> Und Redl ist ein ehrenwerter Mann
Mir ist ein raetselhafter Text vor die Augen gekommen. Er handelt
vom Umgang mit Geschichte. Dabei bringt er Biografisches ebenso
zur Sprache wie Historisches. Bezogen ist dieser Umgang mit
Geschichte auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und auf
Oesterreich und dessen Linke. Der Text ist raetselhaft in seiner
Form. Sein Titel "Dank an Martin Walser" liefert eine assoziative
Folie, auf der, vielfach gebrochen, die wichtigsten Themen der
Auseinandersetzung mit der Gesellschaft des spaeten
20.Jahrhunderts aufleuchten. Insofern ist der Text der Kritik
wuerdig auf Grund seines paradigmatischen Charakters.
Bernhard Redl schreibt in der Nummer 25 der "akin" (richtig Nr.
28/98, akin-pd 20.10, d. akin-Red.) unter dem Titel
"Dank an Martin Walser" eine
Philippika gegen den herrschenden staatstragenden Antifaschismus,
der blosz zu moralischer Selbstversicherung und demokratischem
Konsens nuetze, jede Auseinandersetzung aber mit Grund und Ursache
fuer die skandaloese Barbarei im Zentrum der Metropole
hintertreibe. Der Text hat den Untertitel "Ueber die Folgen
pathetischer Geschichtsschreibung" und nimmt Martin Walser zum
Zeugen gegen eine manichaeische Sicht aufdie
faschistischeVergangenheit. Die Wendung gegen den Manichaeismus,
also gegen die Sicht auf Gut und Boese als ewig widersetzliche,
widerstreitende Prinzipien, verkoerpert in Faschismus und
Widerstand, erlaube es, aus der verpflichteten Selbstkasteiung und
verordneten Betroffenheit, die wie ein Schibboleth praesentiert
wird, endlich auszusteigen. Nicht mehr werde faschistische
Verkoerperung in der Geschichte der eigenen Verwandten gesucht,
von denen es sich loszusagen gelte, nicht mehr werde historische
Verantwortung und Schuld bis in's siebte Glied sich aufgeladen,
nicht mehr werde die angenommene eigene und nie vor Ort bewiesene
Tugendhaftigkeit zur Schau gestellt (cit. Redl: "Man verdraengt
lieber die Tatsache, dass es nun mal in Zeiten des Wohlergehens
meist einfacher ist, anstaendig zu bleiben, als in den Zeiten der
pohtischen Cholera.") . Ein neuer Abschnitt in der Beziehung zur
Vergangenheit tue not, der nicht mehr mit dem manichaeischen Blick
sich begnuegt (cit Redl: "Und schlechte Richter sind wir, wenn wir
sagen: 'Diese Tat ist nicht zu verstehen, der Beschuldigte ist
einfach moralisch verderbt.' Daraus wird niemand lernen.").
Ich muss nun innehalten, um zuzugeben, dass dies alles so im Text,
der ja in der Form raetselhaft ist, nicht steht.Aber es laesst
sich bei wohlwollender Aufnahme daraus extrahieren. Selbst
missverstaendliche, unglueckliche oder dumme Formulierungen lassen
sich noch so verstehen und interpretieren. So schreibt Redl etwa:
,,Solange aber diese Geschichtsvorstellungen herrschen, kann man
sicher sein, dass der beruehmte kleine Mann von der Strasze
bestimmt kein differenziertes Bild dieses Landes und dieses
Jahrhunderts bekommt. Und das ist fuer den Machterhalt sehr
wichtig. Und deswegen machen wir lieber - nachdem Jahrzehnte lang
geschwiegen wurde, weil da einfach noch zu viele Belastetete an
den Hebeln gesessen waren - auf mahnenden Antifaschismus, bis der
letzte unzufriedene Jugendliche auf die Idee kommen kann, dass das
vielleicht doch eine tolle Zeit war. Denn wenn eine heuchlerische
Gesellschaft, die sich einen Scheiszdreck um so etwas wie
Volksbildung schert, den mahnenden Zeigefinger erhebt, dann
begreifen viele dies - ja, eben, als Fingerzeig: 'Das sind unsere
schlimmsten Feinde! Die machen unsere schoene Demokratie kaputt! '
Wenn junge Menschen aber nicht mit diesem politischen System
zufrieden sind, dann wissen sie dank dieser gelungenen Art von
Aufklaerung, wohin sie zu gehen haben. Wenn dann die VAPO
marschiert, dann haben jene, die ja doch immer davor gewarnt
haben, endlich eine Rechtfertigung fuer ihre selbstgefaellige
Art." Dies alles ist wohl der Eroerterung und der Diskussion wert,
und Redl bleibt bei aller Diffusion durchaus konsequent, wenn er
gegen Ende seiner Polemik meint: "Eine andere moeglicherweise
recht hilfreiche Geschichte sind die jetzigen Forderungen der
ehemaligen Zwangsarbeiter und enteigneten Fluechtlinge. Denn die
Sache ist viel unangenehmer, als die Zeitgeschichtehysteriker
gerne haetten. Denn hier kann nur mehr sehr schwer die Rede von
'nicht erklaerbaremWahnsinn' und aehnlichem die Rede sein. Denn
waehrend beim ganz normalen Holocaust man nur die fuer den
Machterhalt aeuszerst wirksame Suendenbockfunktion ignorieren
musste, sind hier massive oekonomische Gruende dingfest zu machen.
