akin / aktuelle informationenPressedienst akin vom 03-12-1998
 
 



akin-Pressedienst.Elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten seinn. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige Verfuegungsberechtigung aus.


Schnorrbrief der Woche:

> Spendenaufruf fuer nicaraguanische Frauenorganisationen

Die FUNDACION ENTRE MUJERES (FEM) ist eine autonome
Frauenorganisation, die vor allem Baeuerinnen und arbeitslose
Landarbeiterinnen organisiert und bei der Gruendung von
Frauenkollektiven zum Anbau von organischem Kaffee,
Grundnahrungsmitteln, Tabak und Viehzucht unterstuetzt. Die FEM
leistet darueber hinaus bewusztseinsbildende Arbeit mit Frauen,
betreibt eine gynaekologische Klinik und engagiert sich
oeffentlich gegen Gewalt an Frauen.

Das Frauennetzwerk gegen Gewalt in Condega ("RED DE MUJERES DE
CONDEGA EN CONTRA LA VIOLENCIA = RED) ist ein Zusammenschlusz
verschiedener feministischer Frauengruppen, die gegen Gewalt an
Frauen und Maedchen kaempfen, z.B. den "defensoras populares", dem
Baufrauen- und Handwerkerinnenkollektiv, den Frauen fuer
natuerliche Medizin etc. Diese autonomen Frauengruppen
organisieren Kurse und Fortbildungen im juristischen,
handwerklichen und gesundheitlichen Bereich, sie sind aufgrund
ihrer Arbeit sehr respektiert. RED ist jetzt seit Beginn am
Notkomitee zum Wiederaufbau der Gemeinden beteiligt.

Die Frauengruppen bitten um SOFORTHILFE. SPENDEN fuer die beiden
Gruppen zu ueberweisen auf das KONTO NUMMER 730 352 713 BEI DER
BANK AUSTRIA, BLZ 20 151 LAUTEND AUF ROSEMARIE ERTL.

Am Freitag, 4. Dezember findet im Frauenzentrum Waehringer Strasze
59 eine Benefiz-Fiesta Latina statt

                                            *Frauengruppe ITZA*
        *c/o Nicaragua-Brigadistinnen, Stiftgasse 8, 1070 Wien*

**************

Initiativen:

> Sexismus in der Werbung

Oft genug ist frau mit sexistischer Werbung konfrontiert (zuletzt
die "Heisze Fracht" der OeBB). Es gibt Moeglichkeiten, sich zu
wehren.

Anlaufstellen, um gegen sexistische Werbung einzuschreiten: 1. Bei
den Werbern direkt. 2. Beschwerde beim Werberat einlegen. Das ist
das Effektivste, was frau tun kann. Im Schreiben den Sachverhalt
darstellen, auf Sexismus hinweisen (verletzt die Wuerde der Frau),
den Werberat auffordern, zusammenzutreten und das Seine gegen den
Sachverhalt zu unternehmen: Oesterreichischer Werberat,
Fachverband Werbung, Wiedner Hauptstr. 63, 1045 Wien Tel. 0222/501
05 DW 3539 3. Unterstuetzen kann Dich die Anwaeltin fuer
Gleichberechtigungsfragen, Judenplatz 6, 1010 Wien, Tel. 0222/532
02 44 0 4. Eventuell auch das Frauentelefon der Stadt Wien 408 70
66 5. Auch der Werbetraeger kann angesprochen werden (Zeitung,
Stadtwerke etc.)                    *Frauen/Lesben-Nachrichten/gek.*



Europol:

> Entimmunisierung

Die Unterschriftenaktion der "Initiative fuer Gleichberechtigung
und Gewaltfreiheit" gegen das bereits ratifizierte EUROPOL-
Immunitaetsprotokoll wird verlaengert. Die Unterschriften sollen
nicht am Tag der Menschenrechte (10.12.), sondern erst im Februar
oder Maerz uebergeben werden. Die Unterschriftenliste war in akin
26/98, kann aber auch direkt bei der "Initiative fuer
Gleichberechtigung und Gewaltfreiheit", Wienerstr.29, 3002
Purkersdorf, Tel&fax 02231/67255 bezogen werden. Europolkonvention
und Immunitaetsprotokoll sind in Auszuegen auf unserer Homepage
http://akin.mediaweb.at nachzulesen und dort auch im Volltext als
Dateien erhaeltlich.

