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Aussendezeitpunkt: Di, 01.06.99, 15:09 *
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Neoliberalismus:

> Das neue MAI ist angekommen

Nach dem Scheitern des "Multilateralen Abkommens ueber
Investitionen" sowie einiger aehnlich gelagerter Vertraege gibt es
nun einen neuen Anlauf der "Globalisierer".

*

Unbehelligt von den aktuellen Konflikten und Krisen brueten die
Buerokraten der Transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft (TWP)
und der Welthandelsorganisation (WTO) in gedaempfter
Bueroatmosphaere neue Abkommen aus, um die letzten Hemmnisse des
freien Spiels der "Marktkraefte" zu beseitigen und die Staaten und
Voelker der ungebremsten Expansion der multinationalen Konzerne zu
unterwerfen. Nach den gescheiterten Verhandlungen um ein
Multilaterales Abkommen ueber Investitionen (MAI) soll im Rahmen
der WTO-Verhandlungen eine Neufassung des gescheiterten Projektes
vorgelegt werden. Und diese soll noch noch vor der
Jahrtausendwende durchgesetzt werden.

Kaum ist das gescheiterte MAI in den Regalen der Organisation fuer
Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) entsorgt,
sind die Ultraliberalen unter Fuehrung von Leon Brittan, dem
ehemaligen Vizepraesidenten der EU-Kommission schon wieder dabei,
neue Plaene zu schmieden.

Die forcierten und geheimen Vorarbeiten spielen sich in zwei
Laboratorien ab, die mit ihren Tuerschildern Neugierige fernhalten
sollen: in den Raeumen der Transatlantischen
Wirtschaftspartnerschaft (TWP) und im Rahmen der sogenannten
Millenium Round der Welthandelsorganisation (WTO).

Das am 16. September 1998 eroeffnete TWP-Labor greift
uneingestandenermaszen ein Projekt wieder auf, das Briten und
Amerikanern gleichermaszen am Herzen liegt: Die Europaeische Union
soll in einer europaeisch-amerikanischen Freihandelszone aufgehen.
Nachdem ein erster Versuch 1994 gescheitert war, wurde auf dem
transatlantischen Gipfeltreffen am 18. Mai 1998 in London ein
neues Retortenbaby praesentiert. Doch das Produkt, das auf den
Namen NTM (Neuer Transatlantischer Markt) getauft wurde, stiesz am
27. April auf die Ablehnung des Europarats.

Also kehrte Sir Leon Brittan in sein Labor zurueck und bastelte
eine verkappte Version seiner Lieblingsidee zurecht: einen
siebenundzwanzigseitigen Bericht der EU-Kommission "bezueglich der
Verhandlungen [zwischen der EU und den Vereinigten Staaten] ueber
Abkommen im Bereich technischer Handelshemmnisse". (1) Eine
Kurzfassung der Kommissions-Empfehlungen wurde vom Rat gebilligt.
Damit erhielt Brittan das Mandat, im Namen der Mitgliedsstaaten in
Verhandlungen einzutreten. Dem hat im September und November 1998
auch das Europaeische Parlament zugestimmt.

Der Kommissionsbericht ist eine erbauliche Lektuere. Unter dem
Vorwand der Beseitigung "technischer Handelshemmnisse" - zu denen
auch die Schutzbestimmungen im Gesundheits-, Sozial- und
Umweltbereich gehoeren - wird in absehbarer Zeit eine allgemeine
Verpflichtung angestrebt, die "den unbeschraenkten Marktzugang in
allen Wirtschaftssektoren und Leistungssparten" (Gueter und
Dienstleistungen), einschlieszlich des Gesundheits-, Bildungs- und
oeffentlichen Vergabewesens garantiert. Im Kommissionsjargon
heiszt es da, die Staaten und regionalen Koerperschaften sollten
"saemtliche Ausnahmeregelungen in Form negativer Freiheitsrechte
explizieren", wobei man davon ausgeht, dasz die "ausgehandelten
Abkommen im gesamten Hoheitsgebiet der Vertragsparteien,
unabhaengig von ihrer verfassungsmaeszigen Struktur, auf
saemtlichen Ebenen der Machtausuebung Anwendung finden". Diese
Verpflichtungserklaerung waere fuer die regionalen und lokalen
Koerperschaften im EU-Bereich absolut bindend, bedeutete umgekehrt
aber fuer die Vereinigten Staaten kein groszes Risiko, da die
amerikanischen Einzelstaaten in diesen Fragen nicht durch die
Unterschrift Washingtons gebunden sind.