da duerfte es eigentlich nicht mehr viel brauchen, das
'Unverstaendliche' ploetzlich sehr verstaendlich zu machen."
Auch wenn dieser Absatz recht konfus daher kommt, so ist doch
dieWendung, von persoenlichen Schicksalen und abgeltbaren
Schuldigkeiten zu sprechen, durchaus geeignet, einen
demokratischen Antifaschismus auf die Probe zu stellen. Dass aber
Redl wesentlich zu kurz greift, wenn er hier
Angriffsmoeglichkeiten auf den herrschenden gesellschaftlichen
Konsens vorzufinden meint, soll in der Folge nachgewiesen werden.
Zunaechst moechte ich ein paar Worte ueber den legitimatorischen
Antifaschismus verlieren. Wenn auch vom Faschismus schweigen
solle, wer vom Kapitalismus nicht reden will, so gilt dies - und
hier hoffe ich, wird mir Redl zustimmen - auch vom Antifaschismus.
Speziell in Oesterreich hat sich eine national gefaerbte Spielart
des Widerstands etabliert und gesellschaftsfaehig gemacht, die
sich darauf beschraenkte, einfach gegen die Piefke zu sein. Ein
nationales Raisonnement mit Wurzeln, die noch weit in die
Diskussion der Deutschen Frage und die Frustraton der nationalen,
deutschen, demokratischen Oesterreicher durch das Octroy der
Kleindeutschen Loesung reichen, aber auch mitWurzeln in einem
Bewusstsein des besseren Deutschtums, gespeist von der
habsburgischen roemisch-deutschen Reichstradition, konnte sich
leicht schon waehrend (aber auch schon vor) der Hitlerei
sinnstiftend breit machen und den Boden fuer spaetere Legenden von
Widerstand und Opfer bereiten. Hier war schon ein Grund gelegt,
aufdem hinfort ein neues Oesterreich stehen konnte, und dieser
Grund war ein nationaler, an den nicht mehr geruehrt werden
durfte. Es ist diese nationale Durchsichtigkeit, die den
Antifaschismus als Grundlage von Republik und Demokratie immer
wieder fadenscheinig erscheinen laesst.
Als etwa Haider mit seinem Ausspruch von der oesterreichischen
Nation als ideologischem Konstrukt einen Sturm im
antifaschistischen Wasserglas entfesselte, so konnte eins doch in
dieser Zeit Artikel finden (fragen Sie mich jetzt nicht wer sie
geschrieben hat; einer, glaube ich, war von Michael Siegert, aber
fragen Sie mich jetzt nicht, wo ich ihn gefunden habe), in denen
beschrieben wurde, wie das Exil der Sozialdemokratischen Partei in
London noch bis zur Veroeffentlichung der Moskauer Deklaration die
Position vertrat, der Anschluss Oesterreichs wuerde nicht
rueckgaengig gemacht. Nur der Hitlerei gelte der Kampf, nicht aber
sei er gerichtet gegen die vereinte deutsche Republik, die aus
diesem Kampf erstehe. Und wer will behaupten, Alfred Klahrs Beweis
einer oesterreichischen Nation (der notwendig war, um fuer eine
korrekte antifaschistische Volksfront eine fortschritdiche Schicht
einer nationalen Bourgeoisie zur Hand zu haben) waere kein
ideologisches Konstrukt? Die gleiche Beweisfuehrung waere ohne
weiteres auf Bayern anwendbar!
