akin / aktuelle informationenPressedienst akin vom 04-03-1999
 
 



akin-Pressedienst.Elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten seinn. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.



Kosovo-NATO:

> Losungen der Herrschenden nachgeplappert

"Zuschauen oder die NATO", unter diesem Titel beschaeftigt sich
Fritz Pletzl in akin 7/99 und akin-pd vom 23.2.99 mit dem Krieg
im Kosovo, bzw. Sicherheitspolitik im Allgemeinen.

*

Dazu folgende Anmerkungen:
1. Widerlich ist Pletzls Spiels mit Alternativfragen. "Zuschauen
oder die NATO?" hat als Frage die gleiche Qualitaet wie die Frage
"Geld oder Leben". Eine solche Fragestellung ist manipulativ. Wer
die Fragestellung akzeptiert, hat dem Fragesteller schon recht
gegeben. Andere - politische und zivile - Wege der Loesung
bewaffneter Konflikte werden dadurch bewuszt unterdrueckt.

2. Pletzl mokiert sich ueber das Einstimmigkeitsprinzip im UN-
Sicherheitsrat, dasz "zu einer Blockade der Einscheidungsfindung
... zur militaerischen Intervention" geradezu auffordert. Jetzt
musz ich eine manipulative Gegenfrage stellen: Ist sich Pletzl
bewuszt, was eine einseitige Aufkuendigung des
Einstimmigkeitsprinzips in Folge bedeutet, oder meldet er sich
einfach zu Wort, ohne wirklich ueberlegt zu haben? Die Antwort
vorweg: In beiden Faellen ist die Wortmeldung ueberfluessig! Im
ersteren Fall, weil die systematische Sabotierung der UNO und
anderer internationaler Einrichtungen durch die militaerisch und
wirtschaftlich maechtigen Staaten dieser Erde von der herrschenden
Politik viel professioneller und stimmiger vorgetragen wird. Im
zweiten Fall sowieso. Viel wichtiger waere es, die Debatte um eine
Reform der UNO voranzutreiben:

* Aufwertung der UN-Vollversammlung

* Bindung des Sicherheitsrates an Beschluesse der Vollversammlung.

* Aenderung der Struktur des Sicherheitsrates, Aufhebung der
staendigen Mitgliedschaft der Atommaechte.

3. "Es geht ... um sofortiges Eingreifen, wenn Doerfer bombardiert
werden, die Leute sich gegenseitig massakrieren und bis an die
Zaehne bewaffnen...", usw. usw.. "Mir ist der Hinweis auch egal,
dasz ueberall anders ...supranational nichts passiert." Hinweis
hin, Hinweis her, egal, Eingreifen, das ist die Losung. Es ist gut
und richtig, dasz die Friedensbewegung immer ein Ende von
Geheimdiplomatie und militaerischem Expertentum einfordert. Eine
demokratische Sicherheitspolitik erfordert Transparenz und
Teilhabe aller Menschen. Es ist jedoch kein Ausdruck von Teilhabe
an Entscheidungsprozessen, wenn gerade immer die vertrotteltsten
Losungen der Herrschenden aufgegriffen und nachgeplappert werden.
Das tragische an der laufenden sicherheitspolitischen Debatte ist,
dasz mit diesem Ruf nach raschem, direkten militaerischen
Eingreifen die bescheidenen Ansaetze zur Verrechtlichung und
Demokratisierung der internationalen Beziehungen zerschlagen
werden. Jedem vernuenftigen Menschen ist klar, dasz militaerische
Intervention in allen Krisenherden, oder bei allen eklatanten
Menschenrechtsverletzungen gar nicht moeglich ist. Wer dies
fordert leistet de facto auch keinen Beitrag zu deren Beendigung.
Im Gegenteil.                  *Boris Lechthaler, Die Gruenen OOe*

____________

> Friede, Wonne, Eierkuchen  -- also doch Zuschauen!

Zum obigen Text

*

Boris Lechthalers Bemuehungen, meinen Text ueber den Kosovo und
die Interventionsandrohungen der NATO sorgfaeltig zu analysieren,
sind zwar aufgrund ihrer ehrlich scheinenden Emotionalitaet
positiv einzuzuschaetzen, sind aber bei praktischer Anwendung
nichts als  theoretisierendes und schon zur Dogmatik erhobenes
Zuschauen. Auf die einzelnen Punkte der etwas pointiert
formulierten Kritik Lechthalers einzugehen, wuerde eigentlich das
Verwenden seiner Methode erfordern: Zitat und adaequat
erscheinender Untergriff. Aus Zeit- und Nuetzlichkeitsgruenden
erfolgen daher hier nur kurze Antworten:

1. "Zuschauen oder die NATO" ist kein widerliches Spiel mit
Alternativfragen, sondern durchaus ernst gemeint, da sich in der
derzeitigen Situation keine andere Alternative anbietet.

2. Mein "Mokieren" ueber das Einstimmigkeitsprinzip des
Sicherheitsrates ist weder ein Nichtbewusztsein ueber die Folgen
der Aufkuendigung desselben noch eine Wortmeldung, ohne es
wirklich ueberlegt zu haben. Es ist schlicht die Faktenlage, die
schlieszlich zu Umgehungen des Voelkerrechts fuehrt. Die Antwort
fuer zukuenftige Alternativen gibt Lechthaler mit seinen
Praeferenzen fuer Aenderungen der Entscheidungsstrukturen in der
UNO selbst.

3. Dem gewuenschten Ende von Geheimdiplomatie und militaerischem
Expertentum sowie dem Beginn einer demokratischen
Sicherheitspolitik, die Transparenz und Teilhabe aller Menschen
erfordere, ist natuerlich  zuzustimmen -- was sonst? Ebenso dem
sofortigen Ende von Elend auf dieser Welt und dem Beginn von
Glueck und Wohlstand fuer alle -- Freibier fuer alle natuerlich
inklusive..