Mit dem Abkommen will man "auf der Grundlage von Empfehlungen der
Wirtschaft" gemeinsame Minimalbestimmungen vorlegen, um den
Unternehmen "neue Absatzmaerkte zu oeffnen". Dasz dies im "Geist
des Miteinanders" geschehen soll versteht sich von selbst. Die
multinationalen Konzerne haben die TWP-Verhandlungen, an denen sie
von Anfang an beteiligt waren, maszgeblich beeinfluszt. Sie
verfuegen ueber eine maechtige Lobby in Gestalt des Transatlantic
Business Dialog (TABD), dessen letzte Zweijahreskonferenz im
November 1988 in Charlotte (North Carolina) stattfand und in dem
die Creme der Wirtschaftsfuehrer beiderseits des Atlantiks
vertreten ist.

*Projekt zur Feier der Jahrtausendwende*

Fuer Verbraucherverbaende, Gewerkschaften und Umweltschuetzer hat
man sich Dialogangebote ausgedacht. Diese "Dialoge" werden
natuerlich in einem vom TABD betonierten Rahmen bleiben. Mehr als
unverbindliche Verhaltensmaszregeln ohne Sanktionsregelungen sind
jedenfalls von den TABD-Vertretern nicht zu erwarten.

Derart gefaellig "dekoriert", gehen die Verhandlungen ihren
undurchsichtigen Gang. Um die Oeffentlichkeit nicht aufzustoeren
und um das Gesamtprojekt noch vor Dezember 1999 unter Dach und
Fach zu bringen, bedient man sich der altbekannten Salamitaktik.
In einem Dutzend Wirtschaftsbereichen sind "Abkommen zur
gegenseitigen Anerkennung" (MRA) in Arbeit, die sich nur scheinbar
mit rein technischen Fragen beschaeftigen, in Wirklichkeit aber
politisch aeuszerst bedeutsam sind. Saemtliche Regulierungsnormen
und Auflagen sollen auf den kleinsten Nenner gestutzt werden, so
dasz die EU-Schutzbestimmungen, insbesondere im Ernaehrungs-,
Umwelt- und Gesundheitsbereich, hinfaellig wuerden.

Nach Abschlusz des Abkommens mueszten die Regierungen alle
gesetzlichen Regelungen beseitigen, die den MRAs zuwiderlaufen.
Treffen auf Kabinettsebene sollen den Prozesz "politisch
vorantreiben", waehrend "hochrangige Beamte, bei Bedarf durch Ad-
hoc- oder Sonder-Arbeitsgruppen unterstuetzt", in Zusammenarbeit
mit der Wirtschaft Detailfragen regeln sollen.

Die Verhandlungen der Transatlantischen Wirtschaftspartnerschaft
(TWP) wurden heimlich begonnen und ohne demokratische Kontrolle
gefuehrt. Und natuerlich sollen sie moeglichst rasch zu einem
gluecklichen Ende kommen. Inhaltlich ist vorgesehen - wie schon im
gescheiterten Multilateralen Abkommen ueber Investitionen (MAI) -
alle entsprechenden Beschraenkungen und Hemmnisse abzubauen und
der Europaeischen Union, den Mitgliedstaaten und den kommunalen
Koerperschaften die Faehigkeit zu nehmen, im wirtschaftlichen,
sozialen, kulturellen und Umweltbereich eine eigenstaendige
Politik zu verfolgen.

Das auf dem transatlantischen Gipfeltreffen am 18. Mai 1998 in
London unterzeichnete Abkommen wollte ueberdies ein Kondominium
USA-EU errichten, das bei den im Dezember beginnenden WTO-
Verhandlungen dem Rest der Welt und insbesondere den Laendern des
Suedens seinen Willen aufzwingen soll.

*Millenium Round*

Die Ministerkonferenz der 131 Mitgliedslaender Laender der
Welthandelsorganisation (WTO) im Dezember 1999 in Seattle
("Millenium Round") soll zur gigantischen Globalisierungsmesse
werden. Urspruenglich war fuer diese Konferenz nur die
Ueberarbeitung des Marrakesch-Abkommens von 1994 vorgesehen, das
Fragen der Landwirtschaft, der Dienstleistungen und des
gewerblichen Rechtsschutzes regelt. Nun aber soll - nach dem
Willen Brittans und Co. - auch ueber das oeffentliche
Vergabewesen, allgemeine Wettbewerbsbestimmungen, die Regeln der
Warenkontrolle und die Investitionsfreiheit verhandelt werden. Das
Ganze aehnelt sehr stark dem ersten Retortenbaby namens MAI.