Aber ich kann mich auch an Diskussionen ohne den von Haider
gelieferten Vorwand erinnern, wo erklaert wurde, durchaus gegen
eine versteinerte stalinististische Doktrin gerichtet, die
deutsche Frage sei noch nicht geloest. Argumentiert wurde auf der
Ebene der idealtypischen Entwicklung der Menschheit von Sklaverei
ueber Feudalismus und Absolutismus zur buergerlichen Revolution,
von da ausgehend vorwaerts zu Sozialismus und Kommunismus. Und da
gelte es, das Manko des deutschen Sonderwegs endlich durch eine
schoene buergerliche Entwicklung zu ueberwinden, damit auch vom
deutschen Citoyen, von der deutschen Zivilgesellschaft gesprochen
werden kann. Dieses Defizit (keine ordendiche buergerliche
Revolution vorweisen zu koennen, wo doch selbst die Italiener
ihren Garibaldi hatten), das der Verwendung des vulgarisierten
Epochenmodells des historischen Marxismus entspringt, mit
emanzipatorischen Anspruechen und Entwicklungen zu fuellen,
bedeutet die Ueberwindung der reaktionaeren Seite der deutschen
(und mit ihr der oesterreichischen) Geschichte.
Wo nun aber am Ende der Argumentation frisch wieder nur die Nation
steht, taucht mit ihr ihre Form der Vergesellschaftung auf mit
allen Mitteln, diese Vergesellschaftung auch durchzusetzen, wovon
eines die nationale Versoehnung ist. Nationale Versoehnung aber
wiederum ist vor allem dort angesagt, wo der Normalzustand
beschworen werden muss, wo von Sonderentwicklungen, von verlorenen
Kriegen, von begangenen Verbrechen abgesehen werden soll im
wohlverstandenen eigenen Interesse. Wie national diese Versoehnung
ist, wie versoehnlich mit sich als Nation dabei umgegangen wird,
zeigt sich etwa daran, wenn Etappenmarxismus und
Wirtschaftsliberalismus gemeinsam das Klagelied von der
versaeumten buergerlichen Entwicklung anstimmen und durchaus einer
Meinung sind, wenn sie die Dominanz obrigkeitsstaatlicher
Gaengelung und buendischer wie staendischer Strukturen angreifen.
Redl hat seine Attacke gegen den verordneten nationalen
Antifaschismus mit dem Argument geritten, einmal muesse Schluss
sein. Er wird sich dabei wohl dessen bewusst
sein, wer dieses Argument noch verwenden mag. Nun bedeutet bei
Redl der grosze Schlusstrich nicht, dass ab jetzt nicht mehr
darueber gesprochen wird, dass es ab jetzt keine Schuldigen mehr
gebe. Es wird darueber gesprochen, aber es gibt keine
"Moralwellen" mehr, keine "massiven Bekenntnisse", mit denen jetzt
etwas gut(zu)machen" waere. Jetzt gibt es nur noch das Konkrete.
Zwangsarbeiter werden entschaedigt. Die Geschichte wird neu
geschrieben. Und dann ist cit. Redl "sehr wohl (...) das Gefuehl
der persoenlichen Betroffenheit gerechtfertigt - nicht nur, was
die Nazis angeht, sondern gegenueber allem, was beschissen ist auf
dieser Welt." Es wird wohl hinfort so mit der Hitlerei umgegangen
werden koennen, wie auch andre zivilisierte Gesellschaften mit
ihrer Geschichte umgehen. Kohl und Redl jedenfalls haben die Gnade
der spaeten Geburt, und auch Jaques Chirac wird nicht fuer die
Grande Terreur verantwortlich gemacht. Und das Schoene daran ist
ja, dass das Ganze auch noch stimmt.
