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Aussendezeitpunkt: Mi, 02.06.99, 11:21 *
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Balkan-Krieg/Politische Kultur

> Jedem sein' Hitler

Die Baertchenmaler sind wieder unterwegs

*

"Die Analyse der Machtgier der einen Seite schlaegt offen um in
eine Rechtfertigung der Macht der anderen Seite. Die Erkenntnis
von der Paranoia der einen Seite wird benuetzt, um die Paranoia
auf der anderen Seite aufzustacheln. Die beglueckende Kommunion
mit manchen Deutungen, denen man jeden Nachdruck verleiht, laeszt
darauf schlieszen, dasz sie Erloesung bringen; sie erloesen vom
Zweifel, der das Toedliche der eigenen Absichten ins Licht ruecken
koennte. Ploetzlich entwickelt sogar ein Teil der kritischen
Intelligenz eine Rhetorik, die die Politik von Groszmaechten
legitimiert und einen Krieg rechtfertigt. Die Leidenschaft, mit
der da fundamentalistisch 'der Feind' beschrieben wird, naemlich
als Inkarnation eines Urtypus von Massenmordlust, laeszt die
Ausrottung seines ganzen Lebenskreises wuenschenswert erscheinen."
Das Zitat ist nicht aktuell und bezieht sich auch nicht auf
Jugoslawien. Es stammt aus einem Essay Franz Schuhs von 1991 im
"profil", in dem er auf Hans Magnus Enzensbergers Apologetik der
Gleichsetzung Saddam Husseins mit Adolf Hitler replizierte.

Das Satiremagazin "Titanic" startete schon 1990 ein
Preisausschreiben unter dem Motto: "Wer wird Hitler '90?" Zur
Auswahl standen unter anderem Margareth Thatcher, Muamar al
Ghadafi, Deng Hsiao Ping und Saddam Hussein. Der Scherz wurde
ernstgenommen: Die Weltpresse kuerte kurz darauf Saddam Hussein
zum Sieger. Der Hitler '99 heiszt Milosevic. Zugegeben: Die
Hitlervergleiche sind subtiler geworden. Milosevic wird als erstes
Staatsoberhaupt seit den Nuernberger Prozessen -- Hitlers
Nachfolger Doenitz wurde damals zu 10 Jahren Haft verurteilt --
vor einem US-dominierten Gerichtshof der Kriegsverbrechen
angeklagt. Weiters geistern staendig die "Viehwaggons", "KZs" und
auch "Auschwitz" durch die Debatte in den Medien. "Milosevic ist
wie Hitler" ist mir jedoch bislang noch nicht untergekommen.
Vielleicht ist das ein Fortschritt, wenn dieser unselige Vergleich
nur mehr verschaemt angedeutet wird, vielleicht aber einfach nur
eine Subtilisierung, damit der Holzhammer, der einen
nichtsdestotrotz trifft, nicht als solcher begriffen wird.

Denn Hitler gehoert mittlerweile zum Arsenal der psychologischen
Kriegsfuehrung aller Regierungen. Denn um einen Krieg zu fuehren,
musz man den Gegner herabwuerdigen, soweit, dasz es als moralische
Verpflichtung erscheint, ihn zu attackieren. Das war besonders
klar an Hitlers Propagandafeldzuegen zu beobachten. Eine der
liebsten Methoden Hitlers und Goebbels war es, ihre politischen
Gegner mit Tieren zu vergleichen. Nach ihrer Diktion hatten sie
der Fauna den Krieg erklaert, in ihren Reden wimmelte es nur so
von Hunden, Ratten und Nattern. Seither ist diese Praxis gerade
wegen der Nazis etwas in Verruf geraten -- und die Ironie will es,
dasz ausgerechnet Hitler der Kunst der Agitation posthum aus jener
Patsche geholfen hat, in die er sie gebracht hatte. Denn hatte man
frueher jemanden zur Bestie erklaert und ihn damit aus der
Menschheit ausgestoszen, um so zu argumentieren, dasz man mit ihm
nicht reden koenne, nennt man den zu Stigmatisierenden heute
schlicht "Hitler". Denn mit dem konnte man bekanntlich auch nicht
vernuenftig reden, weil er jedes Abkommen gebrochen hatte -- und
weil er ueberhaupt der Antichrist, der Teufel, etc. war. Hitler
als Synonym fuer das unergruendlich "Boese" hat ihn zum einen der
Analyse enthoben, zum anderen aber ein allgemein akzeptiertes
schlimmes Schimpfwort geschaffen. Denn wer heute noch "Bestie!"
schreit, ist menschenverachtend, wer "Hitler!" sagt, ist ein
Antifaschist.

