Balkan-Krieg: Reiseberichte aus Jugoslawien
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Aussendezeitpunkt: Di, 01.06.99, 15:11 *
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Balkan-Krieg:
> Gruesse aus dem Feindesland
Seit Pfingstsonntag besucht eine deutsche Gewerkschaftergruppe
Betriebe in Jugoslawien, um sich ein Bild von den Zerstoerungen zu
machen. Zu den zehn Mitgliedern gehoeren der Hamburger Schauspieler
ROLF BECKER und der Hannoversche Journalist ECKART SPOO, die davon
berichten:
*
Nach Mitternacht sind wir zur Belgrader Donaubruecke gegangen, auf
der sich jeden Abend eine Menschenmenge versammelt mit der
angesteckten Zielscheibe "Target". Es gibt Alarm, auf einmal
stehen wir allein auf der Bruecke. Die Menschen glauben nach all
ihren Erfahrungen, dasz die Nato-Piloten auch Bruecken mit
Menschen darauf bombardieren werden. Wir gehen die zehn Minuten zu
unserm Hotel "Moskwa" im Zentrum der Stadt, ziemlich schnell, aber
nicht in den Luftschutzkeller, sondern bleiben auf dem Zimmer,
oeffnen die Fenster und sehen zum Himmel hinauf.
Zehn Minuten vor 4 beginnt die Flak zu schieszen. Es hoert sich an
wie Geprassel, bald naeher, dann wieder ferner. In groszer Hoehe
zieht ein zirpendes, leise pfeifendes Geraeusch ueber uns. Die
Maschinen fliegen in etwa 20 Kilometern Hoehe ueber Belgrad.
Dann unerwartet der Einschlag, nahe, sehr hart metallisch, ganz
anders als bei Bomben. Das Innenministerium ist getroffen, das
schon einmal bombardiert worden war. Am naechsten Morgen sehen wir
uns die Ruine des voellig zerstoerten Fernsehsenders an. Ein
Techniker, der den Angriff mit hohem Blutverlust ueberstanden hat,
erzaehlt uns: er war Sekunden vorher an einer Stelle, wo dann die
sechzehn Menschen getoetet wurden. Er hat sie alle gut gekannt.
Aber sechs weitere sind noch immer vermisst. Nichts ist bisher von
ihnen gefunden worden, als seien sie von den Raketen verdampft
worden. 130 Kolleginnen und Kollegen des Senders wurden verletzt,
einige sehr schwer. Sie liegen noch in den Krankenhaeusern.
Unmittelbar am Sender liegt das Belgrader Kindertheater vor einer
Kirche, auf der anderen Seite der Strasze. Aus dem Kirchenschiff
haben sie Leichenteile geborgen. Wir legen hier einen
Blumenstrausz nieder, zehn grosze Rosen - es ist schoenste
Rosenzeit in Belgrad. Auf einer kleinen Schleife steht das Motto
unserer Reise: "Dialog von unten statt Bomben von oben."
Wir fahren nach Kragujevac. Die Stadt der Zastava-Automobilwerke
ist seit der Bombardierung des Betriebes die Stadt der
Arbeitslosen. Von den 200 000 Einwohnern haben durch die elf
Angriffe auf das Werk 37 000 Beschaeftigte ihren Arbeitsplatz
verloren. Und alle Zulieferbetriebe muszten ebenfalls schlieszen.
Was sollte man mit Autopolstern ohne Autos?
Als unser Bus vor dem Gewerkschaftshaus haelt, kommen ungefaehr 30
Kolleginnen und Kollegen, fast alle haben bei Zastava gearbeitet,
heraus und schuetteln uns die Haende. Gaeste aus dem Feindesland:
"Euer Besuch in Kragujevac ist der wichtigste seit dem zweiten
Weltkrieg."
Die Gewerkschaftsvorsitzende Rusica Milsavjlovic nennt die Folgen
der Bombardements fuer die Stadt eine humanitaere Katastrophe.
Entfernt ist die Detonation von zwei Raketen zu hoeren. Eine Frau
zuckt die Achseln: "Wir versuchen, normal weiterzuleben."
Wir geben ihnen eine von unserer Initiative gesammelte Spende, 10
000 Mark. Nichts im Vergleich zu den Bombenschaeden, aber unser
Beitrag wird verstanden als Zeichen der Solidaritaet, als Grusz
aus dem Land, dessen Wehrmacht an diesem Ort vor einem halben
Jahrhundert das groeszte Massaker in Jugoslawien waehrend der
deutschen Okkupation veruebt hat. Am 21. Oktober 1941 wurden hier
siebentausend Menschen, darunter 300 Schueler, klassenweise mit
ihren Lehrern, als "Geiseln" erschossen. Ein Gedenkstein erinnert
an den deutschen Soldaten, der sich weigerte, mitzuschiessen und
deshalb mit erschossen wurde.
Gleich zu Beginn des Nato-Krieges wurde das Gelaender der
Gedenkstaette von Raketen getroffen. Wir legen dort ein
Blumengebinde aus gruenen Zweigen und roten Rosen nieder mit einer
Schleife: "Den Opfern der deutschen Wehrmacht, der Nato und der
Bundeswehr."
Wieder Luftalarm. Die geplante Besichtigung der Zastava-Werke
muessen wir auf morgen verschieben. Es ist ein traumhaftes
Sommerwetter, die Akazien verbluehen gerade. Rote Mohnfelder in
der Huegellandschaft, bunte Haeuser in den Feldern, ein weiter
Blick. Was fuer ein schoenes Land! Hoch oben das Zirpen von
Flugzeugen. Sehr fern schieszt die Flak.
In der kleinen Bergbaustadt Aleksinac sind siebzehn Menschen durch
Bomben getoetet und 36 verletzt worden. 36 Haeuser wurden
vollstaendig zerstoert, allein in der Strasse Dujan Trivunac sind
120 Wohnungen nicht mehr bewohnbar, die meisten ausgebrannt. Viele
Menschen haben sowohl ihr Heim und ihren Hausrat als auch ihre
Arbeit verloren. Die kleinen Betriebe und das Bergwerk liegen
wegen des abgeschalteten Stroms still. Die Einwohner sind vor
allem auf die Hilfe von Jugoslawen im Ausland angewiesen. Der
Vorsitzende der oertlichen Rotkreuzstation, Miodrag Vojnovic, ist
erbittert darueber, dasz das Deutsche Rote Kreuz seit Beginn des
Krieges keine Hilfe mehr leistet. Immerhin haben wir in Aleksinac
mehrere riesige Lastwagen mit Hilfsguetern aus Griechenland und
einen Truck aus Ruszland gesehen.
Einem der vielen Kinder, die sich zu uns draengen, haben wir die
Frage gestellt, was wuerdest du Mister Clinton sagen? Es
antwortete: "Ich kann nichts sagen, ich will nur schlafen." Die
achtjaehrige Jana nennt die Flugzeuge am Nachthimmel "schnelle
Sterne". In einem Luftschutzbunker hat das Serbische Rote Kreuz
das Kindertheater "Smeschko" - Laecheln - eingerichtet. Mit
kindlichen Buchstaben steht auf dem Beton: "Wir werden siegen,
denn wir lieben unser Land, wir haben kein anderes."
*Gekuerzter Zusammenschnitt zweier Tagesberichte*
Kontakt: Guenther Schwarberg, FAX 040 /60 7 49
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