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24.9.99, 2:20
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USA/Kommentar der Anderen ;-)
> Umfrageergebnisse gegen Steuersenkung
Aus jenem Amerika, das vor zwanzig Jahren die "Fiskalrevolution"
von Reagan in die Welt gesetzt hat, kommt jetzt das Schock-Signal
der "Konterrevolution". Waehrend sich die EU-Mitgliedsstaaten,
mit
der ueblichen Verspaetung von einer Generation, mit dem Dilemma
zwischen fiskalischer Konsolidierung und Wohlfahrtsstaat
herumplagen, geht die amerikanische Oeffentlichkeit den
entgegengesetzten Weg: Sie lehnt einen angebotenen Scheck ueber
792 Mrd. $ ab, den ihr das Parlament in der Form drastischer
Einkommenssteuersenkungen angeboten hat, und verlangt, dasz diese
Mittel vielmehr fuer Schulen, Gesundheitswesen, Altersversorung
und Sozialhilfe, also dem, was vom Wohlfahrtsstaat noch
uebriggeblieben ist, eingesetzt werden. Das ist kein Druckfehler,
keine Zeitungsente im Sommerloch. Das ist die Bestaetigung, dasz
in einer reifen Demokratie die WaehlerInnen oft weiter und
verantwortungsbewuszter sind als die Regierenden.
[...] Vor der Sommerpause hatte die republikanische Mehrheit des
Kongresses den Budgetentwurf fuer das kommende Haushaltsjahr, der
bis 31. Oktober beschlossen sein musz, mit Blick auf die
kommenden
Praesidenten- und Kongreszwahlen 2000 vorgelegt. Und da seit 20
Jahren die Gesetze der Meinungsforschung besagen, dasz die Wahlen
gewinnt, wer weniger Steuern verspricht, glaubten die
Republikaner, ihre Wahlkampfhausaufgaben gemacht zu haben.
Angesichts einer Haushaltsvorschau, die fuer das Jahrzehnt 2000 -
2009 einen sagenhaften Budgetueberschusz von insgesamt 3
Trillionen $ prognostiziert, wollten die Abgeordneten und
Senatoren fast ein Drittel dieses "Profits" eben 792
Mrd. $, den
SteuerzahlerInnen zurueckgeben, natuerlich in Erwartung
angemessener Dankbarkeit und also von Stimmen.
Ueberraschung, Ueberraschung. In einer Meinungsumfrage nach der
anderen sagten die BuergerInnen mit groszer Mehrheit, von den
Farmern Oklahomas bis zu den kosmopolitischen Metropolen der Ost-
und Westkueste, von den SeniorInnen in den Seniorenresidenzen bis
zu den Bankern der Wallstreet uebereinstimmend: Nein danke. Diese
792 Milliarden sind ein geschenkter Gaul, dem die AmerikanerInnen
genau ins Maul geschaut haben, und der ihnen nicht gefallen hat.
"Sicher", meinten die Befragten, "jeder zahlt gern
weniger Steuern
und hat mehr in der Tasche, aber es gibt wichtigere und
dringendere Probleme, die wir fuer die Zukunft mit diesem Geld
loesen koennen." Das oeffentliche Bildungswesen musz
gefestigt und
verbessert werden, die Social Security, die die oeffentlichen
Pensionen bezahlt, droht in 10 Jahren ohne Geld dazustehen, und
damit waeren die Mindestpensionen jener Generation bedroht, die
heute 50 Jahre alt ist. Es sind 6 Trillionen $ Schatzamtsanleihen
(also nationale und internationale Verschuldung) im Umlauf - und
diese Staatsschuld waechst wegen der Verzinsung weiter an. Die
Hilfsprogramme fuer die Alten und Kranken, "Medicaid"
und
"Medicare", sind in immer aergeren finanziellen
Schwierigkeiten.
Ueberdies herrscht rechts wie links die Meinung vor, dasz
mittlerweile genug kranke Aeste vom alten Baum des
Wohlfahrtsstaates abgeschnitten worden sind, und dasz die grosze
Gieszkanne fuer die Wirtschaft in den 80er- und 90er-Jahren die
erwuenschte Wirkung gehabt hat: Die Anzahl der
SozialhilfebezieherInnen hat sich in den 90-er Jahren von 8 auf 4
Millionen reduziert, und die Arbeitslosigkeit ist auf dem
tiefsten
Stand der Nachkriegszeit. Clinton hat mit seinem feinen
politischen Gespuer schon sein Veto gegen das Budget 2000
angekuendigt, das er, in voelliger Uebereinstimmung mit der
oeffentlichen Meinung, als "schlicht unverantwortlich"
abqualifiziert hat.
Natuerlich tun sich SteuerzahlerInnen wie in den USA, die nach
allen Absetzposten nur 15 % ihres Einkommens an die
Bundesregierung abliefern muessen, leicht damit, vorsorglich und
groszzuegig zu sein. Dieses Amerika, das immer noch alle
Prognosen
Luegen straft, und das trotz aller kalter Zinsduschen von
Greenspans Zentralbank weiter boomt, kann leicht auch ein Auge
haben auf die Zukunft der Jungen, auf die Schule, auf die Alten,
und die kurzsichtige Versuchung der republikanischen Demagogie
zurueckweisen. Die mittlere Wartezeit eines Jungakademikers auf
einen Job betraegt 4 Wochen; da kann man leicht auf die Zukunft
warten und die Gegenwart Gegenwart sein lassen Die ueberraschende
Ablehnung des Steuergeschenks bedeutet auch nicht, dasz die
AmerikanerInnen sich zu den Sozialstaatstraeumen der deutschen
oder skandinavischen Sozialdemokratie bekehrt haetten. Die
AmerikanerInnen sagen sich einfach, dasz der Wohlfahrtsstaat
nicht
voellig demoliert werden darf. [...]
Die WaehlerInnenschaft hat die Wirklichkeit mit jenem Maszstab
gemessen, den die PolitikerInnen meist ignorieren: mit dem
Maszstab der Alltagserfahrung. Sie hat damit verstanden, dasz
2000
$ mehr im Jahr in der Brieftasche (darauf liefe das
Steuergeschenk
hinaus) dann ein schlechtes Geschaeft sind, wenn gleichzeitig das
Gebaeude der sozialen Sicherheit oder des oeffentlichen
Bildungswesens abbroeckelt. Sie hat damit die demagogische
Verantwortungslosigkeit der Parteien zurueckgewiesen. Die
fiskalische Konterrevolution ist die Konterrevolution des
gesunden
Menschenverstandes, der zum politischen Phaenomen wird: Vor 25
Jahren hatten die BuergerInnen genug von der fiskalischen
Unverantwortlichkeit einer "linken" politischen Klasse,
die die
Steuerschraube anzog, um das Budgetdefizit zu finanzieren und an
der Macht zu bleiben, und damit die Wirtschaft abwuergte. Jetzt
sagen sie in die andere Richtung "Genug!", und fallen
damit jenen
in den Arm, die die soziale Zukunft fuer 30 Silberlinge und eine
Waehlerstimme zerstoeren wollen. Dieses Steuergeschenk haette den
Mund waessrig machen koennen, aber der Apfel war ideologisch
vergiftet, und das hat den Leuten nicht geschmeckt. [...]
*Vittorio Zucconi, La Repubblica 8.9.99*
*Quelle: GA Innsbruck*
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