4. "Die vertrotteltsten Losungen der Herrschenden" aufgreifen und
"nachplappern" klingt lustig und erscheint in dieser Diktion nicht
besonders diskussionswuerdig. Wenn wir es aber schon zu Wertungen
dieser Art kommen lassen, erscheint es mir weniger vertrottelt,
Menschenleben auch unter Einsatz militaerischer Mittel zu
schuetzen als angesichts zunehmender Todesopfer im realen
Kriegszustand unter allen Umstaenden den Friedensbewegten
raushaengen zu lassen -- so nach dem Motto: Seid doch lieb
zueinander!

Noch einmal -- einfach und klar zum Mitdenken sogar fuer
Dogmatiker -- egal welcher Richtung: Es ging in meinem Artikel
nicht um eine grundlegende Diskussion, zu welchen Mitteln in
bevorstehenden Krisenfaellen gegriffen werden sollte und welche
Sicherheitsinstrumente welchen Seiten zur Verfuegung stehen
mueszten, um ein Eskalieren von Krisen schon praeventiv vermeiden
zu koennen. Vielleicht koennten auch bei pazifistischster
Denkweise ein paar nicht so unwichtige reale Ereignisse zur
Kenntnis genommen werden: im Kosovo sind die Konflikte schon
laengst eskaliert, und es werden wirklich Menschen umgebracht,
Doerfer zerbombt, die Einwohner vertrieben. Und dasselbe geschah
in Bosnien bis zur internationalen Truppenstationierung. *Fritz Pletzl*



Moderne Zeiten:

> Die spammen, die Europaeer

Wider die digitale Werbeflut

*

Besitzer einer eMail-Adresse kennen das Problem: Taeglich landet
unerwuenschte Werbung auf ihrem Computer. Die Klagen ueber die
staendige Zunahme von unerwuenschter Massenwerbung per eMail
("SPAM") haeufen sich. Unuebersichtlich werdende Mailordner sind
noch das geringste Problem, schlimmer sind die Verstopfungen auf
der Datenautobahn und die steigenden Verbindungskosten auf  Seiten
der Empfaenger. Technische Masznahmen wie automatische Filter, die
einige Online-Dienste schon einsetzen, koennen die Reklameflut
allenfalls mildern, aber nicht stoppen. Die geplante EU-
Haftungsrichtlinie koennte durch eine klare Gesetzgebung der SPAM-
Plage ein Ende setzen. Doch waehrend die Wirtschaftsverbaende
bereits Gehoer fanden, vertritt bislang noch niemand die
Interessen der Anwender. Eine Computerzeitschrift und eine
digitales Politikmagazin rufen deshalb dazu auf, ueber das
Internet aktiv an der politischen Entscheidungsfindung mitzuwirken
und avisieren eine online-Unterschriftenliste gegen die Freiheit
zu spammen:
http://www.politik-digital.de.

Die Zeit ist guenstig, denn der Rechts- und Wirtschaftsausschusz
des Europaparlaments arbeitet derzeit an der sogenannten
Haftungsrichtlinie, die unter anderem auch die Zulaessigkeit von
SPAM regeln wird -- und zwar europaweit. Nach den Plaenen der EU-
Kommission soll die Richtlinie nicht vor 2000 umgesetzt werden.

Nach dem aktuellen Stand sieht die Regelung nur vor, dasz
"kommerzielle Kommunikation per elektronischer Post klar als
solche zu erkennen" und der Werbetreibende "klar identifizierbar"
ist, damit der Verbaucher "umstandslos" reagieren und die weitere
Zustellung untersagen kann. Die Kosten fuer den Empfang
beziehungsweise das Ausfiltern unerwuenschter eMails sollen jedoch
weiterhin die Internet-Anwender tragen. Diese Kompromiszformel ist
ein Erfolg der Werbe-Lobbyisten.           *politik-digital/akin*
 

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> Im Mastenwald

Folgenden Text von *ao. Univ. Prof. Dr. Michael KUNDI*, Leiter der Abteilung
fuer Arbeits- und Sozialhygiene am Institut fuer Umwelthygiene, Medizinische
Fakultaet der Universitaet Wien, entnahmen wir dem Computernetzwerk
Comlink. Zur Verfuegung hatten die Stellungsnahme die Innsbrucker Gruenen
gestellt. Es ist eine wissenschaftliche Kritik an der grassierenden
Manie des Pflanzens von Sendemasten fuer Mobiltelefone. Wir drucken
ihn als Arbeitsmaterial unveraendert nach, weil Euch der Inhalt vielleicht
auch interessieren koennte -- wiewohl er auch etwas naturwissenschaftlich
sperrig ist:

*

*Mögliche gesundheitliche Auswirkungen von GSM-Sendern*

Durch den mehrfach flächendeckenden Ausbau des Mobilfunknetzes
mit mehreren Tausend über ganz Österreich verteilten
Basisstationen ist ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung in
unmittelbarer Nachbarschaft mit Antennenanlagen konfrontiert.
Viele sind besorgt, durch diese Anlagen Nachteile für ihre
Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu erleiden.

Auch viele der inzwischen über 2 Millionen Handy-Benutzer, die
teilweise aus beruflichen oder anderen zwingenden Gründen ein
Handy benötigen, klagen über Beschwerden oder befürchten, daß
ihre Gesundheit beeinträchtigt wird.

Auf der anderen Seite stehen die Netzbetreiber, die dem Staat viel
Geld für die Lizenz bezahlt haben und zum Ausbau des Netzes
vom Staat verpflichtet wurden. Es werden von den Netzbetreibern
selbstverständlich die zahlreichen Bestimmungen der Bundes-
und Landesgesetze und Verordnungen eingehalten und sie
haben auch bislang volle Rückendeckung von Seiten der beteiligten
Bundesministerien.