Die Initiative bitte auch darum, an amnesty international zu
schreiben, was man von Europol und Immunitaetsprotokoll haelt, da
dort "die Meinungsbildung noch nicht so klar" sei: 1, Easton
Street, London WC 1 X 8 DJ, UK; Fax 0044/171/96-61-157.

Am 10.12. wird es -- so Schloegl will -- vor der Hofburg
anlaeszlich der 50-Jahr-Feierlichkeiten eine Infotischkette der
NGOs geben, bei der auch die Europol thematisiert werden soll. Wer
dabei mitmachen will: Treffen jeden Donnerstag, 10.30, BG
Schottengasse 3a/1/4/59, 1010 Wien. Tel 01/5359109 (Moki) oder
02231/67255.                                             *akin*



Moderne Zeiten/Aktionen:

> Big Brother-Preis an Echelon und Co.

Privacy International, eine der renommiertesten Datenschutzgruppen
im Internet, verlieh vor kurzem an britische Behoerden,
Institutionen und Einzelpersonen Preise fuer Ueberwachungstechnik.

Die Verleihung der Big Brother Awards an einem Montagabend im
Oktober in London wurde von einem Eklat begleitet, als auf dem
Videoscreen Szenen vom Vormittag gezeigt wurden. Ein unter dem
Namen Richard Makepeace bekannter Aktivist, der den Preis -- einen
Stiefel, der den Kopf eines Menschen tritt -- im Department of
Trade and Industry (DTI) ueberreichen wollte, wurde von
Polizeibeamten an den Haaren aus den Raeumen der ministeriellen
Preistraeger entfernt.

Ausgezeichnet wurde das britische DTI fuer seine unermuedlichen
Bestrebungen, fuer Britanniens Elektronischen Handelsverkehr als
Standard sogenannte "Key Escrow"-Programme einzufuehren. Dabei
handelt es sich um jene auch "Key Recovery" bekannten
Verschluesselungsverfahren, die staatlichen Stellen den Zugriff
auf codierte Daten ermoeglichen.

Weitere Preistraeger in den Kategorien "Produkte" und "Firmen"
wollten ihre zum fuenfzigsten Jahrestag der Abfassung von George
Orwells Roman "1984" verliehenen Preise genausowenig haben wie das
Newham Council. Die Verwaltung des Londoner Stadtteils hatte
diesen zum Zwecke der Bekaempfung von Verbrechen im September mit
140 vernetzten Kameras und biometrischer Software in ein digitales
Affenhaus umgestaltet.

Der Preis fuer das Lebenswerk ging an den Antennenpark der Royal
Airforce in Menwith Hill unweit von Leeds. In der Kette des
globalen Echelon Abhoersystems (s.a. akin 26, 28/98 bzw akin-pd
6.10., 25.10.98) ist dies eine
der wichtigsten Stationen, deren unter riesigen Kuppeln versteckte
Teleskopantennen die gesamte Kommunikation Europas ueberwachen.

Auch positive Preise gab es. Einer davon ging an die 19-jaehrige
Studentin Esther Bull, die nach 2 Jahren in ihrer neuen Wohnung
entdeckt hatte, dasz ihr Vermieter in ihrem Badezimmer eine
versteckte Kamera installiert hatte. Bislang konnte sie laut
Privacy International kein gerichtliches Urteil auf Verletzung der
Intimsphaere erreichen und wurde auf ein rein mietrechtliches
Verfahren verwiesen. Jetzt versucht sie eine Selbsthilfegruppe von
anderen Opfern solcher Aktionen zu organisieren.