Doch Redl bleibt Gefangener des nationalen Diskurses. Zwar lehnt
er nationales Gedankengut in Form des konsensualen,
verfassungsmaeszigen Antifaschismus ab, mehr noch: er reisst
diesen Antifaschismus aus seiner nationalen Umgebung, indem er ihm
hoehere moralische Weihen der Betroffenheit, der Einzigartigkeit
(in Abstoszung von der Einzigartigkeit des Judenmords) und des
Irrationalen (im Erschaudern vor der Unerklaerbarkeit) verleiht.
Darnach wendet sich Redl gegen ihn, um an ihm zu kritisieren, dass
er Welt und Gesellschaft nicht zu verbessern, keine Aufklaerung zu
leisten vermag (worin ihm Recht zu geben ist) und fordert ein Ende
der Debatte, aus der er sich wohl auch fortstehlen will. Er will
ganz normal betroffen sein ueber alles, was beschissen ist in der
Welt. Er will sich diese Normalitaet nicht nehmen lassen, indem er
das Argument von der Einzigartigkeit der Verbrechen des deutschen
Faschismus akzeptieren muss. Doch es war immer schon Schwaeche der
Linken, ihre Kritik der buergerlichen Gesellschaft an Nation und
Demokratie vorbei zu entwickeln. Und wenn auch Redl nicht zu den
linkenVaterlandsverteidigern vom Schlage einer KPOe (Immer fuer
Oesterreich) oder der antiimperialistischen Figuren diverser
Kommunistischer Buende (die ja heute als Gruene und
Wissenschafterinnen, als Abgeordnete und Soziologinnen fuer sich
in Anspruch nehmen, die deutsche und mit ihr die oesterreichische
Gesellschaft zivilisiert zu haben) zuzurechnen ist, so kann er
doch nicht den Ehrentitel des vaterlandslosen Gesellen fuer sich
in Anspruch nehmen. Denn wer vom Antifaschismus redet, spricht
sofort von der Nation.
Heute kann es nur darum gehen, als Grundlage jeder kritischen
Analyse und Polemik das antinationale Argument zu verbreiten. Es
kann nur darum gehen, den Nachweis zu fuehren, dass es gute
Nationen nicht mehr gibt, dass die Versprechen der Verfassungen
eingeloest sind, dass die Nationen zu Entwicklung und Foerderung
von Wohlstand und Wissen nichts mehr beizutragen haben, dass die
Berufung auf nationale Traditionen nur noch zu Laecherlichkeit
oder Barbarei fuehren. Wenn ich diesen Nachweis fuehre. Wird mir
der Faschismus aber dann nicht mehr als Betriebsunfall, etwa als
dunkle Seite der deutschen Seele, daherkommen koennen Er wird sich
mir auch nicht als klassenkaempferisches Komplott der
verkommensten Schichten der Bourgeoisie praesentieren koennen. Mit
anderen Worten: wenn ich die Naton in den Mittelpunkt meiner
Kritik an der Gesellschaft stelle, sie zu meinem Ansatzpunkt der
Vermittlung dieser Kritik mache, dann ist auch dem Faschismus
nicht mehr erlaubt, an den Rand dieser Cesellschaft gerueckt zu
werden, wo er dann nachtraegliche Rechtfertigungsmuster
verschiedener Politikformen abgeben muss. Nein, er steht dann in
Kritik und Analyse dort, wo er auch im wirklichen Leben gestanden
ist, mitten im Zentrum der Metropolen. Es ist diese zentrale
Stellung, diese Position im Herzen der Zivilisation, die sein
Skandaloeses ausmacht, die ein Stachel im Bewusstsein des
buergerlichen politischen Subjekts ist. Immer wieder wurde
versucht, die Verbrechen des Faschismus zu relativieren mit
Hinweisen auf die Voelkermorde an Indianern und Armeniern, mit
Hinweisen auf die Gefangenenlager der Briten waehrend der
Burenkriege. Aber alle Wege fuehren nach Rom, und die Verbrechen,
die den Faschismus relativieren sollen, weisen auf nichts anderes
als die Nation: die amerikanische, die tuerkische, die
suedafrikanische, und alle in der Entwicklung zum modernen
metropolen Staat. Wie wir sehen, greift ein Antifaschismus, der
vom Faschismus ausgeht, zu kurz. Ebenso zu kurz greift eine Kritik
des Antifaschismus, die sich bloss auf eine seiner Spielarten
einlaesst, sich aber ihrer Sehnsucht nach geordneten
Verhaeltnissen unbewusst ist.