Aber garantiert die Einhaltung dieser Vorschriften in
ausreichendem Maße, daß die betroffene Bevölkerung
keine gesundheitlichen Nachteile in Kauf nehmen
muß?

Diese zentrale Frage soll anhand der wichtigsten Argumente der
Netzbetreiber erörtert werden.

Wenn man von den ganz dummen Argumenten (z.B. eine Glühbirne
hat 100 W ein Handy höchstens 2 W) absieht, dann kann man die
zentralen Aussagen der Netzbetreiber und ihres Dachverbandes in
die unten folgenden drei Statements zusammenfassen.
 
 

Ich werde versuchen, glaubhaft zu machen, daß alle diese
Aussagen falsch sind.

Aussage 1 der Netzbetreiber:

Elektromagnetische Felder, wie sie Basisstationen aussenden, sind
nichts Neues. Wir sind seit Jahrzehnten ganz ähnlichen Feldern aus
Fernsehsendeanlagen ausgesetzt und haben noch keinen Schaden
genommen.

In dieser Aussage stecken zwei Argumente: Argument 1:
Basisstationen senden ähnlich wie Fernsehsender und Argument 2:
Felder von Fernsehsendern sind unschädlich. Beide Argumente
sind in ihrem wesentlichen Inhalt falsch.

Richtig ist, daß das UHF-Band des Fernsehens (bis 860 MHz) nahe
an die Mobilfunkfrequenzen heranreicht (GSM900: 935 bis 960 MHz,
DCS1800: 1805 bis 1880 MHz). Aber das ist auch schon die einzige
Ähnlichkeit. Mobilfunk-Basisstationen funktionieren nach einem
Zeitschlitzverfahren. An jeder Basisstation sind mindestens zwei
Kanäle aktiv. Ein Kanal, der Organisationskanal, sendet in allen
Zeitschlitzen, der oder die anderen in jeweils so vielen Zeitschlitzen
von 577 µs Dauer, wie Gespräche abgewickelt werden. Alle 4.6 ms
(d.h. 217-mal pro Sekunde) wird pro Gespräch ein Hochfrequenzpuls
von 577 µs Dauer ausgesendet. Deshalb spricht man von
Pulsmodulation. Je nach Anzahl gleichzeitig übertragener
Gespräche liegt diese Pulsrate zwischen 217 Hz und 1736 Hz. Das
Fernsehsignal wird völlig anders übertragen. Es wird aufgeteilt in
Bild- und Tonsignal auf die beiden Hochfrequenzträger aufmoduliert.
Dabei wird das Tonsignal frequenzmoduliert und das Bildsignal
(negativ) amplitudenmoduliert. Zusätzlich wird ein Synchronpuls von
4,7 µs Dauer mit 15625 Hz Wiederholfrequenz übertragen.
Dementsprechend unterscheiden sich auch die Spektren eines
Fernsehsenders und einer Basisstation ganz erheblich. Biologisch
gesehen gibt es entscheidende Unterschiede zwischen einer
Basisstation und einer Fernsehsendeantenne: Die wesentlich
höhere Pulswiederholfrequenz und 100-fach kürzere Pulsdauer
sowie die Einbettung in das ,Rauschen` des Bildsignals ist nach
allem, was wir heute wissen, biologisch weniger wirksam als die
pulsmodulierten Signale einer Basisstation.

Dennoch, und damit sind wir bei Argument 2, gibt es Hinweise aus
mehreren epidemiologischen Untersuchungen, die in den letzten
5 Jahren veröffentlicht wurden, daß es im Umkreis von
Fernsehsendeantennen zu einer erhöhten Rate von
gesundheitlichen Störungen kommt. Sollten sich diese Befunde
erhärten, dann fällt sie gesamte Argumentation in sich zusammen.
Ich bin allerdings der Ansicht, daß man wegen der Unterschiede der
beiden Technologien aus eventuell nachweisbaren Schadwirkungen
von Fernsehsendeantennen nicht auf die von Basisstationen
schließen kann.

Aussage 2 der Netzbetreiber:

Hochfrequente elektromagnetische Felder wurden gründlich
untersucht und es wurde bisher noch kein Hinweis gefunden, daß sie
gesundheitsschädlich sind.

Es gibt tatsächlich hunderte wenn nicht tausende wissenschaftliche
Untersuchungen zu hochfrequenten elektromagnetischen Feldern.
Dennoch kann man nicht sagen, daß sie gründlich untersucht
worden sind.

Das liegt an der ungeheuren Komplexität der
Expositionsbedingungen, die in der gesamten Toxikologie
ihresgleichen nicht findet. Man muß nicht nur die verschiedenen
Frequenzen unterscheiden, sondern auch die Intensitätsbereiche,
die verschiedenen Modulationsverfahren und deren Parameter, die
Polarisation, Fern- oder Nahfeldbedingungen, Kurz- oder
Langzeitexposition, intermittierende oder Dauerexposition und auch
die Tageszeit der Exposition (weil die Empfindlichkeit der
Organismen von der Tageszeit abhängen kann).