So ist weniger wegen der Verharmlosung Hitlers der Vergleich
problematisch -- wie oft schon kritisiert --, sondern durch dessen
Daemonisierung. Hitler war zwar ein Verbrecher, aber kein boeser
Geist, sondern ein Mensch ohne Pferdefusz und Schwefelgeruch. Doch
die Daemonisierung erscheint den Populisten als notwendig, um zu
signalisieren, dasz es keinen schleichenden Uebergang zum
Faschismus gaebe, sondern einen Rubicon, der ueberschritten wird
oder nicht.

Leider bleibt dieses Verhitlern nicht den Feldherren vorbehalten -
- sondern auch so manche Oppositionellen hier im "Westen", die es
sich nicht nehmen lassen, auf alle moeglichen Politikerbilder
(besonders Clinton und Joscka Fischer sind derzeit sehr beliebt)
Hitler-Baertchen zu malen, gebrauchen diese abgegriffene Metapher.
Trotz der Tragik der Weltgeschichte koennte schon ein biszchen
Komik auch empfunden werden, angesichts medial ausgetragener
Konflikte, die sich auf Kindergartenniveau abspielen: "Du bloeder
Hitler, du!" - "Selba, selba!" Anspruchvoller sind die sogenannten
Diskurse heutzutage wirklich nicht mehr. Aber leider lacht keiner.

*

Sicher, die Geschichte wird sie alle richten. Nur wie sie das tut,
ist nicht unproblematisch. Die Sieger schreiben die
Geschichtsbuecher. Und sie machen die Prozesse. Die Nazi-Bonzen
wurden '45 nicht deswegen verurteilt, weil sie Kriegsverbrecher
waren -- was sich ja auch wirklich nicht bestreiten laeszt --,
sondern weil sie den Krieg verloren haben. Somit ist nach Ende des
Konflikts auch immer der Herrscher der Hitler, der den Krieg
verloren hat.

Wolf Biermann war auch einer derjenigen, die das Irak-Bombardement
verteidigt hatten. Er argumentierte aber nicht uninteressant: Er
sei froh darueber, meinte er damals, dasz die USA machtpolitische
Interessen im Irak haetten, sonst wuerden sie den Irak nicht
angreifen. Das eroeffnet einen interessanten Blickwinkel: Denn im
zweiten Weltkrieg waren die Aktionen der Alliierten dem Naziregime
den Garaus zu bereiten nicht im Mitleid mit den Juden begruendet -
- das zeigte auch die Kriegsfuehrung, die zwar militaerische
Anlagen genauso attackierte, wie sie zivile Staedte mit
Flaechenbombardements belegte, aber keinerlei Ambitionen zeigte,
die Zufahrtsgleise zu den KZs lahmzulegen.

Die Kuwaitis waren zwar noch weniger die Juden, als heute die
Kosovo-Albaner es sind, das Muster ist aber immer gleich:
Machtpolitische Interessen fuehren zum Krieg, die Forderung nach
Demokratie und Menschenrechten werden als Legitimation verwendet.
Das Erreichen dieser ist ein angenehmer Nebeneffekt, aber wohl
kaum das Ziel. Tatsache ist aber, dasz dank des Vormarsches der
Alliierten die KZs befreit wurden. Damit ist aber tatsaechlich
eine Rechtfertigung dieses Krieges gegeben gewesen -- wenn auch
keine tatsaechlich intendierte.