"Anscheinend haben wir ein Zeichen gesetzt", sagt Simon Davies,
Vorsitzender von Privacy International, "aus mindestens zehn
Laendern wurde angefragt, ob eine parallele Veranstaltung moeglich
waere. Genau das wollen wir jetzt probieren." Aus diesem Grund
wird Davies, der am Institut fuer Computersicherheit der London
School of Economics als Dozent lehrt, im November Deutschland,
Frankreich und die USA besuchen.
           *q/depesche, arge daten, privacy international / akin*



Moderne Zeiten/Polizei:

> ENFOPOL: Das Ende der Kryptographie?

Datenschuetzer und Interessensverbaende kritisieren EU-
Ueberwachungsplaene
 

In ersten Stellungnahmen kritisieren jetzt deutsche
Buergerrechtler und Datenschuetzer die ausufernden
Ueberwachungsplaene der europaeischen Mitgliedstaaten. Sie
ermoeglichten die Zusammenstellung von Persoenlichkeitsprofilen
und eroeffneten den Sicherheitsbehoerden
Manipulationsmoeglichkeiten.

Angesichts der weitgreifenden Zugriffsbefugnisse, die zwar dem
Wunschzettel der ENFOPOL-Arbeitsgruppe entsprechen, nicht jedoch
unbedingt unter dem Vorzeichen des Schutzes von
Persoenlichkeitsrechten stehen, sind in Deutschland die ersten
kritischen Stimmen zu vernehmen. Verlangt doch der Entwurf der EU-
Ratsentscheidung den Zugriff der Sicherheitsbehoerden auf
Kontoverbindungsdaten, die Gebuehrenabrechnungen des Ueberwachten
sowie bei Internet-Diensten sogar den Zugriff auf besonders
sensible Paszwoerter, PINs und andere Zugangscodes. Derartige
Informationen sind jedoch nur dann erforderlich, wenn der
Ueberwacher ungestoerten Zugang zur Mailbox des Ueberwachten
benoetigt. "Damit wird den Sicherheitsbehoerden prinzipiell die
Moeglichkeit jeglicher Manipulation elektronischer Kommunikation
eroeffnet", kritisierte das Forum InformatikerInnen fuer Frieden
und gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) den EU-Ratsentwurf.

*(K)eine Ratsarbeitsgruppe*

"ENFOPOL ist eine ganz normale Ratsarbeitsgruppe", sagte Major
Rudolf Gollia vom oesterreichischen Innenministerium gegenueber
dem E-Magazin Telepolis, "die sich mit dem Einsatz neuer
Technologien in der polizeilichen Zusammenarbeit beschaeftigt."
Mit einem System wie dem militaerischen Echelon habe ENFOPOL
nichts zu tun, vielmehr sei da in "letzter Zeit in den Medien
vieles vermischt worden."

Merkwuerdigerweise ist freilich genau diese Ratsarbeitsgruppe, die
im Rahmen des Vertrags von Maastricht bereits 1993 gegruendet
worden sein soll, weder auf den EU-Servern noch im RAG-Verzeichnis
des oesterreichischen Innenministeriums aufgelistet. In
Beantwortung einer Anfrage liberaler Abgeordnete vom April 1998
hatte Innenminister Karl Schloegl die Existenz der Gruppe noch
dementiert: "Bei ENFOPOL handelt es sich um keine Arbeitsgruppe
oder Organisation, sondern um ein Kuerzel fuer die Bezeichnung von
Arbeitspapieren einiger Ratsarbeitsgruppen, so auch der RAG
'Polizeiliche Zusammenarbeit'."