Wenn wir die GSM-Technik betrachten, dann schrumpft die Vielzahl
der Untersuchungen auf ganz wenige zusammen und für den
DCS1800 Bereich gibt es praktisch überhaupt keine
Untersuchungen der biologischen und gesundheitlichen
Auswirkungen. Aber selbst die wenigen Untersuchungen, die heute
vorliegen, liefern schon hinreichend viele Hinweise, daß Felder,
wie sie von Mobilfunkeinrichtungen ausgehen,
gesundheitsschädlich sind. Ist es kein Hinweis auf
Gesundheitsschädlichkeit, wenn in einem Versuch Mäuse 1 1/2
Jahre lang täglich eine Stunde einem gepulsten 900 MHz Feld
ausgesetzt werden, und diese Mäuse dann mehr als doppelt so viele
Lymphome entwickeln wie nicht exponierte Kontrolltiere? Ist es kein
Hinweis auf Gesundheitsschädlichkeit, wenn menschliche Blutzellen
nach einer halben Stunde Exposition in der Nähe einer Basisstation
um vieles empfindlicher auf eine giftige Substanz reagieren als nicht
exponierte Kontrollproben? Die Liste solcher Befunde läßt sich noch
weiter fortsetzen.

Es gibt aber nicht nur Hinweise auf Gesundheitsstörungen, sondern
auch solche auf funktionelle Störungen und Änderungen der
Homöostase. Es wurden Veränderungen des Wach- und Schlaf-
EEG (Hirnstromkurven) und Blutdruckanstiege bei so niedrigen
Expositionen gefunden, daß wir heute noch keine klare Vorstellung
haben, durch welche Mechanismen diese Veränderungen
hervorgerufen werden. Weiters zeigen Tierversuche, daß die
Exposition mit Hochfrequenzfeldern psychologische
Auswirkungen wie z.B. Gedächtnisstörungen hat.
Zusammenfassend kann man sagen, daß gerade die
Mobilfunktechnologie hinsichtlich ihrer biologischen und
gesundheitlichen Auswirkungen keineswegs gründlich untersucht
wurde, daß aber die wenigen Befunde, die bislang vorliegen,
durchaus bedenkliche Hinweise geben.

Aussage 3 der Netzbetreiber:

Die in Österreich angewendeten Grenzwerte der ÖNORM S1120
(Vornorm) und die von der ICNIRP (WHO) empfohlenen Grenzwerte
sind Vorsorgewerte und bieten einen ausreichenden Schutz vor
Schadwirkungen.

Wegen der oben erwähnten ungeheuren Vielfalt von
elektromagnetischen Feldern, denen wir ausgesetzt sein können,
muß man sich bei der Grenzwertfestlegung notwendigerweise auf
allgemeine Prinzipien stützen, weil es unmöglich ist, jede denkbare
Kombination von Feldbedingungen einzeln zu untersuchen.

Praktisch alle derzeit angewandten Grenzwerte stützen sich auf die
folgenden fünf Grundsätze: das Prinzip thermischer Effekte, das
Kurzeit-Expositions-Prinzip, das Prinzip der kontinuierlichen Welle,
das Zeit-Dosis-Reziprozitätsprinzip und das Additivitätsprinzip. Man
kann noch ein weiteres Prinzip hinzufügen, nämlich das Prinzip der
Effektschwellen, dieses ist aber implizit in den fünf genannten bereits
enthalten.

Legen wir den heutigen Kenntnisstand zugrunde, kann man sagen,
daß diese Prinzipien alle entweder erwiesenermaßen falsch sind
oder eine so dünne Basis haben, daß man keine Aussage über
ihre Gültigkeit machen kann. Wichtiger noch als die Tatsache, daß
das wissenschaftliche Fundament der Grenzwerte brüchig ist, ist die
Tatsache, daß das Vorsorgeprinzip darin in keiner Weise
verankert ist. Die einzige Stoßrichtung der Grenzwerte (auch die
der ICNIRP) ist die Verhinderung einer gesundheitsschädlichen
Temperaturerhöhung durch kurzzeitige Bestrahlung mit
hochfrequenten elektromagnetischen Feldern. Eine Einbeziehung
des Vorsorgegedankens würde nicht nach dem fragen, was als
gesichertes Wissen gelten kann, sondern nach sorgfältig erhobenen
Befunden, die nicht auf gesicherten Mechanismen beruhen. Es
würde notwendig sein, nach den niedrigsten Dosen zu suchen,
die noch unerwünschte Effekte hervorrufen. Es würde notwendig
sein, danach zu fragen, was bei jahrelanger Exposition an Effekten
auftreten könnte. Das alles ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Viele
Hinweise wurden entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder
als noch nicht ausreichend gesichert aus den
Grenzwertüberlegungen ausgeschlossen. Also das gerade
Gegenteil einer vorsorgeorientierten Vorgangsweise!

Man kann zusammenfassen:

Es gibt nur wenige Untersuchungen zu biologischen und
gesundheitlichen Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern,
wie sie im Mobilfunk eingesetzt werden.

Wegen der großen Bedeutung für die Volksgesundheit ist die
Forschung raschest voranzutreiben.

Die derzeit angewandten Grenzwerte beruhen nicht auf dem Prinzip
der Vorsorge. Eine verantwortungsvolle Analyse der vorliegenden
Fakten ergibt die Notwendigkeit zu einer deutlichen Reduktion der
Grenzwerte - auch auf die Gefahr hin, daß sich später herausstellen
sollte, daß man zu vorsichtig war.

Zur Rechtssicherheit für alle Beteiligten ist (möglichst überregional)
eine gesetzliche Regelung der maximal zulässigen Immissionen
anzustreben. Die Grenzwerte müssen - nach dem derzeitigen
Wissenstand - das Modulationsverfahren berücksichtigen.

Die Netzbetreiber müssen verpflichtet werden, den Behörden die
Standorte und technischen Details aller Antennenanlagen bekannt
zu geben, einerseits um der Behörde die Möglichkeit einer
Bedarfsprüfung und andererseits um der Bevölkerung Einblick in die
Quellen von HF Feldern zu geben.

