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Aussendezeitpunkt: Di, 22.06.99, 15:49 *
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USA/Menschenrechte:
 
> Keine brennenden Flaggen mehr?
 
Der Mythos von der Redefreiheit wird in den USA heftig angekratzt
 
*
 
In Oesterreich ist es verboten, die oesterreichische Flagge
(Paragraph 248 StGB) zu verbrennen oder in anderer Weise
herabzuwuerdigen. Das ist kein Ausdruck des Nationalstolzes --
schlieszlich darf man auslaendische Hoheitszeichen auch nicht
anheizen (Paragraph 317 StGB) --, sondern Kennzeichen eines
Staates, der nur selten mit starken Demokratiebewegungen
konfrontiert war und dessen Gesetzgeber nie wirklich aus dem
Schatten Kakaniens herausgetreten sind.
 
Die US-amerikanische Verfassungsgeschichte ist sehr anders. Und so
ist auch der Rechtsbestand anders: Wer "stars und stripes" in
aller Oeffentlichkeit bis zum Flammpunkt erwaermt, kann zwar in
der Realitaet von der Polizei verpruegelt werden, er darf fuer
diese Vaterlandslosigkeit aber nicht vor Gericht gezerrt werden.
Dies soll jetzt anders werden. Nach zwei gescheiterten Anlaeufen
1995 und 1997 versuchen US-amerikanische Abgeordnete nun zum
dritten Mal, das "Flag Desecration Amendment" zu einem Teil der
Verfassung zu machen. Uebermorgen, Donnerstag, entscheidet das US-
Repraesentantenhaus darueber, ob das Verbrennen der Flagge auch
weiterhin erlaubt sein soll oder ob ein neuer Zusatzartikel der
Verfassung es den amerikanischen Bundesstaaten erlauben soll,
derartige "Entweihungen" unter Strafe zu stellen. Dieser
Zusatzartikel wuerde nach einem Beschlusz der beiden Haeuser der
US-Legislative und einer Ratifikation von 38 Bundesstaaten
Rechtskraft erhalten. Buergerrechtsgruppen befuerchten aber, dasz
die politische Stimmung heute durchaus soweit ist, dasz diese
verfassungsrechtlichen Anforderungen bald gegeben sein werden, und
damit die politische Heizperiode beendet waere.
 
 
 
Die Bedeutung dieser zu befuerchtenden Bestimmung ist sehr viel
groeszer, als man als Europaeer auf den ersten Blick zu vermeinen
glaubt. Sicher, dasz die USA nicht das Bollwerk ernstgemeinter
Demokratie sind, ist wirklich nichts Neues. Es gibt aber auch
einen Rechtsbestand in den Staaten, der sowohl Teil des
Nationalmythos als auch tatsaechlich von groszer Bedeutung fuer
die Fortentwicklung plebiszitaerer Partizipationsrechte ist.
Besonders interessant ist dabei das "First Amendment" der
Verfassung, das den US-Buergern das Recht auf freie
Meinungsaeuszerung gewaehrt.
 
In einem Land, in dem das Mehrheitswahlrecht Minderheiten im
oeffentlichen Vorbringen ihrer Anliegen sehr behindert, war dieser
"Erste Zusatzartikel" von grundlegender Bedeutung. Und darauf
konnte auch die amerikanische Buergerrechtsbewegung pochen, wenn
die Behoerden versuchten, ihre Aktivitaeten zu unterbinden -- was
letztendlich wohl einen hoeheren Blutzoll bei den
Rassenauseinandersetzungen zu vermeiden half.
 
Fuer den durchschnittlichen US-Buerger ist die Amerikanische
Verfassung inclusive ihrer fruehen Zusatzartikel (die bereits im
Jahre 1791 als "Bill of Rights" beschlossen worden waren) etwas,
auf das er stolz ist. In weiten Kreisen der veroeffentlichten
Meinung gilt die Verteidigung des First Amendment als
patriotisches Anliegen.
 
Unter den Bedingungen des rabiaten Kapitalismus ist das Recht auf
freie Rede praktisch zwar sowieso sehr eingeschraenkt -- denn was
nutzt einem die Redefreiheit, wenn die Rede nicht verbreitet

werden kann. Gerade deswegen konnte sich das First Amendment
solange in seiner Eindeutigkeit halten. Dennoch hat es den
amerikanischen Rechten immer schon zu schaffen gemacht. Selbst die
in den USA so beliebte Kommunistenhatz tat sich schwer damit --
nicht umsonst beschaeftigte sich der beruechtigte McCarthy-
Ausschusz mit "unamerikanischen Umtrieben". Dies war eine
notwendige Sprachregelung, Andersdenkende aus dem Nationalkonsens
hinauszudraengen, um auf diesem Wege den Entzug der Redefreiheit
zu rechtfertigen.
 
Symbol fuer die Ernsthaftigkeit dieses Zusatzartikels ist aber zu
allererst einmal, dasz auch die groeszten Heiligtuemer nicht vor
Herabwuerdigung sicher sein koennen -- das Bundeshoechstgericht
hatte bereits zweimal entschieden, dasz das Recht auf das
oeffentliche Verbrennen des Sternenbanners durch die Verfassung
geschuetzt ist. Wenn dieses Recht per Verfassungszusatz aufgehoben
wird, ist zu befuerchten, dasz in Zukunft dem Verfassungsartikel
des "Freedom of Speech" ein aehnliches Schicksal beschieden ist
wie hierzulande dem aehnlich mythologisierten Neutralitaetsgesetz
-- eine huebsches Gesetzerl, auf das man stolz sein kann, das aber
keine inhaltliche Bedeutung mehr hat. *Bernhard Redl*
 
Naehere Infos auf der Internetsite von American Civil Liberties
Union: http://www.aclu.org/congress/flag1999.html
 
***
 
Kasten:
 
> Tricolore schmaehbar
 
In Italien wurde letzte Woche im Rahmen einer groeszeren
Strafrechtsreform das Verbot der Schmaehung der Nationalflagge
aufgehoben, berichtete die Wiener Zeitung am 18.Juni.
 
 
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