*Missing Link*

Gleichwohl: Fakt bleibt die Tatsache, dasz ENFOPOL die Vorstufe
genau jenes Missing Link im Rechtsbestand bedeuten koennte, das
das Abhoeren mit Systemen wie ECHELON fuer die Eurocops zur
Jahrtausendwende interessant machen wuerde. Denn dasz nun Anbieter
kryptographischer Dienste bei der Entschluesselung
verschluesselter Daten mithelfen sollen bzw. Provider gezwungen
werden sollen saemtliche Schluessel zu horten, um sie bei Bedarf
der Polizei zu uebergeben -- in besonderen Faellen sogar "binnen
Minuten", wie es im ENFOPOL-Entwurf 1998 nachzulesen ist, stimmt
sehr bedenklich. Der Schritt zum amtlich hinterlegbaren
Nachschluessel, wie ihn schon vor Jahren die US-Regierung
einfuehren wollte, ist dann kein sehr groszer mehr.

       *Zusammenfassung mehrerer Beitraege von Christiane Schulzki-*
   *Haddouti und Erich Moechel im elektronischen Nachrichtenmagazin*
                                  *Telepolis / stark ueberarbeitet.*
 

Weitere Infos:
http://www.telepolis.de/.
Der ENFOPOL-Entwurf 1998 ist im Netz unter
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/enfo/6326/1.html
oder bei uns als Diskette beziehbar.



Tuerkei/Kurdistan/Italien:

> Was will Oecalan?

Die PKK aendert ihren politischen Kurs

"Oecalan ist in Italien" verkuendete die Schlagzeile der
prokurdischen Tageszeitung Oezguer Politika schon am Morgen des
29. Oktober -- gut zwei Wochen zu frueh. Zu diesem Zeitpunkt
weilte der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans noch in
Ruszland, wo sich die Abgeordneten der Duma um Asyl fuer ihn
bemuehten. Diese Initiative scheiterte an der Ablehnung Primakovs.

Als Oecalan schlieszlich am Abend des 12. November tatsaechlich in
Rom eintraf, schlug die Nachricht von seinem Auftauchen in Italien
wie eine Bombe ein. Doch was der Weltoeffentlichkeit als das
unerwartete Auftauchen eines gescheiterten, sich auf der
verzweifelten Flucht nach vorne befindenden Guerilla-Anfuehrers
erschien, ist in Wirklichkeit der vorlaeufige Hoehepunkt einer von
langer Hand vorbereiteten diplomatischen Offensive der PKK.

Nicht nur in ihren internen Publikationen diskutiert die PKK seit
mehr als einem Jahr offen, dasz ein Sieg ueber die tuerkische
Unterdrueckung nicht allein auf militaerischem Wege zu erringen
sei. Nach 15 Jahren Krieg ist die kurdische Bevoelkerung
ausgezehrt. Das tuerkische Militaer hat weite Strecken des Landes
in einen verbrannten und verminten Friedhof verwandelt. Unzaehlige
Familien haben ein oder mehrere Angehoerige verloren, und wer
ueberlebt hat, befindet sich heute auf der Flucht, im Gefaengnis
oder in den Bergen bei der Guerilla. Anders, als die tuerkischen
Medien glauben machen wollen, steht die PKK dennoch keineswegs vor
der militaerischen Niederlage. Aber die Fuehrungsebene der Partei
hat erkannt, dasz ein Krieg, der zwar weiterhin fuehrbar waere,
deswegen noch lange nicht gewonnen werden kann. Erst recht nicht,
wenn seine unnoetige Verlaengerung weiter auf dem Ruecken einer
Bevoelkerung ausgetragen werden musz, zu deren Befreiung er
eigentlich einmal begonnen wurde.