Die Handyhersteller müssen im Sinne des Konsumentenschutzes
und der Informationspflicht dazu verhalten werden, Angaben über
die Belastung des Benutzers mit elektromagnetischen Feldern zu
machen.
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Deckname Intel P III

Der eben vom Marktleader Intel vorgestellte Computerchip Pentium
III ist schon vor seiner Praesentation schwer kritisiert worden.
Denn jeder dieser PC-Kernstuecke ist durch eine spezielle
Seriennummer gekennzeichnet. Dadurch soll es ermoeglicht werden,
einen Computer eindeutig am Netz zu identifizieren, was den
elektronischen Handel vereinfachen wuerde.

Nur: Dadurch wird ein Computer ganz allgemein identifizierbar. Das
bringt Datenschuetzer auf die Palme. Intel hat zwar aufgrund der
Proteste beteuert, die Computer so zu bauen, dasz die
Auslesbarkeit der Nummer durch andere Netzteilnehmer vom Willen
der PIII-Computerbesitzer abhaengt. Doch die Netzwerkfreaks
bezweifeln das und vermuten Moeglichkeiten, die
Identifizierbarkeit auch von fremden Rechnern via Datenleitung
einschalten zu koennen.                            *akin*

Naeheres dazu gibt es nachzulesen im Internet unter:

http://www.junkbusters.com/intel.html

http://www.bigbrotherinside.com

http://www.privacyinternational.org



NS-Aufarbeitung:

> Gross als Angeklagter?

Vielleicht gibt es jetzt doch noch ein strafrechtliches Verfahren
gegen den Psychiater Heinrich Gross betreffend seine Beteiligung
am NS-Kindereuthanasieprogramm. Justizminister Michalek teilte
kuerzlich auf Anfrage der Gruenen mit, "dasz die zustaendige
Untersuchungsrichterin am 18.Dezember 1998 die Voruntersuchung
gegen Dr. Heinrich Gross geschlossen und der Staatsanwaltschaft
Wien den Gerichtsakt (bestehend aus 5 Baenden und umfangreichen
Beiakten) uebermittelt hat, wo er am 21.Dezember einlangte. Das
von der Untersuchungsrichterin in Auftrag gegebene 'historische
Sachverstaendigengutachten' liegt seit 28.Jaenner vor. Der
zustaendige Sachbearbeiter hat mitgeteilt, dasz mit der Vorlage
des Vorhabensberichtes bis ca. Ende Februar 1999 zu rechnen ist."

Aus dieser und einer frueheren Anfragebeantwortung geht allerdings
auch hervor, dasz auch 1998 Gross vor Gericht gestanden ist -- als
psychiatrischer Gutachter. Kurz darauf erklaerte sich der greise
Arzt in einem Interview im profil selbst fuer vernehmungsunfaehig.
Was die Gruenen zu einer etwas aetzenden Formulierung in ihrer
Anfrage brachte: "Halten Sie es fuer denkbar, dasz eine
Sachverstaendigentaetigkeit von Dr. Gross faktisch nahtlos in den
Zustand der Vernehmungsunfaehigkeit uebergeht?" Michalek dazu in
seiner Beantwortung: "Ueber den Gesundheitszustand von Dr.
Heinrich Gross liegen mir keine Informationen vor."     *akin*



Folgende Debatte wurde in der Papierausgabe bislang in akin 7 und 8/99
geführt

*

Kurden:

> Vergeszt Oecalan!

"Wer die Macht hat, hat das Recht!" lautet eine Demoparole. Die es
skandierten, verwendeten den Spruch zumeist im Sinne einer Anklage,
mit einem empoerten Gestus. Tatsaechlich ist es aber nur eine
nuechterne Feststellung eines politischen Grundprinzips und nichts
weiter. So etwas wie ein Naturrecht gibt es nicht, es gilt lediglich
menschlich normierte "Gerechtigkeit".

Im Falle Abdullah Oecalans gilt das tuerkische Gesetz. Es ist daher
witzlos, bei Oecalan einen "fairen Prozesz" zu fordern. Die Tatsache,
dasz er eine separatistische Guerrilla-Armee anfuehrt und damit
zumindest mittelbar fuer die Toetung von Menschen verantwortlich ist,
ist bekannt. Das tuerkische Recht, das dafuer die Todesstrafe
vorsieht, ist ebenfalls bekannt und eindeutig.

Man koennte auch fordern, Oecalan als Kriegsgefangenen nach Genfer
Konvention anzusehen. Dann allerdings mueszte die Tuerkei Kurdistan
als Voelkerrechtssubjekt ansehen -- also vollkommen illusorisch!
Selbst der Status Oecalans als Gefangener eines Buergerkrieges wuerde
bedeuten, die tuerkische Regierung mueszte eingestehen, dasz es sich
um einen Konflikt zweier nationaler Interessenssphaeren handelt und
damit die Festnahme oder Entfuehrung des Kurdenfuehrers kein
polizeilicher, sondern ein politisch-militaerischer Akt war.

Von innen bekommt die tuerkische classe politique von Seiten der
Militaers und einer von ihr selbst so erzogenen nationaltuerkischen
Masse den Druck, Oecalan hinzurichten. Sie selbst hat das Interesse,
die Causa Oecalan moeglichst schnell zu erledigen -- und zwar
endgueltig. Den toten Maertyrer koennte man relativ schnell vergessen
machen. Eine Symbolfigur im Kerker koennte viel gefaehrlicher sein,
man erinnere sich an Nelson Mandela. Besonders in Anbetracht der
Tatsache, dasz dieser Konflikt kaum bald einer wirklichen Loesung
zuzufuehren ist, sondern wahrscheinlich noch Jahrzehnte andauern wird.