So geht es im Bereich der Landwirtschaft und des geistigen
Eigentums um die uneingeschraenkte Geltung von Saatgut-Patenten -
namentlich bei genveraenderter Soja und Reis, wo die US-
amerikanischen Groszunternehmen eine Monopolstellung haben - sowie
um eine strikte Begrenzung des Rechts der Mitgliedstaaten, fuer
den Fall von Hungersnoeten Notvorraete anzulegen. Bei
oeffentlichen Ausschreibungen soll die nationale Praeferenzklausel
auch fuer auslaendische Unternehmen gelten, damit in absehbarer
Zeit nur die jeweils "leistungsfaehigste" Firma den Zuschlag
erhaelt. Ebenfalls im Namen des Wettbewerbs sollen die staatlichen
Aufsichts- und Genehmigungsbefugnisse bei Unternehmensuebernahmen
und -zusammenschluessen fallen. Und bei den Investitionen sind mit
Ausnahme der Schiedsgerichtsbarkeit dieselben Bestimmungen
vorgesehen wie im MAI.

Damit nicht genug. Neben dem Transatlantic Business Dialog und dem
European Round Table of Industrialists (ERT) sucht eine weitere
Wirtschaftslobby, das "Business Investment Network", den
Entscheidungsprozesz zu forcieren. Und die Internationale
Handelskammer hat die Aufgabe, die Oeffentlichkeit ab Juni auf die
"Jahrtausendkirmes" von Seattle einzustimmen. Unterdessen tourt
Leon Brittan durch Asien, um widerspenstige Staaten wie Indien,
Pakistan und Indonesien auf Kurs zu bringen. Groeszeren Widerstand
koennen die meisten Laender des Suedens aufgrund der Krise und
ihrer weitgehenden Abhaengigkeit vom Internationalen
Waehrungsfonds (IWF) allerdings nicht aufbringen. Das Kondominium
USA-EU wird die Veranstaltung also unangefochten dominieren.

Dafuer sorgen auch die Verhandlungsmethoden und Verfahrensregeln
der WTO. Alle Teilnehmerstaaten muessen ihre Anliegen und
Zugestaendnisse wie auch ihren Diskussionsbedarf bis Ende Juni
1999 einreichen. Anschlieszend tritt das WTO-Exekutivorgan hinter
verschlossenen Tueren zusammen, um Inhalt und Ablauf der
Ministerkonferenz abzustimmen. Auf zahlreichen informellen Treffen
will man die Einzelheiten des Abkommens vorbereiten, wobei das
Schweigen der schwaechsten Laender als Zustimmung gilt. Dabei
betrifft die Forderung nach "Transparenz", "Deregulierung",
"Liberalisierung", "Oeffnung der Maerkte" und "good governance"
natuerlich nur die Staaten und Buerger, in keinem Fall jedoch die
Groszunternehmen.

*Schleunigst gegensteuern*

Es bleibt nur noch wenig Zeit, um den bevorstehenden Gewaltstreich
zu verhindern. Der Widerstand kann sich dabei auf die Erfahrungen
des erfolgreichen Kampfs gegen das MAI stuetzen: eine
internationale Informations- und Aktionskampagne, deren Themen von
Gewerkschaften, sozialen Vereinigungen und Buergerinitiativen
verbreitet und von gewaehlten Repraesentanten aufgegriffen werden.
(2)

Kurzfristiges Ziel ist die Einstellung der einschlaegigen
Verhandlungsrunden, langfristig wird angestrebt, die Aktivitaeten
transnationaler Unternehmen zu kontrollieren, einen
internationalen Wirtschaftsgerichtshof zu installieren und bereits
unterzeichnete Abkommen zu "deratifizieren". Und nicht zuletzt:
die Welthandelsorganisation zu reformieren, deren heutige
Funktionsweise eine permanente Verletzung der Grundprinzipien
demokratischer Gesellschaften darstellt.

*Christian de Brie, Mitglied des Observatoire de la mondialisation;*
*Uebers.: Bodo Schulze; Le Monde diplomatique, 14.5.1999 / stark bearb.*

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(1) "Recommandation d'une décision du Conseil, présentée par la
Commission" (ohne Datum); "Résolution du Parlement européen",
Bulletin des Communautés (COM. 98.0125); "Avis du Comité
économique et social" (CES 11164.98).

(2) Dazu die Broschuere der Coordination contre les clones de
l'AMI, "L'AMI cloné à l'OMC", Observatoire de la mondialisation,
40, rue de Malte, 75011 Paris.


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