Wenn ich heute die buergerliche Gesellschaft dahingehend
kritisiere, dass sie jeder Dynamik verlustig gegangen ist, dass
ihre Kraft verpufft ist, dass ihre Demokratie nicht mehr
mehrheitsfaehig ist, dann ist in diese Kritik auch das Konzept von
politischer Verstaendigung eingeschlossen, und damit auch antifaschistscher
Tradition jeder politischen Ausrichtung. Wenn ich heute die
buergerliche Gesellschaft dahingehend kritisiere, dass sie mit
ihren eigenen groszen Entwuerfen Schindluder treiben muss (wenn
etwa an die sogenannten Reformstaaten zu denken ist, die sich ihre
Verfassungen am Schreibtisch von Absolventen und Absolventinnen
amerikanischer Universitaeten schreiben lassen, ohne dass je eine
Konstituante politisch aktiv geworden waere; aber fuer das
Versprechen von Aufnahmeverhandlungen mit der EU reicht es allemal
noch), um den Anschein prosperierender Geselligkeit aufrecht zu
erhalten, dann werde ich diesem absterbenden corpus nicht neues
Leben einhauchen, indem ich seine alte Herrlichkeit noch einmal
beschwoere. Und wenn ich den Konsens (auch den antifaschistischen
Konsens) der Menschenrechte als Leerformel kritisiere, der die
Kraft abhanden gekommen ist,wirklich fuer die Menschen, fur alle
Menschen zu sprechen, werde ich diesen Konsens nicht noch einmal
beschwoeren, indem ich ihm einen letzten positiven Bezug zu
verleihen versuche. Redl ist zuzustimmen, dass einmal Schluss sein
muss, aber nicht mit der Debatte, sonder mit der Verteidigung
dieser Gesellschaft, welche Form auch immer diese Verteidigung
annehmen mag.
*GEROLD WALLNER*
Die "Streifzuege", aus denen der obige Artikel stammt, erscheinen
vierteljaehrlich und sind zu beziehen ueber: "Kritischer Kreis --
Verein fuer gesellschaftlich Transformationskunde",
Margaretenstrasze 71-73/23, 1050 Wien.
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Wechselseitiges Unverstaendnis
> Zu "Und Redl ist ein ehrenwerter Mann"
Ich weisz zwar nicht, welchen Caesar ich ermordet haben soll,
finde es aber sehr interessant, dasz mir da jemand vorwirft, ich
wuerde mit meinem Text einen Schlusz der Debatte ueber die
Nazizeit fordern. Woraus der Herr Kollege Marc Anton Wallner
dieses schlieszt, ist mir zwar unklar, aber die Frage lautet doch
schon vielmehr: Welche Debatte?
Was an Debatte bislang gefuehrt wurde, verdient den Namen nicht.
Gutmenschen raesonieren ueber eine nichtaufgearbeitete
Nazivergangenheit und alte wie junge Nazis verteidigen "die
Kriegsgeneration". Und das Publikum stellt sich in zwei Gruppen
auf. Debatte im Sinne einer faschismusanalytischen Fragestellung
passiert nicht -- weil niemand daran Interesse hat, verstehen zu
wollen, was damals geschehen ist. Was ich fordere, ist endlich ein
Beginn einer politologisch-psychologischen Debatte (auch
auszerhalb sehr exclusiver intellektueller Zirkel) anstatt
politisch-emotionaler Lobby-Arbeit oder detailgenauer
Geschichtsschilderung. Denn was findet denn statt in der
Oeffentlichkeit? Es werden Mahnmaeler statt Denkmaelern errichtet;
die unmittelbar emanzipatorisch wirksame Denkanregung wird zur
schulmeisterlichen Mahnung. Der "Gutmensch" (K.P.Liessmann) denkt
nicht mehr, er bedenkt und gedenkt nur mehr. Er leistet
"Trauerarbeit" oder betaetigt sich weniger in historischer
Forschung als in "Geschichtsaufarbeitung". Vieles von dem war
sicher einmal notwendig, um das Schweigen zu brechen, aber jetzt
braeuchte es den naechsten Schritt der Auseinandersetzung mit dem
Thema.