Tag fuer Tag sterben Menschen im tuerkisch-kurdischen Krieg. Oecalan
waere nur einer von vielen. So ist schon allein die politische
Konzentration auf die Person Oecalans in der internationalen Debatte
moralisch schwer zu rechtfertigen. Lediglich als Symbol fuer die
horrible Menschenrechssituation ist dieses Einzelschicksal
interessant.

Die mediale Zuspitzung auf die Person ist nur logisch, denn hier hat
die kurdische Rebellion ein Gesicht und ist nicht einfach eine anonyme
Gruppe oder eine Zahl von Opfern. Trotz dieser medienimmanent
notwendigen Personalisierung waere aber ein Abgehen der kurdischen
Propaganda vom Beleuchten des Schicksals Oecalans dringend angeraten;
was den PKK- und ERNK-Aktivisten schon deswegen schwerfaellt, weil sie
schon von sich aus ihren Fuehrer mit ihrem Traum vom kurdischen Staat
gleichsetzen -- von einigen etwas naiven europaeischen
Solidaritaetsgruppen einmal ganz abgesehen. Genau das ist naemlich der
Grund, warum die tuerkische Regierung derart wilde
Geheimdienstaktionen benoetigte, um Oecalans habhaft zu werden. Denn
an sich ist Apo vor Gericht ein politisch schwer verdaulicher Brocken
-- doch wenn man der PKK den Kopf abhauen kann, schluckt man das auch
noch.
Die PKK -- und damit allgemein die tuerkischen Kurden, deren einzige
schlagkraeftige Nationalorganisation die PKK nun einmal ist -- sind
durch ihren Fuehrerkult extrem verwundbar. Fuer die Kurden waere daher
ein Sprung ueber den Schatten angebracht. Denn zu fordern ist, dasz
das oeffentliche Interesse am Konflikt an sich -- das auch erst nur
durch das unbotmaeszige Verhalten der Exil-Kurden in Europa geweckt
werden konnte -- verstaerkt werden mueszte und damit der Druck auf die
relevanten Machtbloecke (allen voran die EU). Wodurch diese angehalten
wuerden, wiederum tatsaechlichen und nicht nur offiziellen Druck auf
das Regime in Ankara auszuueben.

Wobei eine paradoxe Koinzidenz auftritt: Denn nur eine international
erzwungene Entspannung des Konflikts koennte das Leben Oecalans
retten. Die Verknuepfung des Schicksals der tuerkischen Kurden ist in
der Tat mit dem ihres Fuehrers verknuepft -- nur eben andersrum als
die PKKler es glauben wollen.                       *Bernhard Redl*

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In die Redaktion bekamen wir daraufhin zwei Reaktionen.

Zum einen erhielten wir ein Fax eines Lesers, das wohl nicht als
Leserbrief gedacht war, da es sich hauptsaechlich mit einem
Miszverstaendnis unserer Aboverwaltung beschaeftigte. Dennoch enthielt
es eine sehr knapp formulierte Kritik an einem akin-Text und deswegen
wollen wir daraus zitieren: "Der Fuehrerkult um den Apo ist auch mir
ein Dorn im Auge, das Umgehen vieler KurdInnen mit dem Mini-Stalin ist
sicher bedenklich. Nur: Wie das alles abgelaufen ist, fordert trotz
allem die Solidaritaet derer, die solche militaerischen
Brachialaktionen, ob mit oder ohne CIA, ablehnen, heraus! Morgen kann
es auch andere treffen, die uns persoenlich vielleicht naeher stehen!"

Zum anderen bekamen wir folgenden Leserbrief. Anschlieszend versucht
Bernhard Redl seine Thesen zu verteidigen.       *Die Redaktion*

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> Oezalan, die PKK und die Kurden

Vorweg: ich habe eine voellig andere Position zu Oezalan, der PKK
und den Kurden. Ich darf sagen, dasz ich mit dem Thema seit Jahren
befaszt bin, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, ich
war viel mit den Kurden unterwegs, bei den Demonstrationen in
Bruessel und in Bonn, ich war Prozeszbeobachter des
Kurdenprozesses in Duesseldorf und war einigemale
Begrueszungsredner bei den schoenen wie kulturvollen
Neujahrsfesten, Newroz, der Kurden. Gerne habe ich immer an ihren
Demos, wo immer, teilgenommen. Ich kenne Weg und Ziel der Kurden
und ihre politische Organisation PKK, Partya Karkaren Kurdistan,
Kurdische Arbeiterpartei. Ich habe mich auch mit der kurdischen
Geschichte befaszt. Nur soviel: seit viertausend Jahren siedeln
Kurden auf einem Territorium, das der heutigen Kurdenregion
entspricht, heute leider durchschnitten und aufgeteilt auf vier
Staaten, Tuerkei, Irak, Iran, Syrien. Der groeszte Teil der
Kurden, etwa zehn Millionen, leben im Suedosten der Tuerkei. Die
Kurden sind das groeszte Volk ohne Staat. Was die Tuerkei, die
Tuerken bzw. ihre Vorfahren, die Osmanen betrifft, die sind erst
vor tausend Jahren aus dem fernen Osten als kriegerisches
Reitervolk in den Raum der heutigen Tuerkei gekommen, haben die
Kurden, die schon eine hohe Kultur hatten, besiegt bzw.
unterjocht, andere Voelkerschaften, so die Griechen, wurden
vertrieben. Zu den Tuerken waere noch anzumerken, dasz sie einen
Genozid begingen, eineinhalb Millionen Armenier wurden 1915,
mitten im 1. Weltkrieg, von Tuerken umgebracht, ein Gestaendnis,
eine Entschuldigung gibt es bis heute nicht. Fuer die Tuerken gibt
es bis heute keine Kurden, fuer sie sind sie Bergtuerken. Soviel
zur Geschichte der Kurden - ein kurzer Abrisz.

