Balkan-Krieg/Gruene: Zum Format-Interview V.d.Bellens 
************************************************************************** 
akin-Pressedienst.                                                       * 
Elektronische Teilwiedergabe der                                         * 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.                          * 
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der         * 
Papierausgabe veroeffentlichten sein.                                    * 
Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.                 * 
Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der                           * 
Verantwortung der VerfasserInnen.                                        * 
Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt      * 
nichts ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.              * 
************************************************************************** 
Aussendezeitpunkt: Di, 01.06.99, 15:13                                   * 
************************************************************************** 
  
Balkan-Krieg/Gruene: 
  
> Van der Bellen erneut fuer NATO-Krieg ohne UN-Mandat 
  
Die Aufregung war grosz, als es einige Gruen-Mitglieder wagten, 
den Gruen-Bundessprecher Alexander van der Bellen fuer dessen 
Aussagen in einem Falter-Interview im November 1998 oeffentlich zu 
kritisieren. In diesem Falter-Interview (44/98) hat sich Van der 
Bellen fuer NATO-Krieg auch ohne UNO-Mandat, fuer 
Ueberflugsgenehmigungen fuer NATO-Flugzeuge und im uebrigen fuer 
ein "flexibles" Neutralitaetskonzept ausgesprochen. Die Wogen 
gingen deshalb so hoch, weil dieses Interview ja schon einige 
Monate her und unautorisiert gewesen sei. Auszerdem habe Van der 
Bellen seither einen pazifistischen Laeuterungsprozess 
durchlaufen. Doch siehe da: im aktuellen Format vom 21./22. Mai 
1999 wiederholt Van der Bellen die Ansicht, dass NATO-Krieg auch 
ohne UN-Mandat vorstellbar ist: 
  
* 
  
"FORMAT: Sind Sie gegen den Nato-Einsatz am Balkan? 
  
VAN DER BELLEN: Ja. Es geht nicht, dass die Nato sich selbst zum 
Weltpolizisten dekretiert. Fuer solche Militaerinterventionen ist 
ein UNO-Sicherheitsmandat notwendig. Gleichzeitig muss man ganz 
klar sagen: Milosevics Politik ist als verbrecherisch zu 
klassifizieren und traegt quasi-faschistische Zuege. 
  
FORMAT: Die Gruenen sind also nicht mehr a priori dagegen, mit 
militaerischer Gewalt einen Genozid zu stoppen? 
  
VAN DER BELLEN: Wenn es ein UNO-Mandat dafuer gibt, ja. 
  
FORMAT: Wenn aber der UNO-Sicherheitsrat zu keinem einstimmigen 
Beschluss kommt, weil eine Groszmacht ein Veto einlegt? 
  
VAN DER BELLEN: Theoretisch kann man sich vorstellen, dass ein 
zweites Auschwitz eintritt und der Sicherheitsrat blockiert ist. 
Was dann? Dann geht die Verhinderung von Auschwitz vor. In einem 
solchen Fall waere fuer mich eine Nato-Intervention auch ohne UNO- 
Beschluss kein Problem. ..." (Auszug aus: Format 21./22. 5. 1999) 
  
* 
  
*In den Fuszstapfen der deutschen Gruenen* 
  
Die Argumentation wiederholt haarscharf die Entwicklung der 
deutschen Gruenen in Richtung Bellizismus. Auch dort wurde - 
angefuehrt von Fischer und Cohn-Bendit - mit Hilfe des Auschwitz- 
Vergleichs - Schritt fuer Schritt der militaerische 
Interventionismus bei den Gruenen hoffaehig gemacht. Das 
Argumentationsmuster ist simpel: die, die die wirtschaftlichen und 
militaerischen Machtmittel haben, haben auch die Definitionsmacht 
darueber, wo Genozid geschieht und wer daran schuld ist. Dann 
braucht es keine voelkerrechtlichen Ruecksichts-nahmen mehr, um 
eine ganze Gesellschaft in die Steinzeit zurueckbombardieren zu 
koennen. 
  
Voellig aus dem Blickfeld geraten die Ursachen, warum es an den 
Raendern der Reichtumsfestungen zu jenen brutalen sozialen 
Verwerfungen kommt, die sich in der Folge in ethnischem und 
nationalistischem Wahn entladen. Auszer Betracht bleibt, welche 
Rolle die Politik des Internationalen Waehrungsfonds bei der 
Verarmung Jugoslawiens gespielt hat. Vernebelt wird, wie durch 
(v.a. deutsche) Groszmachtspolitik gezielt ethnische Konflikte 
geschuert werden, um durch Sezession die eigene Hegemonie 
auszuweiten. Auschwitz war der entsetzliche Hoehepunkt des 
faschistischen Griffs zur Weltmacht. Wer unter Verweis auf 
Auschwitz der militaerischen Enthemmung von EUropaeischer und US- 
amerikanischer Groszmachtspolitik das Wort zu redet, macht den 
Bock zum Gaertner. Es gehoert zu den wohl unfassbarsten 
ideologischen Entgleisungen unserer Zeit, dass Deutschland mit dem 
Verweis auf Auschwitz wieder Angriffskriege fuehren kann. 
  
