als ein besonnenes kritisches Verhalten.
Wer also soll die kritische Kraft, die im Wahnsinn auf eine Weise
eingebunden ist, dasz sie nicht wirksam werden kann, aus dem
Wahnsinn entbinden? Der Wahnsinnige selbst kann das nicht,
zumindest solange er im Wahnsinn befangen ist. Die subversive, die
kritische Kraft aus dem Wahnsinn zu entbinden/entwickeln, waere
daher Aufgabe einer Therapie, die diesen Namen erst verdiente.
Aber die herrschenden "Therapien" mit ihrer methodischen
Verhinderung des Blicks auf die herrschenden Verhaeltnisse mittels
deren Individualisierung, Psychologisierung, Naturalisierung,
Biologisierung etc. sind dazu in keiner Weise geeignet.

Aufgabe einer relevanten Therapie waere es jedenfalls, der
Stoerung bzw. dem Wahnsinnigen als Stoerfaktor (vgl. die
gleichnamige Zeitschrift der Gesellschaft kritischer
Psychologinnen und Psychologen, GkPP) ein gesellschaftskritisch
materialanalytisches Fundament zu legen, um seiner ansonsten im
blosz Stoerenden verbleibenden Aktion Richtung zu geben. Das
Langzeitziel relevanter Therapie ist daher mit einem einzigen Satz
anvisiert: von der individualistisch verwirrten zur politisch
solidarischen Aktion!!!

Den Blick vom ideologischen Begriffspaar "gesund/krank" und dem
damit korrelierenden ideologischen Konstrukt von der
"Normalitaet", die schlieszlich so konstruiert ist, dasz alle ihr
gerecht werden muessen, aber niemand es kann (W.F.Haug), weg auf
die verruecktmachenden Verhaeltnisse zu richten, genuegt es schon,
Geschichten aus dem verruecktmachenden Alltag zu erzaehlen.

*Ernst Kostal*


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