Zu Oezalan: er ist der anerkannte Fuehrer der Kurden, das Banner
des kurdischen Freiheitskampfes, ein charismatischer Fuehrer und
Politiker, aehnlich Fidel Castro. Sollte es da nicht Anerkennung,
Dank, Solidaritaet mit einem solchen Menschen geben? Was hat das
mit Fuehrerkult zu tun? Seine Festnahme bzw. Verbringung in die
Tuerkei war ein Piraten- und Gangsterakt ohnegleichen, eine
Teamarbeit von Mossad, CIA, griechischen und kenianischen Helfern,
kurz, die internationale Kapitalistenklasse wuszte, was ihren
Interessen entspricht.

Zur PKK: sie ist die politische und organisatorische Kraft der
Kurden. Sie ist nicht nur wegen ihres Widerstandes gegen die
tuerkische Unterjochung das Feindbild, sondern vor allem wegen
ihrer politisch-ideologischen Substanz, wegen ihrer marxistisch-
sozialistischen Substanz. Koennen daher Linke in der PKK etwas
Negatives sehen? Es waere absurd! Allerdings, Verirrte gibt es
auch im linken Spektrum.

Zur Demo am 20.2.ds.:Die Kurden sind tausende Kilometer von der
Heimat entfernt, muszten ihre Heimat verlassen, weil das Stueck
Brot durch die tuerkische Repression immer kleiner wurde, sie
leben hier in einem fremden Kulturkreis, bei schwerer Arbeit und
das Umfeld ist nur zu oft feindlich und trotzdem bringen sie die
Kraft zu einer machtvollen Manifestation der Solidaritaet und des
Selbstbewusztseins auf. Das soll ihnen einmal eine
oesterreichische Partei nachmachen! In pflichtgemaeszer
Solidaritaet habe ich an der Kurdendemo am 20.2. teilgenommen.
Immer wieder war auch die Parole zu hoeren: "hoch die
internationale Solidaritaet", aber wo blieb sie? Von den
Linksgruenen habe ich niemand gesehen, von der KPOe einige
Genossen, vom KPOe-Bundesvorstand niemand.

Abschlieszend moechte ich mit diesem Artikel nochmals meine
Solidaritaet mit Abdullah Oezalan, der PKK und den Kurden
insgesamt bekunden. Mein Platz als Linker und Antifaschist kann
immer nur an der Seite der Schwaecheren und Bedraengten sein. Die
Kurden fuehren einen Freiheitskampf, sie verteidigen ihre
Identitaet, sie kaempfen fuer Autonomie im Sinne des
Selbstbestimmungsrechtes. So kann ein Linker doch nur mit den
Kurden sein.                               *Hans Anthofer*

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> Das Fuehrerproblem

Ein Nachtrag zu "Vergeszt Oecalan" und eine Antwort

Ich gebe zu, ich habe schon kluegere Glossen geschrieben. Zwischen
Tuer und Angel aus einem Aerger heraus verfaszt, wird man manchmal
ungenau. Aber was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. Ich
will versuchen, mich zu praezissieren. Es war mir ein Anliegen,
die Spiegelung der Geschehnisse in der veroeffentlichten Meinung
zu kritisieren. Dabei ging es mir weniger darum, die Fuehrerfigur
Onkelchen Oecalan mieszumachen, als vielmehr den Umgang der Kurden
und der westeuropaeischen Solidaritaetsgruppen mit seiner
Gefangennahme.

Zugegeben, ich mag Oecalan nicht. Ich halte ihn sehr wohl fuer
einen Mini-Stalin mit der Verschaerfung, dasz er auch noch auf der
nationalistischen Floete blaest. Und ich bin sehr wohl der
Meinung, dasz seine Positionen unhaltbar sind. Ich kann dagegen
protestieren, dasz solche Methoden wie die der Geheimdienste bei
der Entfuehrung Oecalans vollkommen ohne Miszfallenskundgebungen
von Seiten der EU-Regierungen passieren. Ich kann mich darueber
aufregen, dasz ein militaerisch-politischer Fuehrer hingerichtet
werden soll, der unter anderen politischen Umstaenden
Diplomatenstatus wie Yassir Arafat genieszen wuerde. Aber Dank und
Anerkennung? Nein, das ist dann doch ein biszchen zu viel
verlangt.

Es stimmt schon, die Kurden scheinen Oecalan zu brauchen. Sie
haben ihn frueher gebraucht, weil er und seine PKK ihnen erst ihr
Kurdentum bewuszt gemacht haben. Und heute haben sie mit dem
gefangenen Oecalan einen Fokus, an dem sich ihre Proteste
orientieren koennen. Denn bis dato gab es nur selten Ereignisse,
die so leicht zu herausragenden zu machen waren. Sie brauchen
diesen Fokus, um ihre Aktivisten entsprechend mobilisieren zu
koennen. Und sie koennen ihn auch dank der buergerlichen Medien so
intensiv nutzen. Vielleicht mache ich den Fehler, zuwenig auf
realpolitische Mechanismen zu achten. Vielleicht.