So koennte man sagen, dasz der Effekt Menschenrechtssicherung den
Zweck der Machterweiterung wenn schon nicht heilige, so doch
wenigstens akzeptabel mache; nur leider sehen die Mittel dieser
Kriege eben nach den wahren Zwecken aus -- und nicht nach den
proklamierten. Denn auch hier gilt das oft zitierte Clausewitzsche
Diktum, wonach der Krieg eben die Fortsetzung der Politik mit
anderen Mitteln sei. Machtpolitik kennt aber eben keine
Menschenrechte; was nicht zuletzt in Hiroshima und Nagasaki zu
erfahren war und jetzt in Jugoslawien zu sehen ist.

Die Geschichte mit den Botschaften ist da symptomatisch. Neben der
CIA-Bombe auf die chinesische Botschaft wurden ja auch noch fuenf
andere Auslandsvertretungen bislang in Mitleidenschaft gezogen.
Einige Bomben detonierten in Bulgarien, andere entschaerft im
Gardasee oder der Adria. Diese Dinge wurden bekannt, weil da eben
andere Maechte in ihren Interessen beeintraechtigt wurden. Daraus
kann man ungefaehr die Treffergenauigkeit der NATO-Bomber ablesen.
Man kann sich auch ausrechnen, wie serbische Staedte mittlerweile
aussehen, ohne sich auf die Meldungen des Jugoslawischen
Fernsehens verlassen zu muessen.

Es geht dabei weniger um die Zulaessigkeit der Bombardements
sondern um die Zweckmaeszigkeit der Methoden. Womit wir wieder
beim Hitler-Vergleich waeren: Joschka Fischer gab in seiner Rede
auf dem "Himmelfahrtsparteitag" der deutschen Gruenen die Losung
aus: "Nie wieder Krieg, aber auch nie wieder Auschwitz". Er
argumentierte in seiner Rede, dasz man in dieser Situation doch
etwas tun muesse. Dasz die Mittel fuer den Zweck des Schutzes der
Kosovaren vollkommen untauglich sind, wird dadurch vollkommen
ausgeblendet.

*

Wir haetten aus Hitlers "aufhaltsamen Aufstieg" tatsaechlich
lernen koennen -- wir haben es vorgezogen, den Namen Hitlers als
Synonym fuer Grausamkeit zu verbrauchen und damit die Figur Hitler
einer populaeren Politikwissenschaft zu entziehen. Niemand kann
heutzutage mehr auszerhalb der schuetzenden Mauern von
Universitaetsinstituten einen ernstgemeinten politologischen
Vergleich mit Hitler ziehen -- ohne dasz man ihn fuer einen
Agitator haelt.

Denn es gibt im aktuellen Fall sicherlich eine Menge Details, in
denen sich die Despoten Hitler und Milosevic aehneln -- bspw. der
rabiate Nationalismus und die Tatsache, dasz sie beide aufgrund
demokratischer Wahlen an die Macht gekommen sind. Dennoch sind
diese Vergleiche nicht verwendbar, da die veroeffentlichte Meinung
keine partiellen Hitler-Vergleiche zulaeszt. Wer einen Teil des
Nazisystems mit einem anderen politischen System vergleicht, wird
so verstanden, dasz er pars pro toto das ganze System meint --
einfach deswegen, weil das die agitatorische Praxis ist. Aber auch
deswegen, weil ein achtenswertes politisches System auch nicht im
kleinsten Detail dem als hermetisch angesehenen Hitlerschen System
aehneln darf. Hitler oder nicht, heiszt die Losung, ein biszchen
Hitler gibt es nicht.

Es waere hoch an der Zeit, wieder ein bisserl mehr
materalistisches Denken aufzuwenden. Dasz die Machthaber rund um
diesen Globus dies kaum tun werden, ist klar. Denen kommen
idealistische Metaphern   la Hitler sehr recht. Nur von linken und
liberalen Oppositionellen kann man es schon verlangen, dasz sie
die Nachtigallen trappsen hoeren, wenn diese Vergleiche
auftauchen. Denn wer so polemisieren musz, steht hoch im Verdacht,
seinen eigenen Argumenten zu misztrauen. Und wenn vielleicht ein
paar Baertchenmalern in unseren Kreisen auffaellt, was sie dem
Niveau der politischen Debatten antun, waere das auch nicht
schlecht. *Bernhard Redl*


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