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Aussendezeitpunkt: Di, 19.10.99, 19:04 *
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Wahlkraempfe:

> Des Kaisers neue Kleider

Bekanntermaszen fallen auf die VP und die FP je 52 Mandate, auf
die SP 65 und auf die Gruenen 14. Dem ersten Augenschein nach
eroeffnet dies spannende Abstimmungen - sowohl was einfache
Gesetze als auch die im Verfassungsrang bestehenden betrifft.
Freies Mandat, Unabhaengigkeit, attraktive Parlamentsarbeit,
ideologische Kaempfe und Suchen von Mehrheiten und so weiter auf
der Skala der politischen Lustbarkeiten. Aber vielleicht aendert
sich gar nicht so viel, wie folgendem Szenario zu entnehmen ist.
Es wirkt - gemessen an den bisherigen bequemen Usancen des NR -
befremdend, aber nicht unwahrscheinlich: Die SP bildet eine
Minderheitsregierung mit partieller Duldung der VP. Der Kaufpreis
ist sofort nach der Einigung zu erlegen: die Regierung der besten
Koepfe besteht zu einem guten Teil aus deklariert
parteiunabhaengigen "Fachleuten", die wiederum zu einem guten Teil
zufaelligerweise VP-nahe agieren.

Der Vorteil fuer Schuessel waere nach diesem Modell: Er haelt sein
Wort und klammert die VP andererseits durch die sich ergebende
gewichtige und jederzeit auszuuebende Veto-Situation aus der
Machtausuebung nicht aus. Weiters kann sich die VP durch diese
Rolle auch der Illusion hingeben, dasz die Parteistrukturen und
das Oeffentlichkeitsbild innerhalb der naechsten Legislaturperiode
soweit runderneuert werden, dasz sich nach den naechsten Wahlen
alle um sie reiszen, und sie sich sicher wieder in der Regierung
vorfindet. Bis dahin hat sie immerhin ihre Unabhaengigen, dadurch
die Gewiszheit, dasz die VP-Ministerien VP-maeszig nicht
austrocknen und die Genugtuung, dasz das muntere Wahlvolk nunmehr
alles denkbar Schlechte ausschlieszlich ueber die SP denkt, denn
die VP kann nichts dafuer, denn sie ist ja in der Opposition. Gute
Karten fuer Schuessel.

Was produziert der Nationalrat? Gesetze. Das macht er, dazu ist er
da. Auf unser Modell uebersetzt und mit der bisherigen Praxis
verglichen, werden sich auszer bei Verfassungsgesetzen keine
wesentlichen Aenderungen ergeben. In einem SP- oder nunmehr
natuerlich voellig unabhaengigen VP-Ministerium wird ein fix und
fertiges Gesetz gebastelt. Danke, Herr Sektionschef fuer die Muehe
- schwupps ins Parlament. Jetzt kommt die Frage der Einbringung:
es gibt Gesetzeswuensche als Antraege der Mitglieder des NR oder
als Vorlagen der Bundesregierung, des Bundesrates ueber
Vermittlung der Bundesregierung und Gesetzesentwuerfe, die einem
Volksbegehren entstammen. Ministerium klingt nach Vorlage der
Bundesregierung. Wie auch immer - nun liegt unser ofenfrisches
Noch-Nicht-Ganz-, aber Sicher-Bald-Gesetz also schon dem NR vor.
Das folgende und hoechst munteres Procedere ist das uebliche und
meistens oede Schaugefecht, je nach ORF-Sendezeiten groeszere oder
reduziertere CO2-Ausstoesse und Raumauslastungen, grosze
Aufregung, blabla usw... dann kommt's zur Abstimmung.

Die bisherige Praxis bedeutete auf diesem Stand der Dinge fuer die
Ex-Koalition kein allzu groszes Problem. Reines Insider-Geschaeft:
bei einfachen Gesetzen war es sowieso nicht der Rede wert.
Abstimmung und aus. Verfassungsrang? Kein Problem. Die 2/3
Mehrheit hat's moeglich gemacht. Mit der Zeit war es sicher immer
lustiger, Bundesverfassungsgesetze zu basteln. Damit konnte man
mit den jeweiligen widerspenstigen Landeshauptleuten Klartext
sprechen. So wurden Taxikonzessionen und aehnlich Staatstragendes
zu Verfassungsrecht. Jetzt ist Schlusz mit lustig, denn diese
Mehrheit gibt's nicht mehr. 2/3 sind 122 Mandate fuer ein BVG, und
leider haben SP und VP-unabhaengig zusammen nur mehr 117. Pech
aber auch.

Wird man sich innerhalb der VP ueber die SP aergern und will sich
staatstragend und aufregend oppositionell geben oder auch nur den
diversen Buenden oder dem christlichen Teil imponieren, so haben
VP und FP und Gruene zusammen 118 Mandate. Flotte Mehrheit, aber
auch nicht B-VG-wuerdig, und trotzdem traurig fuer die SP mit
ihren 65. Mit oefterem Schielen zu den Gruenen koennte der linke
SP-Fluegel in so manchen Sozial- und Menschenrechtsfragen beruhigt
werden, doch leider ergeben SP und Gruen nur 79. Also auch kaum
der Rede wert - es wird bei der Optik bleiben. Aber auf jeden Fall
kann der FP von allen bis zur naechsten Wahl oefters eins
ausgewischt werden. Bei bloeden Sagern steht`s immerhin: SP und VP
und Gruen haben zusammen 129 Mandate. Hoffentlich kennen alle die
wunderschoene Geschichte: Des Kaisers neue Kleider. Ob Neuwahlen
an dieser Geschichte etwas aendern?

Trotzdem: Frohes Schaffen! *Fritz Pletzl*


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