Denn Kurdistan ist die PKK ist Abdullah Oecalan. Diese Gleichung
wie sie gerne vom Boulevard aufgestellt wird, ist leider nicht
ganz so falsch. Denn es gibt keine andere derart
mobilisierungsfaehige Opposition wie die PKK in Tuerkisch-
Kurdistan. Es gibt nicht einmal etwas Vergleichbares in der
uebrigen "Republik" von Militaers Gnaden. Der soziale Konflikt in
der Tuerkei zwischen "tuerkischen" wie "nicht-tuerkischen"
Besitzenden und Habenichtsen fand im Westen des Landes keinen
Kristallisationspunkt in der "Normalisierungsphase" nach dem
Putsch von 1980. Im Osten aber gab es eine oppositionelle, weil
nichttuerkische gemeinsame Identitaet. Oemer Erzeren -- wohl der
profilierteste Publizist fuer dieses Thema im deutschen Sprachraum
-- schreibt in der WoZ 8/99, die PKK habe "den Armen einen
nationalen Ausweg" geboten. Ihr Motto war laut Erzeren: "Das Elend
herrscht, weil ihr Kurden seid." Die PKK ist grosz und Abdullah
ist ihr Prophet. Erzeren: "Auch deswegen hat der tuerkische Staat,
mit allen Wassern der psychologischen Kriegsfuehrung gewaschen,
nun leichtes Spiel. [...] Hat nicht schlieszlich die PKK ueber ein
Jahrzehnt immer wieder gesagt, dasz der kurdische Nationalkampf
ohne Oecalan ein 'Nichts' sei." Die Bindung an Oecalan, die lange
Zeit eine wichtige Bedeutung fuer den Zusammenhalt des Groszteils
der politischen Opposition in Ostanatolien hatte, fuehrt jetzt zu
ihrem Untergang.

Es war vielleicht naiv von mir, zu fordern: "Vergeszt Oecalan",
weil es mit der Dynamik des politischen Vorgangs nicht vereinbar
ist, jetzt vom groszen Fuehrer abzuruecken. Dennoch halte ich es
fuer notwendig; genauso wie ich es fuer notwendig halte, dasz die
Opposition im gesamten Staat sich endlich von nationalen
Kategorien loest. Denn Herren wie Beherrschte gehoeren allen
Ethnien an. Nur weil Nationalkurdentum seit Atatuerk als verpoent
gilt, heiszt das ja nicht, dasz das so etwas Unterstuetzenswertes
waere.

In der Tuerkei gibt es Tausende politische Gefangene, denen meine
Solidaritaet sehr wohl gilt. Viele von ihnen sind alles andere als
kriegerisch aktiv gewesen. Das sind kurdische wie tuerkische
Journalisten, Wehrdienstverweigerer, Gewerkschafter, Dichter,
kritische Intellektuelle und sogar die Abgeordneten einer ganzen
Parlamentsfraktion. Doch gerade einmal der Fall von Leyla Zana und
ihren Kollegen hat ein bisserl Echo in den hiesigen Medien
hervorgerufen, eben weil die politische Verurteilung von
Abgeordneten nicht wirklich mit dem herrschenden
Demokratieverstaendnis zusammenpaszt -- noch dazu, wenn diese eine
ethnische Minderheit vertreten. Die anderen Oppositionellen,
Nationalisten wie Linke, sind weitgehend in Vergessenheit geraten.
Dazu paszt ja im uebrigen auch die oesterreichische Asylpraxis.

*Noetiger Eurozentrismus*

Mir, der ich die Kurden auffordere, von ihrem Fuehrer abzuruecken,
ist sicher vorzuwerfen, mein Standpunkt sei ein bisserl
eurozentristisch-besserwisserisch. Aber gerade in diesem Fall ist
Eurozentrismus kaum verfehlt. Denn warum ist Oecalan so
interessant fuer die hiesige Oeffentlichkeit? Nicht weil er an
sich so wichtig waere oder weil es irgendwen groszartig kuemmert,
was die Geheimdienste aufgefuehrt haben. Oder weil es hierzulande
die Menschen wirklich interessiert, was ein paar Tausend Kilometer
weiter oestlich passiert. Auch die voelkerrechtlichen Belange sind
-- wie immer --, eigentlich voellig wurscht. Das Voelkerrecht ist
nur dann interessant, wenn man es zu eigenen Nutzen verwenden kann
oder ein Agreement mit jemandem sucht, der einem gefaehrlich
werden kann.

Es geht darum, dasz man in unserem schoenen Westeuropa Angst vor
den kurdischen Protesten hier hat. Eben. Jetzt lautet die Frage:
Geht das nicht auch ohne Oecalan? Gebe es nicht Gruende genug fuer
lautstarke Unmutsaeuszerungen? Ist es nicht bedenklich, wenn die
Mobilisierungskraft davon abhaengig ist, ob der Fuehrer in Haft
ist oder nicht?

Denn dasz hierzulande exilierte tuerkische Staatsbuerger mit wenig
gefaelligen Aktionen auf sich aufmerksam machen, ist aeuszerst
wichtig. Was auf westeuropaeischem Boden passiert, kann unter
Umstaenden wichtiger fuer die Verhaeltnisse in der Tuerkei sein,
als das, was dort geschieht.

Nicht die offiziell verkuendete nationaltuerkische Ideologie oder
mangelnde Toleranz gegen Minderheiten sind der Miszstand. Der zu
beachtende Punkt ist: In der Tuerkei herrscht eine notduerftig mit
republikanischer Tuenche uebermalte Militaerdiktatur. Unter der
leidet ein Groszteil der Bevoelkerung dort -- ziemlich unabhaengig
von irgendwelchen obskuren ethnischen Vorstellungen.

Denn wenn Kurden und solidarische Westeuropaeer wie beispielsweise
Hans Anthofer, anfangen, aufzurechnen, wer wieviele Jahrtausende
frueher dort war, die Tuerken oder die Kurden, dann kommen wir zum
rein serbischen Amselfeld, zum rein juedischen Jerusalem und
zum rein deutschen Suedkaernten. Von den Moelzers in diesem Land
gar nicht zu reden. Das kennen wir alles zur Genuege und wir brauchen
solche Debatten wirklich nicht mehr.

Wieso solche Argumentationen dann bei den Kurden zulaessig sein
sollten, waere gerade in Europa einmal gruendlich zu
thematisieren.                                  *Bernhard Redl*
 



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