Jede Argumentation, die die strategischen Interessen der 
Groszmaechte sowie die sozialen Hintergruende von Nationalismus 
und Krieg ausblendet, landet letztlich bei Huntingtons "Clash of 
Civilisation". Diese "Ethnisierung des Sozialen" - der "Schurke" 
wird letztlich ethnisch dingfest gemacht und abgeurteilt - ist 
auch fuer den gruenen Bellizismus charakteristisch. 
  
*Ein "kritisches Ja"* 
  
Nach mehr als zwei Monaten NATO-Bombardements lassen sich - bei 
aller Widerspruechlichkeit - folgende Konturen der 
Jugoslawienpolitik der oesterreichischen Gruenen ausmachen: 
  
1. Ein "kritisches Ja" zum Kurs der deutschen Gruenen und Joschka 
Fischers. Van der Bellen hat ausdruecklich - und unwidersprochen - 
die Ergebnisse des Bielefelder Parteitages, die die Beteiligung 
Deutschlands an der Fortsetzung der NATO-Bombardements abgesichert 
haben, begrueszt. Die moralische Lauterkeit der gruenen 
Kriegsbefuerworter darf nicht in Frage gestellt werden. Eine 
Trennung von den Kriegsgruenen etwa auf der Ebene des Europ. 
Parlaments kommt nicht in Frage (obwohl sich z. B. die 
SpitzenkandidatInnen der deutschen Gruenen zum Europ. Parlament 
fuer den Einsatz von Bodentruppen aussprechen). 
  
2. In Oesterreich sind die Gruenen gegen den Krieg, weil man als 
Oppositionspartei in einem neutralen Land "keine Ruecksicht auf 
die NATO nehmen muss" (VdBellen). Dort wo Kriegsgegnerschaft 
unmittelbar konsequenzenlos bleibt, betreibt man sie, dort wo sie 
ganz unmittelbar in das Geschehen eingreifen koennte (wie in der 
BRD), hat man Verstaendnis, dass sie unterbleibt. In Anlehnung an 
die deutschen Gruenen wurde bislang in den Beschluessen der 
Bundespartei ebenfalls nur eine "befristete Feuerpause" gefordert, 
nicht jedoch ein sofortiges, bedingungsloses und endgueltiges Ende 
der Bombardements. 
  
3. Vielleicht aber das bedenklichste: im Windschatten einer - 
zaghaften und folgenlosen - Friedensrethorik, wird das 
grundsaetzliche antimilitaristische Selbstverstaendnis der Gruenen 
demontiert und Krieg als Mittel der Politik grundsaetzlich 
akzeptiert: 
  
Militaereinsaetze mit UNO-Mandat stehen bereits auszerhalb der 
Diskussion (das wurde bereits in einschlaegigen 
Entschlieszungsantraegen, Pressemeldungen und offenen Briefen 
dokumentiert, die bislang unwidersprochen blieben). 
Das UNO-Mandat soll fuer die Westmaechte bequem abrufbar werden, 
indem das Vetorecht im UN-Sicherheitsrat aufgehoben wird 
(Beschluss des Bundesvorstandes, Entschlieszungsantrag). 
  
Solange das Vetorecht nicht gefallen ist, ist auch weiterhin NATO- 
Krieg ohne Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat denkbar. Die 
wiederholten Stellungnahmen des Gruenen Bundessprechers sind 
diesbezueglich eindeutig. 
  
Die oesterreichischen Gruenen haben sich damit - trotz verbaler 
Kriegsgegnerschaft - weiter in Richtung Bellizismus bewegt, als 
das die deutschen Gruenen in ihrer Oppositionszeit je getan haben. 
Denn die deutschen Gruenen haben, bevor sie in die Regierung 
gegangen sind, mehrheitlich sogar UN-Einsaetze zur 
"Friedenserzwingung" abgelehnt.         *Gerald Oberansmayr* 
  
  
  
************************************************************************* 
'akin - aktuelle informationen' 
a-1010 wien, wipplingerstraße 23/20 
kontakt: bernhard redl 
vox: ++43 (0222) 535-62-00 
fax: ++43 (0222) 535-38-56 
redaktion.akin@signale.comlink.apc.org 
http://akin.mediaweb.at 
pgp-key (2.6.2i) auf anfrage 
Konto: 223-102-976/00, Bank Austria 
BLZ 12000, Verwendungszweck: akin 
## CrossPoint v3.1 ##