Daher betont die PKK seit geraumer Zeit immer wieder ihre
Bereitschaft, einer politischen Loesung den Vorzug zu geben.
Dreimal hat sie einseitig einen Waffenstillstand verkuendet,
zweimal scheiterte dieser in erster Linie an der Uneinsichtigkeit
der tuerkischen Armeefuehrung. Seit dem 1. September gilt der
dritte einseitig ausgerufene Waffenstillstand, und diesmal scheint
es, dasz sich die kurdische Guerilla nicht mit einem schleichenden
Scheitern abfinden sondern die politische Loesung mit Hilfe einer
diplomatischen Offensive erzwingen will.

Waehrend der letzten Jahre hat die kurdische Befreiungsbewegung in
muehsamer Kleinarbeit das Netz ihrer internationalen Kontakte
erweitert. Von Madrid bis Moskau, von Helsinki bis nach Athen ist
es gelungen, Beziehungen auszubauen und einfluszreiche Verbuendete
auf dem Weg zu einer politischen Loesung der kurdischen Frage zu
finden. Doch obgleich die Forderung nach einer Beilegung des
Konfliktes immer haeufiger auch aus den Regierungsparteien
verschiedener europaeischer Staaten, bis hin zum Europaparlament,
erhoben wird, setzt die tuerkische Seite mit unverminderter Haerte
auf die militaerische Karte. Dies faellt umso leichter, als die
europaeischen Forderungen bisher auf der Ebene verbaler
Bekundungen verblieben sind.

Waehrend die Tuerkei Italien mit Drohungen ueberschuettet,
bombardiert die tuerkische Luftwaffe die kurdische Region Dersim.
Im ganzen Land finden Massenverhaftungen statt. Ueber 700
Menschen, vorwiegend Mitglieder der Partei HADEP wurden in den
vergangenen Tagen festgenommen. Aufgehetzt von Regierung und
Medien begehen tuerkische Faschisten Lynchjustiz in den Straszen.
Im Gefaengnis nahmen Anhaenger der Grauen Woelfe einen
italienischen Mithaeftling als Geisel und folterten ihn schwer.

Mit seiner Praesenz in Europa wirft der PKK-Vorsitzende die Frage
internationalen Handelns im Kurdistankonflikt neu auf. Seine Rolle
als Feldherr, der von Syrien aus die Guerilla in den kurdischen
Bergen befehligt, gehoert nunmehr der Vergangenheit an. Jetzt
liegt es in den Haenden der Regierungen Europas, Oecalans Rolle
fuer die Zukunft aktiv mitzugestalten. Wer an einer friedlichen
Beilegung des Krieges aufrichtig interessiert ist, musz die durch
die diplomatische Offensive der kurdischen Seite entstandene
Dynamik nutzen und nunmehr auch von der Tuerkei ein deutliches
Signal fuer die Aufnahme von Friedensgespraechen fordern. Die
Regierungen Italiens und auch Deutschlands haben sich bereits in
diesem Sinne geaeuszert. Nun gilt es, die Initiative zu ergreifen
und parallel Delegationen zu Oecalan und in die Tuerkei zu
entsenden. Diese muessen im Gespraech mit dem PKK-Vorsitzenden
dessen Bereitschaft zu einem ernsthaften Friedensdialog ausloten
und in Ankara das erhebliche Gewicht der deutsch-tuerkischen
Beziehungen zur Initialisierung eines Friedensdialogs in die
Waagschale werfen.          *Knut Rauchfuss / via Comlink / bearb.*



Wien/Verkehr:

> Tangentenstau versus Oeffis

Der 5. November 1998 war ein schwarzer Tag fuer die Menschheit.
Ein LKW blockierte die Wiener Suedost-Tangente. Nicht ein Mega-
Stau hat die Stadt Wien lahmgelegt -- nein, es war ein Giga-Stau.
Millionen Autofahrer waren von der Umwelt abgeschnitten,
Hunderttausende kamen zu spaet nach Hause, in die Arbeit oder zum
Billa, Unmengen von Menschen waren grausam Gefangene in ihren
Blechkisten, der Verkehrsfunk forderte die Bevoelkerung auf, die
Haeuser nicht zu verlassen, Hubschrauber meldeten jede Bewegung,
und ueberhaupt war das Menschenrecht der freien Fahrt fuer freie
Autofahrer schwer in Mitleidenschaft gezogen worden.