Denn die Frage "Was ist passiert?", betrachte ich als weitgehend
geklaert. Die Frage aber, warum es passiert ist, wird kaum
gestellt. Zwar gibt es ein paar Aussagen darueber, diese sind aber
lediglich idealistisch-vordergruendiger Natur und beschraenken
sich darauf, alle moeglichen Menschen als Nazis anzuprangern, um
die Angst, selbst in eine dementsprechende Lage gebracht, zu
aehnlichen Taten faehig zu sein, zu unterdruecken. Es scheint
einen Wettbewerb zu geben -- wie das an der Hrdlicka-Debatte gut
sichtbar war --, moeglichst schnell und moeglichst laut "Nazi,
Nazi" zu schreien. Wer das am besten kann, bekommt vielleicht den
Titel "Groeszter Antifaschist aller Zeiten". Ob das allerdings der
Wahrheitsfindung dient, moechte ich dahingestellt lassen.
Aber vielleicht liegt das Problem, das Herr Wallner und ich haben,
in einem wechselseitigen Unverstaendnis. Denn so wie mein Text ihm
raetselhaft erscheint, so geht es mir mit seiner Reaktion nicht
viel besser. Generell kritisiert er meinen Text, im Detail gibt er
mir jedesmal recht. Die in seinem Text festmachbaren Vorwuerfe
gegen mich beschraenken sich auf die Ortung "miszverstaendlicher,
ungluecklicher oder dummer Formulierungen", der bereits erwaehnten
Behauptung, ich forderte ein Ende der Debatte und den aeuszerst
kryptischen Satz: "Denn wer vom Antifaschismus redet, spricht
sofort von der Nation". Hatte ich schon die Shakespeare-Brutus-
Anspielung nicht ganz verstanden, erscheint mir dieser sehr
schwungvolle Satz auch in seinem Kontext in vollendetes Dunkel
gehuellt. Was heiszt das? Wer den Antifaschismus kritisiert,
legitimiert den Nationalismus? Wer den Antifaschismus verteidigt,
legitimiert den Oesterreich-Patriotismus? Wer mittels
Antifaschismus den "boesen" Nationalismus verdamme, huldige einem
"guten" Nationalismus? Das waeren einige Moeglichkeiten der
Auslegung, ich verstehe nur bei keiner einzigen, wie sie meinen
Text zutreffend kritisieren koennte.
Ich bin also tatsaechlich auf Deutung angewiesen. Moeglicherweise
meint Wallner, dasz die gesellschaftlich verordneten
Antifaschismusrituale Vehikel eines Oesterreich-Patriotismus und
einer sich in gleichmaeszigem Rhythmus selbst auf die Schulter
klopfenden buergerlichen Gesellschaftsordnung sind. Aber da wuerde
ich -- immer vorausgesetzt, ich miszverstehe Wallner nicht --, ihm
ja recht geben. Soviel ich weisz, habe ich eine solche Behauptung
auch nie bestritten.
Moeglichkeit zwei der Interpretation: Durch das
Schuldeingestaendnis der Nation wird diese in ihrer
Selbstverstaendnis gestaerkt. Auch hier wuerde ich vollkommen
konform gehen. Denn die hier postulierte Gemeinsamkeit aller
Oesterreicher oder Deutschen ist tatsaechlich ekelhaft. "Wir" sind
verantwortlich fuer die Naziverbrecher von Oesterreichern --
dieses "wir" ist eine scharf abgegrenzte In-Group, es ist "unsere"
Angelegenheit: Die nationale Identitaet wird mit der unheimlich
sympathischen Methode des Schuldeingestaendisses betrieben. Was
nicht nur die alten Nazis betrifft: Ich erinnere mich noch eines
unsaeglich dummen Transparentes mit der Aufschrift: "Wir schaemen
uns fuer Sie, Herr Haider!". Ich nehme nicht an, dasz die
Produzenten dieses Transparentes Haider gewaehlt haben. Also warum
schaemen sie sich? Statt seiner, weil er sich nicht schaemt? Oder
weil sie sich "als Oesterreicher" schaemen, dasz jemand "bei uns"
so ist, wie Haider nunmal ist. Oder weil es "bei uns" Leute gibt,
die sojemanden waehlen? Diese Antinationalisten sind gute
Patrioten, ohne dasz sie es merken.