So -- oder so aehnlich -- mag es zumindest manchen vorgekommen
sein, als man am "Tag danach" Politiker, Autofahrerclubs und
Medien argumentieren hoerte: eine B301 musz her, eine 6.
Donauquerung, her mit einer neuen Auszenring-Autobahn, Nord-
Autobahn, B3 und zusaetzlich ein paar neue Spuren, wo Platz ist.

Der Wiener Verkehrs- und Umweltstadtrat -- und zufaelligerweise
auch zeitgleicher ARBOe-Praesident -- Svihalek (SPOe) wird jetzt
hoechstpersoenlich Druck machen, damit veraltete und zukunftslose
Verkehrskonzepte nun endlich umgesetzt werden.

Faszt man einen Stau auf der Suedost-Tangente ueberschlagsmaeszig
in Zahlen, dann stellt man rasch fest, wie wenig leistungsfaehig
der Autoverkehr im Vergleich zum oeffentlichen Verkehr ist:

Die A23 ist von Kaisermuehlen bis nach Inzersdorf, also der
Strecke durch Wien, laut Herold Routenplaner 12 Kilometer lang. Da
jede Richtung 3 Fahrspuren hat, betraegt die Laenge der Fahrbahn
insgesamt 6 mal 12, also 72 km. Geht man davon aus, dasz eine
Autoschlange mit 10 km/h (=starker Stau) faehrt, dann kann man den
Platzverbrauch pro Auto mit ca. 10 Metern (5 Meter Autolaenge, 5
Meter Sicherheitsabstand) annehmen. Somit passen auf die Suedost-
Tangente zeitgleich 7200 Autos. Besetzt man diese Autos mit je 1,2
Personen (Durchschnittsbesetzung), dann stauen somit 8640 Personen
die Tangente zu.

Vergleicht man diese Zahlen mit der Anzahl von Fahrgaesten in den
Oeffis, dann kommt man zu folgender Feststellung: in einen Bus
bzw. eine Straszenbahn passen -- um es einfach rechnen zu koennen
-- ca. 100 Personen. Geht man in der Hauptverkehrszeit von einer
80 prozentigen Auslastung aus (mit 40% wird ueblicherweise der
Tagesdurchschnitt angegeben), dann fuellen diese 8640 Personen
genau 108 Busse bzw. Straszenbahnen aus.

Ich folgere daraus, dasz 108 Busse und Straszenbahnen, die im
Autostau stehen (oder nicht einmal 5 (!) pro Bezirk), mindestens
dieselbe Katastrophe darstellen, wie ein Mega-Stau auf der
Tangente. Der einzige Unterschied ist, dasz es die
verantwortlichen Politiker nicht einmal 5% soviel kuemmert, denn
sonst wuerden diese unisono mit den Medien taeglich lautstark nach
neuen Busspuren, eigenen Gleiskoerpern, und gruenen Wellen fuer
Oeffis rufen. Sogar das Gegenteil ist der Fall: SP(ARB)Oe-Svihalek
hat selber zumindest zwei Busspuren nachhaltig verhindert,
naemlich die fuer den 26A in Donaustadt und die fuer den 84A imPrater.

                                           *Michael Dufek / gek.*
                                   *Kontakt: m.dufek@blackbox.at*



zurück zum Inhaltsverzeichnis der akin: http://akin.mediaweb.at
zurueck zu den mediaweb-Seiten: http://www.mediaweb.at

eMail: redaktion.akin@signale.comlink.apc.org  pgp-key auf Anfrage
last update:  03-12-1998  by: Horst.JENS@bigfoot.com (html-Konvertierung)