Moeglichkeit drei der Erklaerung des obskuren Satzes: Die Nation
ist Grundvoraussetzung des Faschismus, damit Thema des
Antifaschismus. Da musz ich sagen: Jein! Von einem Antifaschisten
sollte man annehmen koennen, dasz er den Nationalmythos
ueberwunden hat. Genuin notwendig ist das aber nicht. Denn der
Nationalmythos ist Ferment, nicht Grundlage des Faschismus. Die
Ursachen des Faschismus sind komplex, grundsaetzlich benoetigt er
aber eine oekonomische Krise, gepaart mit einer streng
abgrenzbaren Gemeinschaft, in die sich und mit der das Individuum
vor dieser Gefahr fluechten kann -- und damit die Auszenstehenden
als Feinde sieht. Da die buergerliche Vorstellung vom
Nationalstaat grandiose Vorarbeit geleistet hat, bedient sich der
Faschismus eben dieser wohlfeilen Vorstellung und ueberhoeht sie
ins Megalomanische. Antifaschismus sollte aber nicht an der Kritik
an der Nation ansetzen, sondern frueher, bei der
Konstruktionsmethode von Identitaeten und ihrer Funktion zur
Herrschaftserlangung bzw. -erhaltung. Es ist daher nicht nur nicht
notwendig, sondern vielleicht sogar wenig dienlich, sich bei
antifaschistischer Agitation auf die Nationsfrage zu
konzentrieren.
Mit einem anderen Satz Wallners aber glaube ich mehr anfangen zu
koennen. Gegen Schlusz schreibt er: "Wenn ich heute die
buergerliche Gesellschft dahigehend kritisiere, dasz sie mit ihren
eigenen groszen Entwuerfen Schindluder treiben musz (...), um den
Anschein prosperierender Geselligkeit aufrecht zu erhalten, dann
werde ich diesem absterbenden corpus nicht neues Leben einhauchen,
indem ich seine Herrlichkeit noch einmal beschwoere." Naja, ich
weisz nicht, auf das baldige Absterben der "buergerlichen
Gesellschaft" wartet die Linke jetzt schon seit 150 Jahren. Aber
das Gfrast krepiert einfach nicht und nicht.
Wallner moechte wohl mit diesem Satz andeuten, ich legitimierte
die buergerliche Gesellschaft (und damit wohl auch den
Kapitalismus), weil ich ihr zubillige, sich mit dem Faschismus
systemkritisch auseinandersetzen zu koennen. Da ihr aber diese
Systemkritik unmoeglich sei, da ihr der Faschismus nicht
wesensfremd ist, bestaetigte ich damit die Lebensluege dieser
Gesellschaftsordnung. Nun, das waere wohl der einzige Punkt, wo
ich tatsaechlich eine klare Differenz festmachen koennte. Denn
sicher legitimiert jeder, der die marginalen Ansaetze der
Redefreiheit in der buergerlichen Gesellschaft nuetzt, in gewissen
Masze das System. Aber das bedeutete, dasz man Systemkritik
ueberhaupt nur von Leuten einfordern duerfte, die sowieso der
eigenen Meinung sind und sich ansonsten nobel zurueckzieht, um
seine intellektuellen Perlen nicht vor die Saeue einer breiteren
Oeffentlichkeit, die nuneinmal von der herrschenden
Selbstverstaendlichkeit gepraegt ist, zu werfen. Einmal abgesehen
davon, dasz ich mich mit meinem Text sowieso an eine sich als
links verstehende, sehr kleine "Oeffentlichkeit" gewandt hatte,
handelte sich bei meinem Text natuerlich um einen solchen
appellativen Charakters. Aber haette ich damit bis nach der
Weltrevolution warten sollen?
*Bernhard Redl*
eMail: redaktion.akin@signale.comlink.apc.org
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last update: 24-01-1999 by: Horst.JENS@bigfoot.com
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